Mamablog: Stubenhocker, na und?Wenn Kinder gerne allein sind
Die Tochter unseres Autors will oft einfach ihre Ruhe haben. Er kann das nachvollziehen – und macht sich dennoch Sorgen.
«Tochter, was machst du da?», frage ich meine Sechsjährige, die auf dem Teppich liegt und seit 20 Minuten fröhlich vor sich hin summend aus dem Fenster schaut. «Ach, ich denke mir so Sachen aus», antwortet sie, kichert kurz und summt dann einfach weiter.
«Magst du mir erzählen, was das für Sachen sind?», erkundige ich mich neugierig.
«Nein, das sind meine Sachen, lalala.» Klare Antwort.
Mit dem Kopf spazieren gehen
Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Erstens ist meine Jüngste grundsätzlich gerne mit ihren Gedanken allein. Vielleicht entspringt das ihrer Persönlichkeit, vielleicht ihrer Rolle oder beides zusammen. Aber seitdem sie als Baby ihre restlichen Familienmitglieder mit ihren Blicken fixieren konnte, guckt sie sich das ganze Chaos an und denkt sich ihren Teil.
Und zweitens ging es mir als Kind sehr ähnlich. Ich wollte auch oft einfach nur meine Ruhe haben und über Dinge und Geschichten nachdenken. Also lag ich im Bettkasten oder sass in dem grossen Bettwäschekorb mit Deckel. Ich wollte nicht gefunden oder vermisst werden. Der Plan war nicht, den Rest meiner Familie durch meine Abwesenheit darauf aufmerksam zu machen, dass es mich ja auch noch gibt. Ich wollte einfach nicht unterbrochen werden oder mich erklären.
Als Kind hatte ich andauernd das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Wo gehst du hin, was machst du gerade, warum bist du nicht draussen, mit wem hast du heute gespielt, wieso sitzt du im Wäschekorb? Das war nicht einmal unfreundlich gemeint oder formuliert, sondern hauptsächlich aus Neugier und Sorge geboren.
Irgendwie steckt mir der «Stubenhocker»-Vorwurf aus meiner Kindheit noch in den Knochen.
Ich würde an dieser Stelle gerne behaupten, dass es nur die Neugier ist, die mich dazu treibt, meine Tochter zu fragen, was sie da gerade tut, wenn sie einfach da liegt und in ihrem Kopf spazieren geht. Zumal mir das wie erwähnt sehr vertraut ist. Ich kann die Sorge aber trotzdem nicht abstellen: Hängt sie jetzt den ganzen Tag hier drinnen herum, wo das Wetter draussen doch so schön ist? Wie lange liegt sie da schon? Wann war sie das letzte Mal mit jemandem verabredet? Und das, obwohl Maja viele Freundinnen und Freunde hat, gerne mit ihnen Zeit verbringt und andauernd in Plänen und Unternehmungen steckt.
Aber irgendwie steckt mir der «Stubenhocker»-Vorwurf aus meiner Kindheit noch in den Knochen. Den ich kassiert habe, obwohl ich wie meine Tochter gerne draussen war und viel mit Freunden unternommen habe. Aber ich war eben auch gerne allein, um endlich, ENDLICH mal ungestört zu sein.
Das Alleinsein nicht problematisieren
Scheinbar wirkte das verdächtig. Und das tut es in Gestalt meiner Tochter anscheinend immer noch. Denn offenbar kann ich das Ganze nicht einfach fröhlich summend auf dem Teppich liegen lassen. Dabei gebe ich mir wirklich Mühe. Ich versuche nicht, einen Gegenvorschlag nach dem anderen zu dem zu machen, was mir zu wenig erscheint, aber ihr vollkommen genügt. Ich bemühe mich, ihr diese Beschäftigung nicht zu zernörgeln. Ich nehme mir vor, ihre Begeisterung fürs Alleinsein nicht zu problematisieren.
Denn eigentlich, und nicht nur eigentlich, ist das eine grossartige Sache: gerne Zeit mit sich selbst zu verbringen. Über einen grossen Reichtum an innerer Welt zu verfügen und darin auf Reisen gehen zu können. Sich nicht permanent zu langweilen, wenn kein Unterhaltungsprogramm geboten wird.
Es ist nicht ihre Aufgabe, meine Sorge darüber zu beschwichtigen, sie könnte sich darin verlieren. Es ist meine Aufgabe, damit endlich Frieden zu machen, und den kleinen Jungen im Bettkasten wissen zu lassen, dass er dort gerne noch länger bleiben kann. Denn es ist gut, allein sein zu wollen und zu können. Es ist nur nicht gut, allein bleiben zu müssen.
Falls Sie also demnächst irgendwo einen mittelalten summenden Mann liegen sehen, gehen Sie gerne einfach weiter. Wahrscheinlich denke ich mir gerade irgendetwas aus.
Gibt es in Ihrem Familiengefüge auch den einen oder anderen Stubenhocker, liebe Leser und Leserinnen? Diskutieren Sie mit.
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