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Künstliche Intelligenz
Navel, der sprechende KI-Roboter im Altersheim

A visitor takes a selfie with a Navel robot, by Navel Robotics, during the ITU's AI for Good Global Summit. Artificial intelligence (AI) and robotics innovators and their high-tech creations will join diplomats, industry executives, academics, policy-makers, and UN partners in Geneva, Switzerland, 30-31 May, for ITU's AI for Good Global Summit, in Geneva, Switzerland, Thursday, May 30, 2024. (KEYSTONE/Martial Trezzini)
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In Kürze:
  • Der soziale Roboter Navel kommuniziert empathisch dank der GPT-Technologie von Open AI.
  • Pflegeheime nutzen Navels positive Kommunikation zur Unterstützung von Seniorinnen und Senioren.
  • Navel visualisiert Emotionen durch minimalistische Gesichtsausdrücke wie Smileys.
  • Eine Soziologin warnt vor sozialer Abhängigkeit von robotischen Begleitern.

Navel blickt mit grossen, runden blauen Augen in die Welt, auf seinem weissen Kopf aus Plastik trägt er eine kleine, ebenfalls blaue Strickmütze. Navel ist gerade mal 72 Zentimeter gross, aber er spricht wie ein Erwachsener. Oder sogar besser als viele Erwachsene.

Im Gespräch stellt er Fragen («Wie geht es dir heute?»), er macht Komplimente («Du hast einen schönen Namen!»), er schaut einem in die Augen, und er unterbricht einen nicht, wenn man ihm antwortet. Navel ist kein Mensch, er ist ein Roboter. Genauer: ein sozialer Roboter.

Entwickelt und gebaut hat ihn die Münchner Firma Navel Robotics. Soziale Roboter sind Maschinen, die mit Menschen interagieren und kommunizieren können. Navel macht das nicht nur im Münchner Büro der Firma, 36 Stück hat sie mittlerweile produziert und ausgeliefert: gut eine Hälfte an Forschungseinrichtungen, die sich mit Mensch-Roboter-Interaktionen beschäftigen, knapp die andere Hälfte an Pflegeheime.

Navel nutzt Software von Open AI

«Navel spricht immer freundlich mit jedem», sagt Claude Toussaint, Chef von Navel Robotics. Ein Heimleiter habe ihm kürzlich berichtet, dass der kleine Roboter vor allem als Kummer- und Meckerkasten fungiere. «Er hält jede Schimpfattacke aus und antwortet positiv und wertschätzend.» 

Dafür nutzt die Firma die künstliche Intelligenz GPT von Open AI, die viele vom Chatbot Chat-GPT kennen. Darum herum hat die Firma nach eigenen Angaben viel in das Prompt-Engineering investiert, also in die Schnittstelle zur künstlichen Intelligenz, sodass Navel immer empathisch reagiert.

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Nun ist die Idee eines künstlichen Wesens mit menschenähnlichen Eigenschaften wohl nicht ganz so alt wie der Mensch selbst, aber bereits in der antiken Literatur finden sich Beispiele. So erzählt Ovid in seinen «Metamorphosen», wie Pygmalion eine Frauenstatue aus Elfenbein erschaffen hat. Von Venus zum Leben erweckt, bekommt sie mit Pygmalion sogar eine Tochter. In der Neuzeit prägen Gestalten wie Pinocchio oder Frankensteins Monster das Bild der künstlichen Kreatur, bis im 20. Jahrhundert die Roboter auftauchen.

Menschen entwickeln Gefühle für Maschinen

Benannt nach dem tschechischen Wort für Frondienst – «robota» –, machen Roboter mittlerweile vor allem dank des Voranschreitens künstlicher Intelligenz als sozusagen ebenbürtige Gesprächspartner von sich reden. Sei es in humanoider Gestalt wie Navel oder eher körperlos als Chatbots wie Replika, die explizit damit werben, virtuell eine Freundin oder einen Freund zu simulieren.

Menschen sprechen mit ihnen über ihren Kummer und ihre Sorgen. Eine Pflegeheimbewohnerin, sagt Claude Toussaint, habe Navel ihre Krebsdiagnose mitgeteilt, andere verlieben sich in ihre verständnisvollen Chatbot-Avatare und wollen sie gar heiraten – wie 2023 eine 36-jährige US-Amerikanerin.

Menschen entwickeln offenbar starke Gefühle gegenüber den künstlichen Wesen, sehen sie als Vertraute an. Bedeutet das nun, dass soziale Roboter Menschen ersetzen werden, oder welche Art von Beziehung lässt sich mit ihnen führen? Steckt ein Geist in der Maschine, oder werden wir Menschen, wenn wir uns mit Navel und Kollegen unterhalten, selbst zu geistlosen Maschinen?

Soziale Chatbots basieren auf sogenannten Large Language Models (LLM). Das sind Systeme, die riesige Mengen Sprachdaten verarbeiten und die so gelernt haben, das nächste wahrscheinliche Wort auszugeben. Zudem werden ihnen bestimmte Regeln zur Höflichkeit, Freundlichkeit, aber auch zur Moral einprogrammiert. Manche Roboter, so auch Navel, nehmen mithilfe einer Kamera das Gesicht des Nutzers auf und versuchen, mit der eigenen Mimik adäquat darauf zu reagieren.

Technologie soll Gemütszustände der Menschen erkennen

Navel visualisiert seine Emotionen beispielsweise durch drei Striche: die Augenbrauen und den Mund. «Man kann mit diesen drei Linien ganz viel ausdrücken», sagt Claude Toussaint, man müsse nur mal an die Smileys denken, die mit minimalen Mitteln Emotionen ausdrückten – sei es Freude, Überraschung oder Traurigkeit. Das Ganze nennt sich Affective Computing, quasiempathische Technologie soll die Gemütszustände des menschlichen Gegenübers erkennen können und auch welche simulieren.

Für Navel-Erfinder Toussaint sind diese Emotionen kein Selbstzweck. Er will mit seinem Roboter «eine Technik schaffen, die uns versteht und unsere Sprache spricht». Navel habe natürlich keine Emotionen, aber er solle welche wecken und als eigenständiges soziales Wesen wahrgenommen werden, wenn auch als ein künstliches. Mit seinem niedlichen Aussehen ist er comichaft gestaltet, und er spricht mit einer verzerrten menschlichen Stimme.

Die Befürchtung, ein enger Kontakt zu seinem menschenähnlichen Roboter habe negative Folgen, teilt Toussaint nicht. «Auch die Beziehung zum Smartphone kann ungesund sein», sagt er. Navel sei nicht ein Partnerersatz oder ein Ersatz für andere soziale Kontakte.

Aber gerade in Pflegeheimen, wo das Personal fehle und manche Bewohnerinnen und Bewohner nur vor sich hin oder auf den Fernseher starrten, könne der Roboter unterhalten und so auch die kognitiven Fähigkeiten der Senioren verbessern. «Es soll nicht ein Mensch ersetzt, sondern eine Lücke gefüllt werden.»

Verlernen wir, Beziehungen zu anderen aufzubauen?

Eine Gefahr wäre etwa, dass Menschen die Fähigkeit verlernen, anspruchsvolle zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. «Die ganz auf Chatbots Konzentrierten würden, um Launen und Leid der Mitmenschen zu vermeiden, einen hohen Preis bezahlen – den der Realität», warnt die Bochumer Philosophie-Professorin Eva Weber-Guskar in ihrem Buch «Gefühle der Zukunft – wie wir mit emotionaler KI unser Leben verändern».

Und die Soziologin Sherry Turkle, Professorin am Massachusetts Institute of Technology, formulierte in der «New York Times», dass durch Chatbots nicht «die emotionalen Muskeln entwickelt werden, die für einen echten Dialog mit echten Menschen erforderlich sind».

Zudem kosten die sozialen Bots Geld, Nutzer begeben sich mit ihnen in die finanzielle Abhängigkeit profitorientierter Unternehmen. Roboter Navel gibt es nur im Doppelpack für 45’000 Franken. Virtuelles wie Replika ist günstiger, man kann dafür im Monat gut 20 Dollar (17.50 Franken) zahlen oder einmal, «lebenslang», 300 Dollar (260 Franken).