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Pedro Almodóvar im Interview
«Die Kamera hat meines Wissens keine sexuelle Orientierung»

«Als Kind habe ich nie Cowboy gespielt»: Regisseur Pedro Almodóvar mit seinen Hauptdarstellern Pedro Pascal (links) und Ethan Hawke (rechts).
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Pedro Almodóvar, Ihr Kurzfilm gilt als erster queerer Western. Einverstanden?

Ach, ich bin kein Fan solcher Etiketten. Aber wenn es dem Film nützt, dann soll es so sein. Es ist tatsächlich ein klassischer Western. Und es geht um die Leidenschaft und das Verlangen zwischen Männern.

In «Brokeback Mountain» stand bereits 2005 die Liebe zwischen zwei Cowboys im Mittelpunkt. Hätten Sie damals nicht auch Regie führen sollen?

Ich erhielt das Drehbuch tatsächlich zugeschickt. Aber nach langem Zögern lehnte ich ab.

Weshalb?

Offiziell sagte ich, mein Englisch sei zu wenig gut. Das hat bestimmt auch eine Rolle gespielt. Es gab allerdings einen weiteren Grund: Ich kannte die Kurzgeschichte, auf der dieser Film basiert, die kanadische Autorin Annie Proulx verehre ich seit langem. Und im Verhältnis zu ihrer Vorlage war mir das Drehbuch zu brav.

«Hollywood spricht nie darüber, was diese Männer nachts auch noch tun könnten.»

Zu wenig Sexszenen?

Ja. Oder besser gesagt, zu wenig animalische Szenen. Es geht in «Brokeback Mountain» für mich um körperliche Anziehungskraft, die beiden Protagonisten sind nicht unbedingt homosexuell, sie haben kalt in den Bergen, kuscheln sich aneinander in der Nacht, dann siegt das Verlangen. Aber ich hatte damals zu wenig Erfahrung, um mich auf diese Deutung und die daraus resultierenden Kämpfe mit dem US-Studio einzulassen. Ang Lee, der den Film dann realisierte, hat im Rahmen der damaligen Möglichkeiten das Beste herausgeholt. Ich mag seine Version.

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Und erweisen ihr in «Strange Way of Life» die Ehre.

Ja, am Ende geht es um die Frage, ob die beiden Männer zusammen auf einer Farm leben könnten. Diesen Vorschlag gab es auch schon in «Brokeback Mountain». Aber das ist nicht verwunderlich. Eigentlich gehört das zu den Widersprüchen des Western-Genres.

Was meinen Sie?

Im Zentrum stehen doch stets Männer in der Prärie. Sie kochen zusammen, essen, liegen dann gemeinsam am Feuer. Aber Hollywood spricht nie darüber, was diese Männer nachts auch noch tun könnten. Das ganze Spektrum der Sexualität der Menschen wird nie thematisiert. Der Western ist ein heterosexuelles Männer-Genre.

Wiederbegegnung nach vielen Jahren: Der Dorfsheriff (Ethan Hawke, links) und sein ehemaliger Mitstreiter und Geliebter (Pedro Pascal) in Almodóvars Kurzwestern «Strange Way of Life».

Aber es gibt doch den berühmten Western «Johnny Guitar» mit zwei Frauen.

Eine grosse Ausnahme. Und in diesem Klassiker von Nicholas Ray sind die beiden Frauen genauso Machos wie sonst die Männer, mit Pistolen und allem. Die weiblichste Figur ist eigentlich der Mann, der titelgebende Johnny Guitar.

Weshalb wollten Sie einen Western drehen?

Das wollte ich gar nicht. Ich war nie ein besonderer Fan, als Kind habe ich nicht Cowboy und Indianer gespielt. Die relevanten Filme des Genres habe ich erst mit über zwanzig entdeckt. Als Regisseur bin ich da eher reingerutscht.

Reingerutscht?

Ja, ich schreibe manchmal Dialoge, einfach so, zu meinem Vergnügen und als Übung. So entstand dieses Gespräch zwischen zwei Männern, am Morgen nach einer heftigen Liebesnacht. Ich dachte, ich könnte es vielleicht für ein Theaterstück verwenden, in Madrid gibt es so kleine Off-off-Bühnen. Aber dann erhielt ich den Vorschlag, einen englischsprachigen Kurzfilm zu drehen, und eines ergab das andere.

«Verlangen hört doch mit 50 Jahren nicht auf»: Intime Szenen am Morgen danach mit Pedro Pascal und Ethan Hawke.

Es gibt in Ihrem Film tatsächlich Szenen, die so noch nie in einem Western zu sehen waren.

Sie meinen die Unterhosen in Grossaufnahme? Das ist wohl tatsächlich eine Western-Premiere. Aber der Blick in die Wäscheschublade des Sheriffs ist wichtig, die beiden Männer sind an diesem Morgen völlig dünnhäutig, sie zeigen sich von ihrer verletzlichsten Seite. Ich fand den Anblick dieser Unterwäsche fast intimer als Sex.

«Dass Modehäuser wie Yves Saint Laurent Filme produzieren, ist eine gute Nachricht. Wichtig ist, dass sie einem dabei alle künstlerische Freiheiten lassen.» 

Die Westernhelden werden von Pedro Pascal und Ethan Hawke gespielt, die beide um die 50 Jahre alt sind.

Es ist wichtig, dass in Filmen Männer – und natürlich auch Frauen – gezeigt werden, die älter sind und immer noch ein Verlangen haben. Das hört doch nicht auf mit fünfzig, mit sechzig und siebzig auch nicht. Nur die Werbung gaukelt uns vor, Sex sei etwas für verführerische junge Menschen.

Apropos Werbung: Der Film wurde von Yves Saint Laurent produziert.

Das sind gute Neuigkeiten für Filmschaffende, Prada hat kürzlich auch einen Kurzfilm produziert. Modehäuser wollen offensichtlich in diese Richtung expandieren. Wichtig ist, dass sie einem dabei alle künstlerischen Freiheiten lassen. Falls diese Häuser verlangen sollten, die Charaktere müssten ihre Kleider und ihre Juwelen tragen, wäre das fatal. Bei mir war das in keiner Sekunde der Fall. Ich musste fast um ein paar ihrer Kleider betteln…

In Ihrem Kurzfilm ist die Geschichte der beiden Männer nicht zu Ende erzählt.

Ich habe «Strange Way of Life» immer in dieser Länge von 30 Minuten gesehen, ich mag das Kurzfilm-Genre, fühle mich freier darin. Aber ich gestehe: Ich habe tatsächlich eine zweite Hälfte des Films geschrieben. Die spielt auf einer US-Ranch, zu einem grossen Teil aber auch in Mexiko. Ich weiss nicht, ob ich das je filmen werde. Die Fortsetzung wäre teuer, mit all den historischen Rekonstruktionen.

Es wäre dann nach «Brokeback Mountain» der erste queere Western in Spielfilmlänge.

Genau, das Etikett bliebe wohl erhalten. Aber ich nehme meine Filme mit Kameras auf, die Kamera hat meines Wissens keine sexuelle Orientierung, oder? Ich erinnere mich noch, als mir zu Beginn meiner Karriere das Etikett schwul angehängt wurde, hat mich das fürchterlich aufgeregt.

«Ich will nie in meinem Leben etwas beichten, egal was. Ich bin Atheist.»

Weshalb?

In Europa war es kein Thema, aber als ich in den USA langsam bekannt wurde, war überall von diesem neuen schwulen Regisseur aus Madrid die Rede. Bill Clinton war damals US-Präsident, ich sagte den Journalisten jeweils, sie würden ja auch nicht schreiben, der heterosexuelle Präsident habe ein neues Gesetz unterzeichnet.

Almodóvars schwierigster Darsteller: Nein, nicht Ethan Hawke, sondern das Pferd. 

Schwul ist in dieser Hinsicht irrelevant.

Genau. Als Regisseur mag ich gut sein oder schlecht, meinetwegen schrill, was immer Sie mögen. Aber homosexuell ist kein Etikett. Ich war mein Leben lang schwul, habe es nie versteckt. In den USA beschäftigt man sich bis heute fast obsessiv mit der Sexualität der einzelnen Menschen, diese sollen immer etwas gestehen und beichten, heute noch komplizierter als früher. Ich will nie in meinem Leben etwas beichten, egal was. Ich bin Atheist.

Wir haben über Western gesprochen, aber noch nicht über Pferde. Wie halten sie es mit diesen?

Verrückt, ich hatte in meiner ganzen Karriere noch nie ein Pferd gefilmt. Es sind schöne, kräftige Tiere, aber vor der Kamera sind sie von einer kaum zu erwartenden Fragilität: Bewegung erschreckt sie, Lärm ebenfalls. Es war ein Albtraum, als müsste man Zweijährige filmen. Aber im fertigen Film sehen die Tiere wunderbar aus. Das ist die Magie des Filmemachens.

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«Strange Way of Life» startet am 17. August im Kino, zusammen mit «The Human Voice», dem ersten englischsprachigen Kurzfilm von Pedro Almodóvar aus dem Jahr 2020.