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Mamablog: Bericht aus der Praxis
Wie erleben ADHS-Betroffene die Pandemie?

Und was passiert draussen? Viele Betroffene befürchten, aufgrund der aktuellen Einschränkungen ihre Jugendzeit zu verpassen.
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Seit bald einem Jahr dominiert ein Thema die Welt: die Corona-Pandemie. Die meisten von uns hatten grossen Respekt vor diesem Virus, über das wir nichts wussten. Wir wurden vom ersten Lockdown überrumpelt. Die Bedrohung durch das Virus verunsicherte die Bevölkerung. Die Gesamtsituation rief Ängste, vor allem Existenzängste hervor. Schlagzeilen überschlugen sich, und wir wurden herausgefordert, nicht in Panik zu verfallen. Durch die zweite Welle wurde die Geduld der Bevölkerung auf eine noch härtere Probe gestellt.

In meiner Praxis für Psychotherapie erlebte ich während dieser Zeit unterschiedliche Reaktionen. Jede Person befindet sich in einer anderen Lebenssituation. Die Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADHS) muss dabei individuell betrachtet werden, denn sie hat viele Facetten und Ausprägungen.

Menschen mit ADHS brauchen ein Gegenüber und können sich auf einer virtuellen Plattform nur schlecht konzentrieren.

Im ersten Lockdown erlebte ich viele Kinder und Jugendliche mit ADHS relativ entspannt, zumindest anfangs. Die abnehmende Reizüberflutung führte zu einer Entschleunigung. Nach kurzer Zeit jedoch vermissten sie sportliche Aktivitäten, bei denen sie überschüssige Energie abbauen können, und die sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen. Viele äusserten die Befürchtung, ihre Jugendzeit zu verpassen.

Homeschooling verkürzt die Zündschnur

Die grösste Hürde war aber die Phase des Homeschooling – ein Zeitraum, in dem auch viele Eltern im Homeoffice arbeiteten. Die Schülerinnen und Schüler mit ADHS waren aufgrund der mangelnden Strukturen oftmals nicht fähig, die ihnen übertragenen Aufgaben adäquat zu lösen. Denn Menschen mit ADHS brauchen ein Gegenüber und können sich auf einer rein virtuellen Plattform nur schlecht konzentrieren. Dieses Bild zeigte sich bis in die Sekundarstufe I und bildete eine Überforderung für Schüler und Lehrpersonen.

Bedenkt man, dass ADHS in 60 bis 80 Prozent der Fälle vererbt wird, ist meist ein Elternteil ebenso betroffen.

Arbeiteten die Eltern zusätzlich im Homeoffice, wurde es turbulent. Denn auch Erwachsene benötigten eine ruhige Atmosphäre, um konzentriert arbeiten zu können. Durch die Impulsivität und Hyperaktivität ihrer Kinder allerdings wurden sie oft gestört und die «Zündschnur» verkürzte sich. Das Eskalationspotenzial in betroffenen Familien stieg an. Bedenkt man zusätzlich, dass ADHS in 60 bis 80 Prozent der Fälle vererbt wird, ist meist ein Elternteil ebenso betroffen und kämpft mit denselben Problemen wie der Nachwuchs. Als der Präsenzunterricht wieder aufgenommen wurde, trat bei allen Beteiligten Erleichterung ein.

Absolventen der Sekundarstufe II litten unter ähnlichen Problemen wie jüngere Kinder. Eine zusätzliche Schwierigkeit bestand und besteht weiterhin in der sogenannten Prokrastination – im Hinausschieben. Eine Tendenz also, die dazu führte, die Berufsschule, die Fachmittelschule oder das Gymnasium zunehmend zu vernachlässigen.

Fremdbestimmung gegen Freiheitsdrang

Als im Spätherbst die zweite Welle auf uns zukam, vergrösserten sich Unmut und Unsicherheit in der Gesellschaft. Die Corona-Müdigkeit lag und liegt immer noch in der Luft. Da Menschen mit ADHS meist auch hypersensibel sind, können sie sich von den Stimmungen anderer Menschen nur ungenügend abgrenzen und ihre Gefühle fahren dadurch Achterbahn.

Erschwerend hinzu kommt, dass sie sich durch die Gesamtheit der Vorschriften fremdbestimmt fühlen und sie dies aufgrund ihres grossen Freiheitsdrangs noch stärker einengt als Nicht-Betroffene. Der Optimismus auf baldige Verbesserung sinkt, und das Gefühl der Isolation nimmt gerade bei Menschen im Homeschooling zu.

Hoffen wir also auf eine baldige Entspannung der Lage. Bis dahin wünsche ich allen betroffenen Familien ein gutes Durchhaltevermögen.