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Best of Mamablog: Interview mit Teenagern
«Klar bin ich gefährlich fürs Grosi. Wer soll das Virus denn sonst anschleppen?»

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Unsere Autoren geniessen die Festtage. Daher publizieren wir einen Beitrag, der besonders viel zu reden gab – und erstmals am 3. November 2020 erschien. Frohe Weihnachten!

In der Kritik: Jugendliche seien bezüglich Corona egoistisch.

Als im Sommer die Infektionszahlen wieder zu steigen begannen, rückten Jugendliche vermehrt in den Fokus der medialen Öffentlichkeit. Denn anders als zu Beginn der Pandemie steckten sie sich nun am häufigsten mit COVID-19 an und nicht die ältere Generation. In den Medien kursierten Bilder von Jugendlichen, die Party machten und sich nicht an Abstandsregeln hielten. Es war von einer Spassgesellschaft die Rede, die kein Verantwortungsgefühl kennt. Was ist dran an diesem Image? Oder ist es vielleicht so, dass Jugendliche besonders unter der Pandemie leiden?

Wir haben drei jungen Menschen zum Gespräch* gebeten und wollten wissen, wie sie die vergangenen Monate erlebt haben und wie sie in die Zukunft blicken:

Wie geht es euch gerade?

Camilo: Ich bin erschöpft und gleichzeitig verwirrt. Denn momentan scheint niemand so richtig zu wissen, wie es künftig weitergehen soll. Diese Ungewissheit stresst voll. Wird der Unterricht wieder auf Halbklassen umgestellt? Wird es irgendwann wieder zum Fernunterricht kommen? Wird ein totaler Lockdown nötig sein, bei dem gar nichts mehr geht – man weder Freunde treffen, noch Skateboard fahren darf?

Fin: Der Virus ist halt ziemlich nah gekommen – mittlerweile kennt jeder von uns persönlich Menschen, die schon Corona hatten, zum Test mussten oder in Quarantäne waren. Das beschäftigt einen schon. Ich hatte in den vergangenen Wochen kein gutes Gefühl, wenn ich meiner Grossmutter begegnete, die wieder regelmässig bei uns zu Hause war, um auf meine kleinen Geschwister aufzupassen.

Weil du Angst hast, für sie zur Gefahr zu werden?

Fin: Schon klar! Wer soll das Virus in unserer Familie denn sonst anschleppen? Meine Eltern arbeiten vorwiegend im Homeoffice und meine Geschwister sind ausserhalb der Schule kaum unterwegs.

Salma: Das ist bei mir auch so – ich wäre diejenige, die das Virus nach Hause bringt. Aber ich gebe mir Mühe, dass es nicht passiert. Da ich als Kleinkinderbetreuerin in einer Kita zudem einen ganzen Betrieb lahmlegen könnte, wenn ich das Virus bekäme. Aber ausschliessen kann ich es natürlich nicht. Aber wer kann das schon? Darum macht es mich auch wütend, wenn man auf uns Jugendlichen immer so herumhackt.

Empfindet ihr das so?

Camilo: Ja, voll! Renne ich am Morgen aufs Tram, in der einen Hand meine E-Gitarre, in der anderen meinen Rucksack, kann es passieren, dass ich die Maske nicht gerade griffbereit habe. Dafür wird man dann von den Mitfahrenden im Tram auf der Stelle mit Killerblicken bestraft.

Fin: Oder sofort angemotzt. Kürzlich stand ich beispielsweise gedankenverloren im Coop und bin dabei einer Frau zu nah gekommen. Sie hat sich umgedreht und gleich losgezischt: Kannst du denn nicht Abstand halten?! Voll aggressiv. Einfach nicht respektvoll. Ich finde, die Medien sind auch Schuld an diesem Bild, welches viele Erwachsene von uns Jugendlichen haben.

Böse Blicke oder Kommentare: Jugendliche werden bezüglich ihres Pandamieverhaltens häufig angegriffen.

Du sprichst über die Partybilder, die man von eurer Altersgruppe während des Sommers überall sehen konnte? Junge Menschen, die sich in grossen Gruppen auf Plätzen oder an Flusspromenaden versammelt haben, ohne Abstand zu halten …

Camilo: Diese Bilder zeigen natürlich auch eine Realität. Denn es stimmt schon: Der Sommer hat ein Freiheitsgefühl zurückgebracht und an den Orten, wo wir uns häufig aufgehalten haben, war es stets übervoll und es wurde Party gemacht.

Salma: Als der Sommer da war und ich nach zwei Monaten zu Hause endlich wieder unter die Leute konnte, wollte ich es auch einfach nur geniessen: Meine Freunde sehen, die ich so vermisst hatte, am See sitzen oder an Raves gehen.

Fin: Obwohl man ja von Anfang an von einer zweiten Welle gesprochen hatte, muss ich ehrlicherweise zugeben, dass ich Corona während den Sommermonaten verdrängt habe. Ich glaube allerdings nicht, dass das bei vielen Erwachsenen anders war …

Wie nehmt ihr denn die Erwachsenenwelt zurzeit wahr?

Fin: Mich stresst an Erwachsenen, dass sie kaum noch von etwas anderem reden als Corona und ständig spekulieren, was künftig noch auf uns zurollen könnte. Jeder scheint es besser zu wissen als der andere. Ich meine, wir checken ja alle, dass die Situation ernst ist. Aber muss man deshalb ständig auf Panik machen?

Salma: Gerade auch die Medien verstehen es, Angst zu verbreiten – und mir ist schon klar, dass sie dies tun, um gelesen zu werden. Aber ich finde es ziemlich extrem, was sie schreiben: Heute geht die Wirtschaft kaputt, morgen sind die Krankenhäuser übervoll – muss immer gleich alles so krass sein?

Camilo: Ehrlich gesagt, verfolge ich kaum mehr News. Nicht, weil es mich grundsätzlich nicht interessieren würde, sondern weil ich es nicht mehr hören mag.

Wie habt ihr denn die Zeit während der ersten Welle im Frühjahr erlebt?

Camilo: Ich habe regelmässig drei, vier Freunde getroffen – immer die gleichen. Und ich bin ab und zu Skateboard gefahren – das wars. Den Digitalunterricht empfand ich nicht gerade als das Wahre.

Warum nicht – Digitalunterricht hat doch auch seine «chilligen» Seiten?

Camilo: Klar. Aber am Gymnasium gibt es so viele Fächer, die man einfach nicht per Onlineunterricht rüberbringen kann: Chemie oder Physik beispielsweise. Fächer halt, die besser verständlich werden über Experimente oder Anschauungsunterricht. Ich habe über die Frühlingsmonate tatsächlich schulisch abgehängt.

Fin: Ich kenne niemanden, der was anderes behaupten würde. Bei den meisten gab es ja nicht mal eine visuelle Kontrolle. Wir mussten uns einfach morgens um acht einloggen – die Lehrer sahen dann, dass man online war und fertig. Man war echt auf sich alleine gestellt. Und ich muss zugeben, ich war manchmal auch überfordert und habe die Aufträge nicht gefunden. Aber immerhin haben meine Lehrer einmal pro Woche persönlich nachgefragt, wie es so geht.

Camilo: Echt? Bei mir gab es Lehrer, die ich während der ganzen Wochen nie zu Gesicht bekommen habe.

Salma: Mir fehlte ganz klar die Selbstdisziplin für den Onlineunterricht. Ich habe zwar gewusst, dass es eigentlich wichtig wäre zuzuhören, habe mir aber meist nicht mal die Mühe gemacht, aus dem Bett zu steigen. Im Gegensatz zu meinen Eltern, die sich morgens an den Tisch vor den Compi gesetzt haben. Ich kann mich an kaum etwas erinnern, was ich in dieser Zeit gelernt hätte. Chillig wars zwar, aber gebracht hat es nichts.

Fin: Das Ding war halt auch, dass viele Lehrer zu Beginn des Lockdown nicht mal ein System hatten, wie sie Aufträge verteilen oder Tests durchführen wollten. Sie waren auch überfordert, das hat man gemerkt.

Salma: Ja, voll. Am Anfang hat gar nichts funktioniert! Mit der Zeit haben wir dann einfach Aufträge erhalten, die wir zu einem Termin hin fertigstellen mussten. Das wars.

Camilo: Das letzte Semester war am Gymnasium ja nicht promotionsrelevant. Das wird aber in diesem Jahr anders sein – Corona hin oder her. Ich habe gerade ein ziemlich wichtiges Jahr vor mir – das dritte vom Kurzeitgymnasium – in dem ich gewisse Fächer abschliessen muss. Das macht mir echt schon Bauchweh.

Wie optimistisch blickt ihr in die Zukunft – schmiedet ihr Pläne?

Camilo: Ich glaube halt einfach nicht, dass das Virus so schnell wieder verschwindet und wir wohl akzeptieren müssen, dass noch ein paar Leute daran sterben werden. Das klingt vielleicht hart, aber… ist eben so.

Fin: Gerade vor ein paar Tagen habe ich mir überlegt, ob ich ein Ticket für das Open Air Frauenfeld im kommenden Jahr kaufen soll – die haben ein krasses Line-up für 2021. Ich zweifele aber daran, ob so grosse Anlässe in ein paar Monaten wieder stattfinden können. Es fühlt sich alles so unsafe an gerade.

Salma: Ich finde es trotzdem wichtig, dass man es sich nicht nehmen lässt, sich auf Dinge zu freuen, die in der Zukunft stattfinden könnten – wie mit Freunden in die Ferien zu fahren oder an ein Open Air zu gehen. Wir müssen einfach lernen, mit dem Virus zu leben und auch damit, dass innerhalb weniger Wochen schon wieder alles ganz anders kommen könnte. Aber die Freude will ich mir deswegen echt nicht verderben lassen!

* Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch mit den Jugendlichen fand am 27. Oktober statt, einen Tag, bevor der Bundesrat verschärfte Massnahmen anordnete.