Hilferuf an den BundWie die Rübenbauern an einem Pestizidverbot leiden
Ein Virus bedroht die Ernte der Schweizer Zuckerrübenbauern akut. Doch das Pestizid, das helfen würde, ist verboten. Die Epidemie auf den Feldern entfacht die Kontroverse um die beiden anstehenden Anti-Pestizid-Initiativen neu.
Blattläuse bedrohen die Zuckerrübenernte in der Schweiz. Sie übertragen viröse Erreger auf die Pflanzen, die in der Folge vergilben. Die Gefahr ist so akut, dass sich die 4300 Rübenbauern hilfesuchend an den Bund gewandt haben. Das Problem: Es gäbe ein Insektizid gegen den Befall – doch dieses ist verboten.
Soll der Bund also das Insektizid Gaucho wieder zulassen und so den Landwirten helfen? Die pikante Frage muss rasch geklärt werden, denn in den nächsten Wochen müssen die Bauern entscheiden, was sie im kommenden Jahr anbauen werden, noch vor Weihnachten müssen sie das Saatgut bestellen.
Der Fall hat eine politische Dimension: Mit der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative kommen nächstes Jahr nämlich zwei Volksbegehren an die Urne, die den Einsatz von Pestiziden verringern respektive ganz verbieten wollen. Für die Initiativgegner zeigen die Probleme der Zuckerrübenbauern auf, was passieren kann, wenn die Behörden Pestiziden die Zulassung entziehen.
Konkret geht es um den Wirkstoff Imidacloprid. Er gehört zur Familie der Neonicotinoiden, den weltweit meisten und zugleich giftigsten Insektiziden. Umweltschützer warnen vor schädlichen Folgen etwa für Bienen sowie für die Wasserqualität. In diesem Umfeld ein verbotenes Insektizid im Freiland wieder zuzulassen, kommt für Agrarminister Guy Parmelins Fachleute einem Drahtseilakt gleich.
«Wir brauchen eine Übergangslösung, um die Epidemie zu stoppen.»
Der Bund hat Imidacloprid 2019 verboten – gleich wie die EU zuvor. Damit können die Rübenbauern nur noch auf einen Wirkstoff im Kampf gegen Blattläuse zurückgreifen: Pirimicarb. Doch die Population der Schädlinge habe sich damit kaum mehr kontrollieren lassen, klagen sie. Der Verband der Zuckerrübenpflanzer (SVZ) hat deshalb Mitte September Alarm geschlagen. Er warnt vor Ertragsverlusten von bis zu 50 Prozent. Teile der Deutschschweiz und die ganze Westschweiz seien grossflächig betroffen, Landwirte stünden kurz davor, die Produktion aufgeben zu müssen.
«Wir brauchen eine Übergangslösung, um die Epidemie zu stoppen», sagt SVZ-Präsident Josef Meyer. Der Bund solle Imidacloprid für maximal drei Jahre zulassen. Dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) liegt ein entsprechender Antrag vor. Die Branche verweist auf die Situation im Ausland: Verschiedene europäische Länder haben beschlossen, gewisse Neonicotinoide im Sinne einer Notfallzulassung wieder zu bewilligen. Noch Mitte September hatte das BLW an dieser Stelle klargestellt, eine Wiederzulassung stehe «aktuell nicht zur Diskussion». Mittlerweile heisst es aus dem Bundesamt, es sei wichtig, alle Optionen zu prüfen. Als Indiz für eine baldige Wiederzulassung will das eine Sprecherin nicht gedeutet sehen.
Branche warnt vor leeren Regalen
Die Branche selber sieht ihre Existenz gefährdet. Geht in der Schweiz wegen des Virus Anbaufläche verloren, sind die beiden einzigen Zuckerfabriken in der Schweiz, jene in Frauenfeld TG und in Aarberg BE, weniger ausgelastet. Das bedeute, dass eine Fabrik ihre Tore schliessen müsste, sagt Guido Stäger, CEO der Schweizer Zucker AG. Und die verbleibende Fabrik sei allein langfristig nicht überlebensfähig.
Stäger warnt vor dem Verlust von 250 Arbeitsplätzen. Der Zucker müsse dann importiert werden. Es gebe schon genug Zucker in Europa. «Aber in schwierigen Zeiten schaut jedes Land für sich. In einer Zeit wie der Corona-Krise wären die Regale der Detailhändler wohl leer.»
«Das Bundesamt für Landwirtschaft muss das nach objektiven Kriterien beurteilen.»
Der Ruf nach einer Wiederzulassung von Imidacloprid ertönt auch im Bundeshaus. SVP-Nationalrat Pierre-André Page, selber Rübenbauer, hat einen Vorstoss eingereicht – in den sozialen Medien begleitet von teils heftiger Kritik aus ökologischen Kreisen. Umweltschützer monieren schon lange, beim Zuckerrübenanbau würden besonders viele Pestizide eingesetzt.
GLP-Präsident Jürg Grossen zeigt sich «skeptisch» gegenüber der Forderung: «Das BLW muss das nach objektiven Kriterien beurteilen und über die Zulassung bestimmen.» Oberstes Ziel müsse es sein, resistente Zuckerrübensorten einzusetzen und wenn nötig biologische Bekämpfungsstrategien anzuwenden. Auch Nationalrat Kilian Baumann (Grüne) ist «sehr kritisch»: «Ertragsausfälle variieren von Jahr zu Jahr ohne Insektizide.» Um die Zuckerfabriken mit genügend Rüben versorgen zu können, müssten in schlechten Jahren halt Biorüben importiert werden.
Guido Stäger von Schweizer Zucker entgegnet, nur wenige Prozent könnten durch Rübenimporte kompensiert werden. Das sei aber logistisch aufwendig und teuer. Bei einem Ende des Schweizer Zuckers wären alle bisherigen Investitionen in eine langfristig ökologischere Produktion verloren. Hierzulande werden aktuell 10’000 Tonnen IP-Suisse-Zucker mit deutlich reduziertem Einsatz von Pestiziden hergestellt, dazu werden heuer erstmals bis zu 1000 Tonnen Biozucker erwartet. Zur Einordnung: Die Gesamtherstellung in der Schweiz beläuft sich auf circa 240’000 Tonnen Zucker pro Jahr.
Monitoring durch Bundesanstalt
Die Bedenken der Umweltschützer will Stäger mit einem neuen Vorschlag auffangen: Die Landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes Agroscope soll die Wiederzulassung mit einem «neutralen Monitoring» begleiten und sicherstellen, dass keine negativen Effekte auf bestäubende Insekten auftreten.
Doch die Bedenken bleiben. Eine Wiederzulassung sei mit dem Schweizer Umweltrecht kaum vereinbar, sagt Agrarökonom Felix Schläpfer von der Kalaidos-Fachhochschule Schweiz. Bei der Abwägung der Interessen sei zu berücksichtigen, dass die vom Bund stark subventionierte Schweizer Zuckerproduktion nicht die Bedeutung habe, die ihr immer zugesprochen werde, sagt Schläpfer, der auch Vorstandsmitglied bei der Denkfabrik Vision Landwirtschaft ist. «Würden stattdessen Getreide und Kartoffeln angebaut, wäre die Versorgungssicherheit höher, und der Steuerzahler wäre um etwa 50 Millionen Franken entlastet.»
Gegen eine subventionierte inländische Zuckerproduktion wäre nach Ansicht Schläpfers nur dann nichts einzuwenden, wenn sie einigermassen nachhaltig wäre, der heute geringe Anteil der pestizidfreien Produktion also stark stiege. Zudem müsste die Produktion zur Versorgungssicherheit beitragen, also ein öffentliches Interesse vorliegen, so Schläpfer. «Heute fehlt es an beidem.» 2019 wurden von knapp 18’000 Hektaren Anbaufläche deren 120 nach Biorichtlinien bewirtschaftet. Im Parlament gibt es denn auch Bestrebungen, den Rübenanbau ohne Insektizide und Fungizide in der Schweiz besser zu unterstützen. Eine entsprechende Gesetzesrevision ist dazu in der Vernehmlassung.
Importverbot gefordert
«Wegweisend» findet Schläpfer hingegen die zweite Forderung, mit der die Branche auf die Krise reagiert: einen Einfuhrstopp für Zucker, der im Ausland dank des Einsatzes hier verbotener Pestizide entstanden ist. Umstritten ist, ob das mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar wäre. Auch die Bauern plädieren für ein Importverbot: «Sonst sind wir in der Schweizer Landwirtschaft chancenlos», sagt Bauernpräsident Markus Ritter. Und das meint der CVP-Nationalrat mit Blick auf alle eingeführten Nahrungsmittel: «Geht es so weiter, wird eine Kultur nach der anderen in der Schweiz nicht mehr angebaut.»
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