Corona-Mutation bedroht WeltwirtschaftWenn Omikron China lahmlegt, haben alle ein Problem
China versuchte bisher, alle Covid-Ausbrüche radikal einzudämmen. Mit Omikron könnte das schwierig werden. Dabei sind viele Konsumartikel bereits jetzt ein knappes Gut.
13 Millionen Menschen sitzen im Moment in der chinesischen Stadt Xi’an zu Hause im Lockdown. Am Sonntag forderten die Behörden sie auf, alle Fenster und Türen zu schliessen, weil sie die ganze Stadt in einer gross angelegten Aktion desinfizierten. Während die Chemikalienwolken durch die Strassen zogen, fragte sich wohl so mancher im Stillen, wie zielführend diese Aktion sein würde.
China ist eines der wenigen Länder weltweit, das noch immer an einer Zero-Covid-Strategie festhält. Entdecken die Behörden irgendwo Fälle, riegeln sie die betroffenen Gebiete ab. Am Dienstag wurden im 300 Kilometer von Xi’an entfernten Yan’an alle Geschäfte geschlossen. Hunderttausende Menschen in einem Stadtbezirk wurden unter Quarantäne gestellt. Mit der hochansteckenden Omikron-Variante wird es jedoch zunehmend schwierig, an dieser Politik festzuhalten.
Experten fürchten nun, dass eine mögliche Omikron-Welle in China Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben könnte. So warnte der deutsche Virologe Christian Drosten im Interview mit der «SonntagsZeitung»: «Der Impfstoff, der in China verwendet wurde, hat eine schlechte Wirksamkeit gegen Omikron. Das ist eine echte Gefahr für die Weltwirtschaft.»
Chinesische Wissenschaftler haben zwei eigene Impfstoffe entwickelt: CoronaVac (Hersteller Sinovac) und BBIBP-CorV (Hersteller Sinopharm). In Europa kommen sie nicht zum Einsatz, weltweit ist CoronaVac jedoch der am meisten verwendete Impfstoff. Neue Studien zeigen nun aber, dass er schlecht vor der Omikron-Variante schützt, sogar nach einer Booster-Impfung. Beide chinesischen Impfstoffe arbeiten mit inaktivierten Viren und lösen nicht eine so starke Immunantwort aus wie jene Impfstoffe, die auf der mRNA-Methode (Pfizer, Moderna) basieren.
Die Lieferprobleme werden sich noch drastisch verschärfen
Seit Monaten spüren wir in der Schweiz, wie die Pandemie den weltweiten Warenfluss durcheinanderwirbelt. Elektronik, Möbel, Autos und andere Konsumartikel sind teilweise ein knappes Gut. Könnte sich die Situation mit Omikron in China weiter verschlimmern? «Ich sehe im Moment erhebliche Gefahren für die internationalen Lieferketten», sagt David Dorn, Professor für Globalisierung und Arbeitsmärkte an der Universität Zürich.
Schweizer Unternehmen nehmen mögliche Turbulenzen im Moment zwar noch nicht wahr. «Die Häfen in China laufen normal», sagt ein Sprecher des Transportlogistikers Kühne+Nagel. Auch Nestlé meldet: «Unsere Produktion in China läuft ohne Störungen. Wir sehen zurzeit auch keine Probleme in der Lieferkette.» Und auch ein ABB-Sprecher erklärt, die neuerlichen Massnahmen in China hätten derzeit keinen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsaktivitäten. Weil sich Omikron so schnell verbreitet, könnte sich das jedoch schnell ändern.
«Die Firmen haben zwar versucht, Alternativen zu finden und sind nach wie vor mit Hochdruck dran. Aber das geht nicht von heute auf morgen.»
«Die Lieferprobleme der letzten Monate könnten sich noch einmal drastisch verschärfen, falls es in China zu einem grösseren Ausbruch kommt oder falls China diesen Ausbruch mit grossflächigen Einschränkungen zu bekämpfen versucht», sagt Dorn. Wenn sich die chinesische Regierung gezwungen sehe, gewisse Regionen abzuriegeln, so habe das immer auch Folgen für die Produktionskapazitäten der dortigen Unternehmen und die Transportketten.
Nach Einschätzung von Economiesuisse-Chefvolkswirt Rudolf Minsch könnte der Omikron-Ausbruch in China auch für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten spürbar sein. Denn viele Zulieferteile oder Rohstoffe für Produkte stammen aus China. «Die Firmen haben zwar versucht, Alternativen zu finden und sind nach wie vor mit Hochdruck dran. Aber das geht nicht von heute auf morgen», sagt Minsch. Die mit Ausbruch der Krise erwartete Rückverlagerung der Produktion nach Europa habe nicht stattgefunden. Viele Firmen hätten sich eher einen zweiten Zulieferer in China gesucht. Damit sind sie vor allem gut gegen lokale Lockdowns in China gerüstet – gegen einen grösseren Lockdown aber machtlos.
Für diesen Fall seien Engpässe zu erwarten – von Chips über Aluminium, chemische Erzeugnisse bis hin zu Rohstoffen. Unmittelbar befürchtet Minsch ein solches Szenario aber nicht: «Viele Unternehmen haben die Lagerbestände deutlich erhöht und über Weihnachten vorgesorgt. Wenn es aber zu längeren Unterbrüchen kommt, würde sich die Situation nochmals akzentuieren», so Minsch.
Die Olympischen Spiele könnten die Situation verschärfen
«China wird grosse Probleme mit Omikron und seiner Zero-Covid-Politik bekommen», schrieb auch der südafrikanische Epidemiologe Tulio de Oliveira vor drei Tagen auf Twitter. De Oliveira und sein Team machten die WHO als Erste auf die Omikron-Variante aufmerksam.
Die Frage ist, wie lange und wie heftig Omikron China treffen wird. «Wenn sich China zu grösseren und wiederkehrenden Lockdowns gezwungen sieht, kann das auch grössere Auswirkungen auf die Schweizer Exportwirtschaft haben», sagt Dorn. Selbst wenn die Regierung in Peking die Zero-Covid-Strategie aufgeben würde, könnten die Fallzahlen so stark ansteigen, dass Lockdowns wieder nötig würden, um das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Wegen der langjährigen Ein-Kind-Politik wächst auch in China die Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-Verlauf haben.
Mit einer Beeinträchtigung der Medikamentenversorgung ist trotz allem nach Einschätzung von Novartis aber nicht zu rechnen. «Wir erwarten keine materiellen Auswirkungen auf unsere Produktion», sagt ein Sprecher, «einerseits sind unsere Lieferketten gut diversifiziert und andererseits haben alle Teilnehmer bereits aus früheren Lockdowns gelernt, die Lieferketten für Medizin aufrechtzuerhalten.»
In sechs Wochen sollen zudem die Olympischen Spiele in China stattfinden, und viele Menschen aus der ganzen Welt werden nach China reisen. «Unter diesen Umständen die Olympischen Spiele durchzuführen, ist eine sehr grosse Herausforderung», sagt Dorn, «vielleicht müsste man es wie bei den Spielen in Tokio ohne Publikum versuchen. Aber mit der hochansteckenden Omikron-Variante ist alles noch viel schwieriger.»
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