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Wes Anderson auf Netflix
Die perfekte Illusion

The Wonderful Story of Henry Sugar. Benedict Cumberbatch as Henry Sugar in The Wonderful Story of Henry Sugar. Cr. Netflix ©2023

Als vor einigen Monaten herauskam, dass der britische Verlag Puffin die Bücher von Roald Dahl überarbeitet hatte, um anstössige Adjektive loszuwerden, und damit eine heftige Debatte auslöste, war am Rande auch von Netflix die Rede: Der Streaminganbieter hatte 2021 die Roald Dahl Story Company gekauft, die die Rechte am Werk des 1990 verstorbenen Schriftstellers verwaltet.

Netflix wies die Vermutung zurück, man habe mit den literarischen Säuberungsaktionen zu tun gehabt, und weil sie da bei Netflix schon wussten, dass sie Wes Anderson losschicken wollten, einen kleinen Stapel Dahl-Geschichten zu verfilmen, hätten sie sich solche Wünsche tatsächlich sparen können. Auch Andersons Stop-Motion-Animationsfilm «Der fantastische Mr. Fox» (2009) war die Adaption einer Dahl-Geschichte – und er hat ihr vielleicht die klassenkämpferischen Elemente und einigen Schrecken ausgetrieben. Aber wer diesen füchsischen Gangsterfilm nicht liebt, ist trotzdem verrückt.

Anderson findet, man solle Dahls Texte gefälligst so lassen, wie der sie geschrieben hat.

Anderson unterläuft selbst schreckliche Dinge mit Humor und vor allem mit seinen Bildern, den unverwechselbaren Dekors, die artifiziell sind und als einzige wichtige Referenz doch die Wirklichkeit haben. Jedes Ding, das Anderson berührt, wird sofort dessen kleinem Universum einverleibt, zu einem eigenständigen Kunstwerk. Er würde sich Eingriffe vermutlich verbitten – und hat, als der erste seiner Netflix-Dahl-Filme in Venedig Premiere feierte, «The Wonderful World of Henry Sugar/Ich sehe was, was du nicht siehst» mit Benedict Cumberbatch, schon einmal beteuert, dass er finde, man solle Dahls Texte gefälligst so lassen, wie der sie geschrieben hat.

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Bei Netflix sind jetzt vier Kurzfilme abrufbar, die Anderson aus Dahl-Geschichten gemacht hat, «Gift», «Der Rattenfänger», «Der Schwan» und «Ich sehe was, was du nicht siehst». Und die sind auch düster, in «Der Schwan» geht es beispielsweise um einen Jungen, der von zwei anderen Kindern entsetzlich gequält wird, aber der Erwachsene, der aus dem Jungen wurde, ist immer dabei, und so verwandelt sich die Geschichte in eine, die vom Überleben erzählt.

Die Kulissen werden vor unseren Augen verschoben, als seien die Filme in Puppenhäusern gedreht.

Diese vier Filme spielen sich ab im Spannungsfeld zwischen Dahl, der seine Leser, vor allem die jungen, immer zu warnen scheint vor dem erratischen Bösen, das sie erwartet; und Andersons ganz eigentümlichem Stil, der immer auch eine Flucht in die Fantasie ist. Seine Filme sehen ja nicht aus Versehen immer künstlich aus, mit einer kindlichen Freude am Basteln, die jedes Stück Gerümpel zum Kunstobjekte werden lässt, schafft Anderson sich eine eigene Welt, die unserer ähnlich ist – nur ist sie beherrschbarer. Das sieht man schon daran, wie er dieses kleine Universum aufräumt und anordnet, oft inspiriert von den säuberlich sortierten Alltagsgegenstand-Skulpturen des amerikanischen Künstlers Tom Sachs.

The Swan. Asa Jennings as Peter Watson in The Swan. Cr. Netflix ©2023

Die Filme spielen in einer merkwürdigen Vergangenheit, in einer stilisierten Nachkriegszeit, Ralph Fiennes ist in allen zu sehen, als Roald Dahl und manchmal auch in anderen Rollen. Die Kulissen werden vor unseren Augen verschoben, als seien die Filme in Puppenhäusern gedreht, und die Schauspieler erzählen eigentlich mehr, als sie spielen; die Folter in «Der Schwan» sieht man nur als stilisierte Gesten. Aber die perfekte Illusion fügt sich eben erst im Hirn zusammen, aus Bildern und Gefühl.

Den Henry Sugar in «Ich sehe was, was du nicht siehst» spielt Benedict Cumberbatch, einen Lebemann aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der an einem verregneten Tag ein Büchlein findet in der Bibliothek seines Vaters. Henry ist selbstsüchtig und gierig, und eine geheimnisvolle indische Technik, mit der man durch die Dinge hindurchsehen kann, erlernt er nur, um beim Kartenspielen im Casino besser betrügen zu können. Als er dann aber jedes Spiel gewinnen kann und noch reicher ist, als er vorher schon war, und gar nichts mehr anfangen kann mit dem vielen Geld, macht er eine eigentlich zutiefst logische Entwicklung durch: Er wird zum Philanthropen.

Als seien die Filme in Puppenhäusern gedreht: Szene aus «Ich sehe was, was du nicht siehst».

Fortan bereist er in unterschiedlichsten Verkleidungen die Casinos der Welt, um mit dem erschwindelten Geld eine Flotte von Waisenhäusern zu finanzieren. So einfach wäre das, könnte man nur richtig sehen. Die Abenteuer von Henry Sugar, Flaggschiff der kleinen Reihe und mit vierzig Minuten mehr als doppelt so lang wie die anderen drei Filme, ist eine für Roald Dahls Verhältnisse ungewöhnlich gutmütige Geschichte.

Bei Wes Anderson wird nachgerade ein Stückchen moderne Kapitalismuskritik daraus, spielerisch und betrachtet wie aus der Perspektive eines Kindes, das zwar unsagbar klug ist, vom Leben aber noch nicht darüber belehrt wurde, dass es meistens anders läuft, als man denkt. Vielleicht war die Vergangenheit nie so, wie sie bei Wes Anderson aussieht – aber genau so hätte sie sein sollen.

«Ich sehe was, was du nicht siehst», «Gift», «Der Schwan», «Der Rattenfänger», sind auf Netflix zu sehen.