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Moderne Industriespionage
Abtrünniger Manager klaute geheime Rezepturen und Fotos aus der Fabrik

Dem Bauchemiekonzern Sika wurden heikle Informationen gestohlen.
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Stacheldraht, Kameras und Drehkreuze sollen den Schweizer Sitz des Bauchemiekonzerns Sika in Zürich vor Eindringlingen schützen. Doch sie können nichts ausrichten gegen Spione im Innern. Monatelang sammelte der Chemiker Volker P. (Name geändert) geheime Daten von Sika. Als Manager ging er bei Sika ein und aus. Dort kopierte er hochsensible Informationen auf externe Datenträger und trug sie aus dem Büro, wie ein Strafbefehl der Bundesanwaltschaft zeigt, der dieser Zeitung vorliegt.

Wenig später teilte er seinen Schatz voller Sika-Geheimnisse mit Mitarbeitern des italienischen Konkurrenten Mapei. Die Italiener hatten ihn mittlerweile eingestellt. Schon an seinem fünften Arbeitstag erstellte er eine Tabelle mit den Verkaufszahlen von Sika in Österreich und druckte sie auf einem Drucker von Mapei aus. Es ist einer der Vorfälle, bei denen die Bundesanwaltschaft Volker P. Wirtschaftsspionage nachweisen konnte.

Wie Sika P. eine Falle stellte

Die weiteren Fälle betreffen noch heiklere Informationen. P. schickte einem Mapei-Mitarbeiter später die Rezepturen für drei Sika-Produkte per E-Mail. Es ging um Stoffe, mit denen Bauwerke wasserdicht gemacht werden können. P. gab der Konkurrenz gemäss Informationen von Tamedia auch Angaben zu den Rohstoffen weiter, die in der Branche als besonders empfindlich gelten.

Wenig später lieferte P. als geheim deklarierte Fotos einer Sika-Produktionsstätte im US-Bundesstaat Ohio. Danach folgten Dokumente zu Fabriken in Russland und Tschechien. P. teilte auch das Rezept für ein weiteres Sika-Produkt. Dafür kopierte er Informationen aus einer verschlüsselten Datei und sandte sie per E-Mail an einen Mapei-Arbeitskollegen.

Der Fall ereignete sich bereits im Winter 2014/15, blieb bisher aber unter Verschluss. Sika war damals mit der Besitzerfamilie und dem französischen Industriekonzern Saint-Gobain in einen wüsten Übernahmekampf verwickelt. P. wurde erst vor einigen Wochen durch die Bundesanwaltschaft verurteilt.

Der Fall gibt einen seltenen Einblick, wie Industriespionage in der Schweiz heute funktioniert. Im Schnitt werden landesweit nur drei Verfahren pro Jahr eröffnet, obwohl gemäss einer Studie im Auftrag des Nachrichtendienstes des Bundes jede sechste Schweizer Firma bereits Opfer von ausländischer Spionage wurde. Die meisten verzichten aus Diskretionsgründen auf eine Strafanzeige.

P. flog auf, als Sika eine eigene Untersuchung startete und sich danach an die Bundesanwaltschaft wandte. Zum Auslöser für den Verdacht sagt Sika nichts.

P. übergab der Konkurrenz auch Fotos einer Sika-Fabrik in den USA. Im Bild die Produktionsstätte in Freiburg.

Doch gemäss Informationen von Tamedia wurde P. eine krimireife Falle gestellt. Er befand sich zu dieser Zeit im Ausland und war für die Schweizer Behörden nicht greifbar. Sika-Manager baten ihn zu einem Meeting in die Schweiz. Dort warteten aber keine Leute der Sika, sondern Beamte der Bundeskriminalpolizei.

In einer Wohnung von P., nur wenige Hundert Meter vom Zürcher Sika-Gebäude entfernt, beschlagnahmten die Strafverfolger elf externe Datenträger, dazu mehrere Mappen und ein Hängeregister mit Informationen zu Sika.

«Obwohl der Fall in seiner Schwere und Dreistigkeit für Sika einmalig ist, konnte durch rasches Entdecken der Schaden in Grenzen gehalten werden.»

Sika-Mitteilung

Einen Monat blieb Volker P. in Untersuchungshaft. Bis ihn ein Berner Richter gegen eine Kaution von 50’000 Franken auf freien Fuss setzte. P. hat die Schweiz längst verlassen. Er wohnt jetzt in den USA. Sein Anwalt antwortete nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

Sika schreibt auf Anfrage: «Obwohl der Fall in seiner Schwere und Dreistigkeit für Sika einmalig ist, konnte durch rasches Entdecken der Schaden in Grenzen gehalten werden.» Mit dem Ex-Mitarbeiter habe man sich aussergerichtlich geeinigt. «Massnahmen gegenüber Mapei werden geprüft», schreibt das Unternehmen.

Der italienische Konzern reagierte nicht auf eine Anfrage. Bei einigen Vorfällen ist im Strafbefehl festgehalten, P. habe die Geheimnisse «unaufgefordert» verschickt. Die geheimen Infos teilte er aber über Monate. Und in einem Fall sandte ein anderer Mapei-Mitarbeiter P. eine Excel-Tabelle mit einer Liste von Sika-Produkten aus mehreren Ländern. Volker P. erstellte ein neues Tabellenblatt, schrieb dort die geheimen Rezepturen für die Produkte hinein und druckte sie auf einem Mapei-Drucker aus.

Die Schweiz muss dem Spion Geld zurückzahlen

Das italienische Unternehmen scheint sich auch nicht von P. getrennt zu haben. Noch vor zwei Wochen repräsentierte er Mapei stolz im Firmendress an einer Betonmesse in den USA. Das ist auf einem Video des Anlasses zu sehen.

Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes und Verletzung des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses schuldig gesprochen. Er erhält eine bedingte Geldstrafe über 120 Tagessätze à 230 Franken, insgesamt 27’600 Franken. Zahlen muss er sie nur, wenn er wieder straffällig wird.

Der Wirtschaftsspion bekommt vom Schweizer Staat sogar noch Geld zurück. Nach Abzug der Verfahrenskosten sind von seiner Kaution noch 13’421 Franken und 40 Rappen übrig, die ihm die Bundesanwaltschaft überweisen muss.