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Meinung

Kolumne von Michael Hermann
Wenn es kriselt, hat es die SVP schwer

Überraschender Beinahe-Erfolg: Am Ende des Booms der späten 60er-Jahre fand die Schwarzenbach-Initiative gegen die «Überfremdung» regen Zuspruch.
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Offiziell wurde die Verschiebung des Abstimmungstermins vom Mai in den September zwar anders begründet, doch seit Jahren drehen sich die taktischen Überlegungen des Bundesrats immer auch um die Begrenzungsinitiative der SVP. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie steht nun zudem eine Frage im Raum: Kann die auf einmal ganz reale Furcht vor Arbeitsplatzverlust der Initiative neuen Auftrieb geben? Die Geschichte lehrt das Gegenteil: Zuwanderungsinitiativen in der Schweiz leben vom Boom und nicht von der Krise.

Die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verunsicherung die Zuwanderungsskepsis nährt, hält den Schweizer Erfahrungen nicht stand.

Der überraschende Beinahe-Erfolg der Schwarzenbach-Initiative 1970 bildete den Abschluss des langen Nachkriegsbooms. Nachdem die Schweiz in den 1990er-Jahren erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit erhöhter Arbeitslosigkeit zu kämpfen gehabt hatte, ging dagegen die 18-Prozent-Initiative richtiggehend unter. Als dann die Masseneinwanderungsinitiative 2014 tatsächlich eine Mehrheit fand, stand die Schweiz wieder auf dem Höhepunkt eines Booms.

Insbesondere im Vergleich zum umliegenden Europa war das Land in exzellenter wirtschaftlicher Verfassung und gerade deshalb so attraktiv für Arbeitssuchende. Der aktuelle Kontext im Vorfeld der Begrenzungsinitiative ist jedoch am ehesten mit einer weiteren, längst vergessenen Überfremdungsinitiative vergleichbar, nämlich jener von 1974. Nach Schwarzenbachs Achtungserfolg war damals die Nervosität gross, doch der Ölpreisschock von 1973 und die darauf folgende Inflation hatten das Boom-Gefühl weggefegt, und die neue Initiative erreichte einen Ja-Stimmen-Anteil von gerade einmal 34 Prozent.

Die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verunsicherung die Zuwanderungsskepsis nährt, hält den Schweizer Erfahrungen nicht stand. Das zeigte sich gerade auch bei der Masseneinwanderungsinitiative, deren regionale Zustimmung nicht mit der Situation am Arbeitsmarkt, dafür umso mehr mit kultureller Migrationsskepsis im Stil der Minarettinitiative zusammenhing. Umso erstaunlicher ist, dass Bundesbern nun die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose zum Kern der Abwehrstrategie gegen die SVP-Initiative gemacht hat.

Es waren keine inländischen Ereignisse und Erfahrungen, die den Weg dazu bereiteten. Es waren die Schockwellen von 2016, die auch auf die Schweiz übergeschwappt sind. Neben dem Brexit etablierten damals vor allem Trumps Erfolge in den darbenden Industriezonen des Mittleren Westens, des «Rust Belt», die Vorstellung einer wirtschaftlich abgehängten Arbeiterschaft, die sich nun dem Rechtspopulismus zuwenden würde.

Der westliche Bubble-Populismus der 2010er-Jahre war letztlich das Produkt einer nie zuvor da gewesenen Wohlstandsdekadenz.

Datenbasierte Analysen zeigten zwar, dass nicht wirtschaftliches, sondern kulturelles Unbehagen für Trumps Wahl entscheidend war, doch das neue Narrativ war zu wirksam, um wieder zu verschwinden. Linke Linke und Gewerkschafter sahen darin endlich ein Druckmittel gegen das gemässigte Establishment. Halb-Rechte und Konservative dagegen eine angenehme Legitimation für ihre eigene Zuwanderungsskepsis. Ohne die Ereignisse von 2016 wären in der Schweiz die flankierenden Massnahmen kaum zum grossen Thema der Gewerkschaften und die Überbrückungsrente kaum zum taktischen Abwehrinstrument gegen die SVP-Initiative geworden.

Doch nicht nur die Schweizer «Überfremdungsinitiativen», sondern auch Brexit und Trump sind letztlich keine Krisen-, sondern Boom-Phänomene. 2016 gönnten sich viele den Luxus, einen Mann ins Weisse Haus zu wählen, dessen grösste Begabung darin besteht, Ressentiments zu pflegen. Und viele wollten es sich damals leisten, der EU den Finger zu zeigen.

2020 jedoch herrscht in der westlichen Welt erstmals seit langem eine reale, tiefe Krise. Mit der Folge, dass die Proportionen von echten und eingebildeten Problemen wieder besser erkennbar und Scheinproblemlöser wie Trump als solche entlarvt werden. Der westliche Bubble-Populismus der 2010er-Jahre war kein Schritt zurück Richtung totalitäre 1930er-Jahre, wie viele Intellektuelle vermuteten, er war letztlich das Produkt einer nie zuvor da gewesenen Wohlstandsdekadenz.

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