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Neue Forderung im Parlament
Bauern sollen verbotenes Pestizid wieder einsetzen dürfen

Zuckerrüben werden mit grossen Maschinen geerntet, wie hier in Villmergen (AG). 
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Es scheint zu pressieren. Der Bund soll das Insektengift Imidacloprid wieder zulassen, verlangt Nationalrat Pierre-André Page. Der SVP-Politiker hat eine sogenannt dringliche Interpellation eingereicht. Setzt er sich damit durch, muss der Bundesrat noch in der laufenden Session Stellung beziehen.

Der Wirkstoff gehört zur Familie der Neonicotinoiden, den weltweit meisten und zugleich giftigsten Insektiziden. Ihnen werden stark schädliche Auswirkungen auf bestäubende Insekten zugeschrieben, ebenso auf die biologische Vielfalt sowie die Boden- und Wasserqualität. Da bei Zuckerrüben der Boden besonders lange mit nur wenig Vegetation bedeckt ist, besteht das Risiko, dass Pestizide abgeschwemmt werden.

Politik in eigener Sache?

Pages Vorstoss ruft Kritik hervor. Fast allen Neonicotinoiden sei in den letzten Jahren die Zulassung im Freiland entzogen worden, sowohl in der EU als auch in der Schweiz, sagt Andreas Bosshard von der Denkfabrik Vision Landwirtschaft. «Es herrscht also breiter Konsens, dass sie so rasch als möglich verboten werden müssen.» Es sei daher verantwortungslos, sie durch die Hintertür wieder einführen zu wollen.

«Ich habe bis jetzt Glück gehabt. Bei Nachbarn indes sieht es katastrophal aus.»

Pierre-André Page, Nationalrat SVP

SVP-Politiker Page sieht das anders. «Ich sorge mich um die Schweizer Zuckerrübenproduktion.» Die Ernte sei durch Blattläuse bedroht. Page selber ist Meisterlandwirt – und baut auf drei Hektaren selber Zuckerrüben an, wie er auf Nachfrage offenlegt. Dass er mit seinem Vorstoss vor allem sich selber helfen will, bestreitet er. Er habe bis jetzt Glück gehabt, seine Kultur sei nicht erkrankt. Bei gewissen Nachbarn indes sehe es «katastrophal» aus. «Ganze Felder sind zerstört und somit Nahrungsmittel kaputt.»

Die Branche ist besorgt. Am Donnerstag will der Schweizerische Verband der Zuckerrübenpflanzer (SVZ) in der Nähe des Bielersees aufzeigen, welche Folgen das Verbot zeitigt, das der Bund auf Januar 2019 verhängt hat. Fragen dazu beantwortet Geschäftsführerin Irene Vonlanthen mit Verweis auf den anstehenden Termin nicht.

Branche alarmiert

In der Einladung zum Anlass zeichnet der Verband ein dramatisches Bild: Ein von tierischen Schädlingen übertragener Virus lasse die Pflanzen vergilben, was zu hohen Ertragsverlusten führe. Teile der Deutschschweiz und die ganze Westschweiz seien grossflächig betroffen, die Landwirte stünden vor der Aufgabe der Zuckerrübenproduktion. Indes, genaue Zahlen zu den tatsächlichen Schäden liegen aktuell zumindest offiziell nicht vor.

In der Schweiz gibt es rund 4300 Bauern, die auf 18’000 Hektaren Zuckerrüben pflanzen, einer Fläche ungefähr doppelt so gross wie die Stadt Zürich. Wirtschaftlich ist der Anbau nicht, er wird deshalb laut Experten mit rund 70 Millionen Franken stark gestützt. Die Beiträge, die der Bund den Bauern pro Hektare zahlt, sind deutlich höher als bei allen anderen Ackerkulturen. Ohne Gegenmassnahmen sehen Branchenkenner die Zuckerproduktion und damit Arbeitsplätze in Gefahr. SVP-Politiker Page befürchtet, die Schweiz müsse am Ende zusätzlich Zucker importieren – Zucker, der seine Herstellung im Ausland dem Einsatz des umstrittenen Insektizids verdanke. Eine Wiedereinführung von Imidacloprid liege daher im Interesse der Schweiz.

«Die Branche hat es versäumt, resistente Sorten auf den Markt zu bringen.»

Andreas Bosshard, Denkfabrik Vision Landwirtschaft

In der Tat haben verschiedene EU-Staaten das 2018 erlassene Neonicotinoid-Verbot inzwischen gelockert. Die Schweizer Zuckerrüben-Pflanzer fordern deshalb gleich lange Spiesse. Page möchte die Wiederzulassung des Insektizids auf drei Jahre begrenzen; in dieser Zeitspanne soll die Forschung eine neue, gegen die Krankheit resistente Rübensorte finden. Bosshard von Vision Landwirtschaft entgegnet, die Viruserkrankung bei den Zuckerrüben sei schon viele Jahre bekannt. «Die Branche hat es aber versäumt, resistente Sorten auf den Markt zu bringen.» Dabei gebe es solche bereits.

Der Streitfall wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die ohnehin schon in der Kritik steht. Umweltschützer monieren schon lange, beim Zuckerrübenanbau würden besonders viele Pestizide eingesetzt, auch leide der Boden oft stark durch den Einsatz besonders schwerer Maschinen. Die Branche selber verweist auf Studien, die ihr punkto Nachhaltigkeit gute Noten ausgestellt hat. Kritiker sprechen von Auftragsarbeiten.

Bundesamt winkt ab

Pages Vorstoss ist in der Öffentlichkeit bis jetzt weitgehend unbemerkt geblieben. Im Ausland dagegen haben geplante Notfallzulassungen von Neonicotinoiden teils scharfe Proteste hervorgerufen. In Frankreich haben jüngst Umwelt- und Imkerverbände die Abgeordneten der Nationalversammlung aufgefordert, der notwendigen Gesetzesänderung nicht zuzustimmen. Sie wähnen auch die Bevölkerung auf ihrer Seite. Einer Umfrage zufolge würden sich sieben von zehn Bürgern gegen die Notfallzulassungen aussprechen.

Ob der Konflikt auch in der Schweiz hohe Wellen werfen wird, ist unklar. Die Branche beisst beim Bund bis jetzt auf Granit. Eine Neuzulassung von Saatgutbehandlungen mit Neonicotinodien stehe in der Schweiz aktuell nicht zur Diskussion, hält das Bundesamt für Landwirtschaft auf Anfrage fest. Und das Büro des Nationalrats hat es abgelehnt, Pages Vorstoss für dringlich zu erklären. Der SVP-Politiker will nun seine Forderung neu platzieren: Am Donnerstag wird er eine Motion einreichen.