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Ex-Spione geben seltenen Einblick
Wie der russische Geheimdienst junge Aktivisten zwangsrekrutiert

Die Angst vor Konsequenzen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zwang ihn, den Geheimdienst zu verlassen: Der 25-jährige Michail Sokolow.
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Vom Studenten zum russischen Spion zum Asylsuchenden. Der junge Russe Michail Sokolow war über fünf Jahre lang Teil des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. In einem Interview mit CNN und dem «Guardian» erzählt der 25-Jährige von seiner Rekrutierung als Informant, seinem Verrat an Oppositionsgruppen und weshalb er den FSB verlassen hatte.

Über sein Heimatland und Aggressor im Krieg gegen die Ukraine sagt Sokolow: «Russland heute und Russland im Jahr 2016 sind zwei verschiedene Länder.» Er ergänzt: «Damals konnte man Aktivist sein und war sicher. Ich bin nicht blind, ich sehe, welche Probleme mein Land und meine Leute haben. Ich sehe, wie Europa lebt. Ich war motiviert, mein Land besser zu machen.»

Heute lebt der 25-Jährige in den Niederlanden als Asylsuchender, Tausende Kilometer weit entfernt von Wotkinsk – dem Ort, in dem er einst aufgewachsen ist. Die Industriestadt in der Udmurtischen Republik liegt rund 1300 Kilometer östlich von Moskau. In Wotkinsk machte er sich einen Namen als junger und ehrgeiziger Antikorruptionsaktivist. Videos sollen zeigen, wie er schon früh versuchte, lokalen Beamten auf die Schliche zu kommen, wie der «Guardian» schreibt. Doch sein Leben änderte sich 2016 radikal. 

Vom Studenten zum Spion

Vor rund sechs Jahren sei er von einem FSB-Agenten auf eine Polizeistation gerufen worden, weil er sich der Wehrpflicht entzogen habe. Zu dieser Zeit sei er ein «normaler 19-jähriger Student» gewesen, der sich zum ersten Mal politisch engagierte. Er trat der Kommunistischen Partei Russlands bei – einer vom Kreml sanktionierten Oppositionsgruppe.

Auf der Polizeistation erklärte man ihm, dass ihm eine Haftstrafe drohe. Er könne jedoch als Alternative mit dem Geheimdienst kooperieren. «Ich war 19 und hatte grosse Angst vor den Sicherheitsdiensten. Ich war nicht bereit, Zeit im Gefängnis zu verbringen», erklärte Sokolow dem «Guardian». Darum entschied er sich, das Angebot, mit dem FSB zusammenzuarbeiten, anzunehmen. «Vielleicht war es egoistisch, aber zu dieser Zeit habe ich nur an mich gedacht.»

Von diesem Moment an soll er sich ein- bis zweimal im Monat auf verlassenen Parkplätzen mit einem FSB-Mitarbeiter getroffen haben. Bei den Treffen habe Sokolow den FSB über geplante regierungsfeindliche Proteste in der Stadt informiert. Obwohl er als Informant gearbeitet habe, habe er sich gegenüber seinen Mitstreitern immer loyal gefühlt. «Von dem Tag an, an dem ich das Papier unterschrieben habe, war mein Motto, der Opposition so wenig wie möglich zu schaden und meinen Freunden zu helfen, wenn ich konnte», sagte Sokolow dem «Guardian». «Aber natürlich habe ich einige beschissene Dinge getan, und viele Leute werden mich jetzt hassen.»

Die Suche nach Nawalnys Nachfolger

Ein Jahr nach seiner Rekrutierung begann Sokolow freiwillig für die Antikorruptionskampagne des russischen Oppositionschefs, Alexei Nawalny, zu arbeiten, wie er CNN erklärte. 2021 wurde er dann festes Mitglied der Organisation und teilte wichtige Informationen mit dem FSB.  

«Ich bin überzeugt, dass es Hunderte von uns gab.»

Michail Sokolow, ehemaliger FSB-Informant

«Auf regionaler Ebene ist der FSB tatsächlich an korrupten Beamten interessiert», erklärte Sokolow, aber: «Auf nationaler Ebene sind sie daran interessiert, wer Nawalnys Kampagne finanziert. Sie hatten die Theorie, dass wir von der CIA finanziert werden.» Russland sei davon überzeugt, dass die CIA versuche, eine Revolution in Russland herbeizuführen, und dass Nawalny ein CIA-Agent sei, so Sokolow zu CNN. «Sie setzen enorme Ressourcen und Anstrengungen ein, um die Revolution in Russland zu verhindern. Sie sind auf der Suche nach einem ausländischen Feind.» Der FSB sei auch «besessen» davon, herauszufinden, wer der Nachfolger des inhaftierten Oppositionschefs sei. «Ich bin überzeugt, dass es Hunderte von uns gab», erklärte Sokolow dem «Guardian». «Fast jede organisierte Oppositionsgruppe hatte einen Informanten auf niedriger oder mittlerer Ebene.»

Der Spion sollte herausfinden, wer den russischen Oppositionschef finanzierte: Alexei Nawalny (r.) und Michail Sokolow.

Während seiner Arbeit soll der 25-Jährige jedoch keine Beweise dafür gefunden haben, dass Nawalny ein CIA-Agent sei, und auch er selbst dementiere die Vorwürfe. 

Spionagereise nach Georgien

Als die Repression des Kreml stark zunahm, schickte man den 25-Jährigen, nach eigenen Angaben, in die ehemalige Sowjetrepublik Georgien. Dort solle er die wachsende Gemeinschaft russischer Auswanderer infiltrieren. Denn auch im Nachbarland soll die CIA Russen rekrutieren, wie der FSB befürchtete. «Sie dachten, dass die georgischen Sicherheitsdienste unter Anleitung der amerikanischen CIA Oppositionelle rekrutieren.» Sokolow soll jedoch keine Beweise dafür gefunden haben. 

Die Furcht vor Konsequenzen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine habe ihn gezwungen, den Geheimdienst zu verlassen. 

Getrieben von der Angst einer Revolte

Sokolow ist nicht der einzige ehemalige FSB-Spion, der an die Öffentlichkeit ging. Ein weiterer junger Aktivist erzählte CNN ähnliche Geschichten über Zwangsrekrutierung und die Forderungen des FSB. Wsewolod Osipow war Teil der Libertären Partei Russlands. Zu CNN sagte der Russe, er habe gedacht, die Organisation sei zu klein, um Aufmerksamkeit des Geheimdienstes zu bekommen. 2021 wurde er jedoch im Zusammenhang mit früheren Protesten gegen die Verhaftung von Nawalny festgenommen. Wie Sokolow entschied sich der damals 19-Jährige dafür, mit dem FSB zu kooperieren, um einer Haftstrafe zu entgehen.

«Sobald der Krieg begann, bat mich mein Vorgesetzter, herauszufinden, wie die russische Gemeinschaft allgemein über die Invasion in der Ukraine denkt.»

Wsewolod Osipow, ehemaliger FSB-Informant

«Ich hatte verschiedene Aufgaben», erklärte Osipow CNN. «Ich musste mich mit bestimmten Leuten treffen und sie kennen lernen. Zum Beispiel den Vorsitzenden der Libertären Partei Russlands, Jaroslaw Conway, oder den Hauptkoordinator der Stiftung Freies Russland in Georgien, Anton Michaltschuk.» Der FSB soll auch bei Osipow interessiert daran gewesen sein, inwiefern westliche Geheimdienste Einfluss auf russische Oppositionelle haben.

«Es gab noch andere, komplexere Aufgaben – herauszufinden, ob es eine Zusammenarbeit mit dem Westen gibt, oder herauszufinden, was hinter den Kulissen einer bestimmten Organisation geschieht, ob die Opposition für amerikanische oder andere ausländische Geheimdienste arbeitet.» Auch Osipow soll nach Georgien geschickt worden sein, um die russische Gemeinschaft vor Ort zu überwachen. «Sobald der Krieg begann, bat mich mein Vorgesetzter, herauszufinden, wie die russische Gemeinschaft allgemein über die Invasion in der Ukraine denkt.»

Er soll beauftragt worden sein, herauszufinden, was die Russen über den Krieg in der Ukraine denken: Wsewolod Osipow.

Der Kreml und Putin hätten Angst, dass sich die Geschichte wie 1917 wiederholt, als Lenin nach Moskau kam und eine Revolution anzettelte. «Wenn im Ausland eine riesige Einwanderergemeinschaft entsteht, in der die Menschen frei miteinander sprechen, gemeinsam an Projekten arbeiten, ukrainischen Flüchtlingen helfen und im Grunde ein Mini-Russland im Ausland schaffen, das nicht unter der Kontrolle des FSB steht – dann haben sie Angst», sagte Osipow.