Corona in der LuftfahrtWie die Airlines die Krise zu meistern versuchen
Swiss und Lufthansa mustern Flugzeuge aus, Ryanair halbiert die Löhne, und Delta schickt Angestellte in den unbezahlten Urlaub: Die Luftfahrt ringt um Lösungen, um das Coronavirus zu überleben.
Die Luftfahrt stellt sich auf langfristige Folgen der Coronavirus-Krise ein. Nachdem die Flotten der meisten Fluggesellschaften nun schon seit zwei bis drei Wochen bis auf wenige Fracht- und Rückführungsflüge komplett stillstehen, wird nun klar, dass es Monate dauern wird, bis sich die Branche wieder erholt. Selbst wenn Schulen, Restaurants und Geschäfte dereinst wieder öffnen können, bleiben verschärfte Grenzkontrollen und andere Reiserestriktionen wohl noch erhalten, bis Covid-19 mit einem Impfstoff besiegt werden kann.
Die Boston Consulting Group (BCG), eines der grössten Beratungsunternehmen der Welt, hat verschiedene Szenarien durchgespielt. Das günstigste V-Szenario ist mittlerweile das unwahrscheinlichste. Es würde bei einem raschen Ende der Coronavirus-Situation eine Erholung innert drei bis sechs Monaten bedeuten, dann wären die Airlines bereits wieder auf Vorkrisen-Niveau. Dass aber schon im Sommer wieder Millionen Passagiere fröhlich Ferienflüge unternehmen, erscheint derzeit geradezu illusorisch.
Eher vorstellbar ist das U-Szenario, bei dem die Erholung rund neun Monate dauern könnte und vor allem Geschäftsreisende die Luftfahrt wieder ankurbeln, während Restriktionen langsam gelockert werden. Das wahrscheinlichste Szenario ist gemäss BCG jenes des «Langen U», bei dem etwas Normalität in der Luftfahrt erst Mitte bis Ende 2021 zurückkehren wird, nachdem die schlimmsten finanziellen und gesundheitlichen Auswirkungen der Krise überstanden sind.
Weil die Covid-Auswirkungen aber schlimmer als jene von 9/11 oder der Finanzkrise 2008 bezeichnet werden, muss sich die Luftfahrt womöglich auf ein L-Szenario vorbereiten, in welchem die Leute nie mehr so viel fliegen werden wie vor Corona und auch Geschäftsreisen eingeschränkt werden, weil sich durch die Krise Onlinemeetings verbreitet haben. Das wäre wohl vor allem der Fall, wenn die Welt nach der überstandenen Ausnahmesituation im Herbst von einer zweiten Welle überrollt würde (W). Dann wäre die Reiselust wohl langfristig geschädigt.
Derzeit plagen die Airlines vornehmlich finanzielle Schwierigkeiten, sie benötigen Kredite und Staatshilfen, um das fast komplette Grounding zu überstehen. Um nicht Millionen von stornierten Tickets erstatten zu müssen, setzen sie zudem auf kostenlose Umbuchungen oder Gutscheine für ihre Kunden, damit sie ihre Liquidität für die Krise nutzen können statt für Rückzahlungen.
Die Fluggesellschaften müssen sich aber auch nach dem Höhepunkt der Krise auf Monate, wenn nicht Jahre mit weniger Reisenden als noch 2019 einstellen. Das Problem ist: Die Flotten und der Personalbestand sind mit den steigenden Passagierzahlen stetig mitgewachsen und nun in Anbetracht der zu erwartenden Szenarien einer Nach-Corona-Welt schlicht zu gross. Die Airlines versuchen, diese Herausforderung auf verschiedene Art und Weise zu lösen.
Lufthansa und Swiss
Die Lufthansa-Gruppe hat sich eine Schrumpfkur verschrieben. Sie rechnet mit Jahren, bis die weltweite Nachfrage nach Flugreisen wieder dem Vorkrisen-Niveau entspricht. Am Dienstagabend hat sie deshalb die Einstellung der Tochter Germanwings beschlossen. In der gesamten Gruppe sollen 10 Prozent der 760 Flugzeuge abgebaut werden, bei Lufthansa betrifft das auch 6 Airbus A380 sowie 15 weitere Maschinen. Eurowings muss 10 Flugzeuge loswerden, daneben kündigt die Lufthansa-Gruppe sämtlichen Partnern, die Flüge auf Auftragsbasis (Wetlease) durchgeführt hatten.
Auch die Schweizer Lufthansa-Töchter müssen beim Restrukturierungsprogramm mitmachen, zumindest die Swiss. Sie trifft es aber nicht so drastisch wie andere Airlines des Verbundes: Die Swiss muss die Auslieferung von bereits bestellten Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen verschieben. Zudem sollen ältere Maschinen vorzeitig ausgemustert werden. Die genaue Anzahl der betroffenen Flugzeuge ist derzeit noch nicht bekannt, wie eine Sprecherin mitteilt. Auch ist noch unklar, ob damit zumindest temporär weniger fliegerisches Personal benötigt wird.
Für Edelweiss hat der Entscheid der Lufthansa Group hingegen noch keine Auswirkungen, wie Mediensprecher Andreas Meier mitteilt. Die Anpassungen der Flottengrösse und des Flugprogramms von Edelweiss sei jedoch abhängig von der Dauer und der Tiefe der momentanen Krise.
Positiv ist für Swiss und Edelweiss auch der Bundesrats-Entscheid vom Mittwochnachmittag, dass die Luftfahrt Staatshilfe erhalten soll, konkret Bankgarantien. Das Geld müsse aber zwingend in der Schweiz bleiben, sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Auch Dividenden dürfen keine ausgezahlt werden, diese Bedingungen seien nicht verhandelbar.
Der Bundesrat will damit die 19’000 Vollzeitstellen der Luftfahrt in der Schweiz retten. Zudem hängen gemäss Sommoruga insgesamt 190’000 Arbeitsplätze indirekt an der Branche. Diese Angestellten in der Schweiz sollen von der Bundeshilfe profitieren, auch wenn der Arbeitgeber eine ausländische Firma sei. Die Schweiz sei auf die Luftfahrtindustrie angewiesen.
Die International Air Transport Association (Iata) befürchtet weltweit einen Wegfall von 25 Millionen Arbeitsplätzen, wenn die Airlines keine staatliche Hilfe erhalten. In Europa seien 5,6 Millionen Stellen in Gefahr.
Easyjet
Die Swiss und die Lufthansa-Gruppe dominieren am Flughafen Zürich das Geschäft, in Basel und Genf ist aber Easyjet Switzerland der Platzhirsch. Der Schweizer Ableger der britischen Billigairline hat das Staatssekretariat für Wirtschaft bereits Ende März um Notfallmassnahmen für seine 1000 Mitarbeitenden ersucht. Bundespräsidentin Sommaruga hat denn Easyjet Schweiz auch explizit erwähnt, als sie am Mittwochnachmittag Staatshilfe für die Luftfahrt zusicherte. Das Bundesgeld müsse aber zwingend im Land bleiben und soll dem Erhalt der Arbeitsplätze in der Schweiz dienen, präzisierte Sommaruga.
Das Mutterunternehmen hat ohnehin bereits rund 1 Milliarde Pfund erhalten, 600 Millionen aus dem Corona-Fonds des britischen Finanzministeriums und nochmals 400 Millionen von Banken. Easyjet-Gründer Stelios, der heute noch als Grossaktionär beteiligt ist, fordert die Airline zudem dazu auf, eine Bestellung von neuen Airbus A320 zu stornieren, wie «Aerotelegraph» schreibt. Zuvor riet er den Angestellten bereits, dass sie unbezahlte Ferien nehmen sollten. Nun haben die Sozialpartner für knapp die Hälfte der Easyjet-Mitarbeitenden Kurzarbeit ausgehandelt.
British Airways/IAG
Auch die British Airways – in der Schweiz durch die vielen Flüge nach London die Nummer drei hinter dem Lufthansa-Konzern und Easyjet – hat für praktisch alle ihre Mitarbeitenden Kurzarbeit beantragt. Das gilt für rund 36’000 Angestellte, die damit 80 Prozent ihres Lohns direkt vom Staat erhalten. Von den wegfallenden 20 Prozent übernimmt die Airline wiederum 80 Prozent, womit den Mitarbeitenden lediglich 4 Prozent des ursprünglichen Lohns fehlen.
Der Mutterkonzern IAG, zu dem auch Iberia, Vueling und Air Lingus gehören, hat wegen der Corona-Krise bereits die Dividenden gestrichen, von weiteren Massnahmen sieht man derzeit aber ab. Konzernchef Willie Walsh hat aufgrund der Krise seinen Ruhestand aufgeschoben und will IAG selbst durch die Turbulenzen der nächsten Monate lotsen.
Walsh, ein ehemaliger Air-Lingus-Pilot, hat 2011 die IAG-Holding geschmiedet und dabei auch Tausende Arbeitsplätze abgebaut. Man traut ihm zu, den Konzern nun mit harter Hand durch die Krise zu führen; mit mehreren Milliarden Reserven soll IAG auch ein solides finanzielles Polster dafür haben.
Air France-KLM
Die Airline ist derzeit mit Frankreich und den Niederlanden in Gesprächen über mögliche Finanzhilfen. Generaldirektorin Anne Rigail sagte der Tageszeitung «Le Figaro» am Dienstag, dass noch Geldbestände in Höhe von sechs Milliarden Euro verfügbar seien, das reiche aber nicht, um die Krise zu überstehen.
Frankreich will die Air France-KLM zwar unterstützen und ist bereits mit über 14 Prozent am Unternehmen beteiligt. Doch auch der niederländische Staat hält seit letztem Jahr 14 Prozent der Anteile, weshalb staatliche Hilfe für die Airline in beiden Ländern umstritten ist.
Eine Verstaatlichung der 2004 zusammengeschlossenen Gesellschaft steht in Frankreich durchaus zur Diskussion. In den letzten Tagen haben der Staatssekretär für Verkehr, der Wirtschaftsminister, der Handelsminister und auch Premierminister Edouard Philippe laut über diese Option nachgedacht. Der Staat müsse wichtige Industrieunternehmen schützen, heisst es unisono.
In beiden Ländern gibt es zudem Stimmen, die sich eine Trennung von Air France-KLM wünschen, diese Krise könnte dafür den Anlass geben. Ob die Airlines in der Nach-Corona-Welt allein aber überlebensfähig wären, ist zumindest fraglich, da in der Branche grossen Konzernen bessere Chancen zugerechnet werden.
Ryanair
Die irische Billigairline ist in der Schweiz kaum vertreten. Der Easyjet-Konkurrent hat seine Flotte praktisch stillgelegt, weniger als 20 Flüge stehen pro Tag auf dem Programm, normalerweise sind es über 2500. Für die Angestellten hat das drastische Auswirkungen, Ryanair wird den Lohn im April und Mai für alle um 50 Prozent kürzen.
Amerikanische Airlines
American, Delta und United fliegen in die Schweiz und gehören mit Southwest du den grössten Airlines in den USA. Sie verhandeln derzeit über ein staatliches Hilfspaket von 50 Milliarden Dollar. Die Fluggesellschaften stehen in Nordamerika aber auch in der Kritik, weil sie just in den letzten fünf Jahren rund 40 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe aufgewendet haben und die Steuerzahler nun für die damit fehlenden Reserven aufkommen müssen.
Neben den grossen Airlines ersuchen auch Dutzende kleine Gesellschaften um Hilfe aus dem 2-Billionen-Dollar-Topf der Regierung. Für viele drängt die Zeit, mit der Ravn Alaska ist bereits eine kleine Firma in Konkurs gegangen, die im nördlichsten Bundesstaat zwar nicht die grossen Passagierströme befördert, aber mit 72 Flugzeugen doch wichtige Verbindungen zwischen den in der Wildnis verteilten Ortschaften aufrechterhielt.
Für die Fluggesellschaften heisst es in den USA: Geld oder Kurzarbeit. Wer staatliche Hilfe erhält, kann für seine Mitarbeitenden nicht gleichzeitig Kurzarbeit beantragen. Zudem werden Dividendenauszahlungen und Aktienrückkäufe bis Ende 2021 verboten. Und bis 2022 müssen die Airlines ihr Streckennetz aufrechterhalten, so lauten die Bedingungen der Regierung.
Die Fluggesellschaften bitten ihre Angestellten derweil darum, unbezahlten Urlaub zu beziehen, um die Kosten drücken zu können. Bei Delta sind bereits 30’000 der 90’000 Mitarbeitenden in den brotlosen Ferien, mehr sollen folgen.
Chinesische Airlines
Einen Hoffnungsschimmer bieten die chinesischen Airlines. Zwar ist der internationale Verkehr weiter eingeschränkt, wenn nicht sogar inexistent, die Zahl der Inlandflüge hat aber bereits im März wieder zugenommen. Die Regierung hat die Restriktionen dafür langsam gelockert, und derzeit liegt das Volumen im Vergleich zum Vorjahr bereits wieder bei rund 50 Prozent; auch der Flughafen in Wuhan ist seit Dienstag wieder offen. Und China meldet seit kurzem keine neuen Ansteckungen mehr und dürfte die Kapazitäten damit weiter hochfahren.
Selbst in Wuhan kehrt also langsam Normalität zurück, nach elf Wochen kompletter Isolation. In Europa dürfte die Lage zwar komplizierter sein als in China, da jedes Land selbst über Lockerungen oder eine Aufrechterhaltung von Reisebeschränkungen entscheidet – die Zeichen aus Asien deuten aber zumindest an, dass ein teilweises Hochfahren des internationalen Flugverkehrs in Europa auch hier schon in wenigen Wochen realistisch sein sollte.
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