Hohe KonzerngewinneWie die Schweizer Staatskasse vom Ukraine-Krieg profitiert
Der Glencore-Konzern weist für das erste Halbjahr 2022 eine Steuerbelastung von fast vier Milliarden Franken aus. Das kommt unter anderem der Schweiz zugute – die damit Gewinn aus der Rohstoffkrise zieht.
Russlands Krieg gegen die Ukraine bringt Leid über Millionen von Menschen und führt weltweit zu einer extremen Verteuerung von Öl, Gas und Kohle. Doch nicht überall herrscht Krisenstimmung: Die Rohstofffirmen, die dieser Tage ihre Halbjahresberichte publizieren, vermelden nie da gewesene Gewinne.
Besonders eindrückliche Zahlen kommunizierte am Donnerstag die Firma Glencore. Der in Baar ZG domizilierte Konzern weist in seinem Halbjahresbericht einen rekordhohen Betriebsgewinn von umgerechnet über 18 Milliarden Franken aus. Davon stammen allein über 9 Milliarden aus dem Kohlegeschäft. Der Reingewinn liegt bei 12 Milliarden Franken: im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2021 ein zehnmal höherer Wert.
Über diesen Geldsegen freuen sich die Glencore-Aktionäre – aber nicht nur sie. Auch dem Bund, dem Kanton Zug und der Gemeinde Baar winken hohe Einnahmen. Für das erste Halbjahr 2022 weist der Konzern über alle Länder verteilt eine Steuerbelastung von 3,9 Milliarden Franken aus: fast viermal mehr als in der Vorjahresperiode. Genauer aufgeschlüsselt sind die Zahlen nicht. Ein beachtlicher Teil der Glencore-Steuern fällt aber bekanntermassen in der Schweiz an.
Steuerbetrag dürfte dieses Jahr deutlich höher liegen als 2021
Nun handelt es sich bei den 3,9 Milliarden erst um einen kalkulatorischen Wert. Massgeblich sind die Abschlüsse bei vollendetem Geschäftsjahr. Dass jedoch Glencore 2022 in der Schweiz einen Milliardenbetrag abliefern wird, scheint durchaus denkbar. Bereits 2021 überwies das Unternehmen den hiesigen Steuerbehörden 448,3 Millionen Franken. Weltweit betrugen die Steuerzahlungen insgesamt 2,8 Milliarden Franken – was Glencore laut einem Ranking der «Handelszeitung» zum grössten Schweizer Steuerzahler macht.
Zwar will sich Glencore auf Anfrage nicht zu den Steuerzahlungen in der Schweiz äussern. Ein Sprecher lässt auf Anfrage jedoch durchblicken, dass der Betrag dieses Jahr deutlich höher als 2021 liegen dürfte.
Das heisst: Der Schweizer Fiskus zieht hier voraussichtlich Gewinn aus der Rohstoffkrise, die durch den Ukraine-Krieg verursacht wurde.
Wirtschaftsethiker äussert Kritik
Der Wirtschaftsethiker Florian Wettstein hält das für problematisch. «Wenn ein Unternehmen vom Krieg finanziell profitiert und die Schweiz die entsprechenden Steuererträge einsackt, wird sie selbst indirekt auch zur Profiteurin», sagt Wettstein, der an der Universität St. Gallen lehrt. «Man sollte sich daher überlegen, wie man das Geld zugunsten der Menschen einsetzen kann, die unter dem Krieg leiden.» Es handle es sich dabei allerdings um «Symptombekämpfung», kritisiert Wettstein. «Überlegungen, wie Unternehmungen in Konfliktgebieten zu operieren haben, hätte man besser schon früher gemacht – und nicht erst dann, wenn die Firmen ihre Gewinne schon erzielt haben.»
Für interessant hält Wettstein die Idee einer sogenannten Windfall-Tax – eine spezielle Steuer auf Kriegsprofite, wie sie manche Länder bereits kennen und wie sie andernorts intensiv diskutiert wird. «So könnten auch falsche Anreize beseitigt werden», sagt Wettstein. «Es sollte für Unternehmen keinesfalls attraktiv sein, aufgrund des Krieges Mehreinnahmen zu erzielen.»
Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP) ist da deutlich skeptischer: «Über eine Windfall-Tax kann man diskutieren, aber die Schweiz sollte auf Alleingänge verzichten. Das müsste in internationaler Abstimmung geschehen, sonst drohen uns bloss Standortnachteile.» Aus Tännlers Sicht bräuchte es vielleicht sogar eine Verfassungsänderung. «Denn wenn wir sogenannte Übergewinne mit einer Windfall-Tax besteuern, verletzen wir das Gebot der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen.»
Tännler fragt sich ohnehin, wie Übergewinne juristisch sauber zu definieren wären. Er verweist auf den Beginn der Corona-Pandemie, als findige Unternehmer viel Geld mit dem Verkauf von Masken verdienten: «Ist das nun auch ein Übergewinn?» Die betreffenden Personen hätten im Übrigen unternehmerisches Risiko auf sich genommen, weil die öffentliche Hand ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.
Reagiert das Parlament?
Ob das Parlament zur Verwendung der «Krisengewinne» allenfalls spezifische Entscheide treffen wird, bleibt abzuwarten. Für SP-Nationalrätin Samira Marti wäre es durchaus angezeigt, dass die Schweiz entsprechend stärker zugunsten der Ukraine investiert: Sei es im Asylwesen, sei es bei der internationalen Hilfe. Sie geht überdies davon aus, dass die SP die Einführung einer Windfall-Tax vorantreiben wird.
Auf bürgerlicher Seite tönt es deutlich skeptischer. Mitte-Präsident Gerhard Pfister hält es für fraglich, ob zusätzliche Sonderinvestitionen zugunsten der Ukraine finanziell tragbar wären. Beim Thema Windfall-Tax liegt er auf der Linie seines Mit-Zugers Heinz Tännler: Nötig sei eine Abstimmung auf das internationale Umfeld.
Wirtschaftsethiker Wettstein zeigt sich derweil eher resigniert: «Die Schweiz agiert bei solchen Themen fast immer zögerlich und spät.» Man habe es beim Bankgeheimnis gesehen, ebenso bei der «verpassten Chance» mit der Konzernverantwortungsinitiative. «Dieses Muster wiederholt sich jetzt einmal mehr.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.