Pressekonferenz zur SVP-Begrenzungsinitiative«Die Annahme wäre der Super-GAU für unser Land»
Der Bundesrat sowie Sozialpartner haben den Abstimmungskampf gegen die Begrenzungsinitiative der SVP lanciert. Wir berichteten live.
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Das Wichtigste in Kürze:
- Bundesrätin Karin Keller-Sutter startet heute die Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative der SVP.
- Die Abstimmung findet am 27. September 2020 statt.
- Die Justizministerin und die Sozialpartner haben ihre Argumente gegen die Initiative dargelegt. Sie fürchten bei einer Annahme das Ende der Bilateralen mit der EU.
- Ein Ja hätte zudem unangenehme wirtschaftliche Folgen für die Schweiz.
- Auch die Abkommen Schengen und Dublin stehen auf dem Spiel, warnt Keller-Sutter.
Zusammenfassung
Zweiter Startschuss für den Abstimmungskampf: Justizministerin Karin Keller-Sutter hat am Montag die wegen der Corona-Pandemie verschobene Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative der SVP neu lanciert. Mit dabei waren dieses Mal auch die Sozialpartner.
Bereits am 11. Februar war Keller-Sutter vor die Medien getreten, um die Argumente des Bundesrats gegen die Begrenzungsinitiative darzulegen. Ein paar Wochen später wurde der Politbetrieb wegen der Pandemie lahmgelegt. Der im Mai angesetzte Abstimmungstermin fiel ins Wasser. Der nächste Urnengang findet nun am 27. September statt.
Die wohl gewichtigste der fünf Vorlagen ist die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)" der SVP. Keller-Sutter hat Verstärkung geholt. Diesmal stand ihr nicht der oberste Kantonsvertreter zur Seite, dafür waren die vier Spitzen der Sozialpartner anwesend.
Erfolgreiche Verhandlungen wohl utopisch
An der Begründung der ablehnenden Haltung zur Initiative hat sich nichts geändert. Bundesrat, Gewerkschaftsbund, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband und Travail Suisse fürchten sich insbesondere vor dem Ende der bilateralen Beziehungen mit der EU, falls die Begrenzungsinitiative von Volk und Ständen angenommen würde.
Das Volksbegehren stellt den bilateralen Weg infrage. Es verlangt, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU innerhalb eines Jahres neu verhandelt wird. Einen Erfolg halten sowohl Keller-Sutter als auch alle anderen Gegner der Initiative für unrealistisch.
Zurück auf Feld eins
Bei einem Scheitern der Verhandlungen müsste die Schweiz das Abkommen kündigen. Wegen der Guillotine-Klausel träten alle weiteren Verträge der Bilateralen I ebenfalls ausser Kraft. Die Schweiz würde gemäss einer Studie hunderte Milliarden Franken an Wirtschaftsleistung einbüssen. Auch die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen stünden auf dem Spiel, mit entsprechenden Folgen für die Sicherheit, das Asylwesen oder den Grenzverkehr.
«Eine Annahme hätte schwerwiegende Folgen für die Arbeitsplätze und den Wohlstand in der Schweiz», sagte Keller-Sutter vor den Bundeshausmedien – dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaft Stabilität und Perspektiven brauche. Bei einem Ja zur Initiative hätte die Schweiz innerhalb eines Jahres einen vertragslosen Zustand. Die Verhandlungen mit der EU müssten wieder von vorne beginnen.
Corona-Krise als Zusatzargument
Gerade in der aktuellen Corona-Krise sei «keine Zeit für politische Experimente», sagte Keller-Sutter. Die Wirtschaft solle sich jetzt so rasch wie möglich erholen können und so konkurrenzfähig werden wie vor der Krise. «Es geht darum, unsere Arbeitsplätze und damit unseren Wohlstand zu sichern.»
Die SVP stellt indes die Nachteile der Personenfreizügigkeit ins Zentrum ihrer Argumentation für die Initiative. Sie fürchtet sich davor, dass die Löhne unter Druck geraten oder Arbeitskräfte verdrängt werden könnten.
Neues Sozialwerk steht
Die SVP stellt indes die Nachteile der Personenfreizügigkeit ins Zentrum ihrer Argumentation für die Initiative. Sie fürchtet sich davor, dass die Löhne unter Druck geraten oder Arbeitskräfte verdrängt werden könnten.
Die Initiativgegner verweisen auf die Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Dazu gehören die Stellenmeldepflicht in Berufen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, Weiterbildungsangebote und Jobcoaching oder die geplanten Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose.
Letztere hat das Parlament in der vergangenen Woche verabschiedet. Mit der Überbrückungsrente soll verhindert werden, dass Ausgesteuerte ab 60 Jahren in die Sozialhilfe abrutschen. Die SVP sprach sich als einzige Fraktion geschlossen gegen die Überbrückungshilfe aus und droht mit dem Referendum.
Angst vor Fachkräftemangel...
Die Schweizer Unternehmen seien auch in Zukunft auf Fachkräfte aus der EU angewiesen, lautet der Tenor der Sozialpartner. Ohne ausländische Arbeitskräfte könnten die Betriebe ihre Aufträge schlicht nicht mehr abarbeiten. Investitionen in das lokale Gewerbe und Arbeitsplätze wären gefährdet.
Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, wies darauf hin, dass sich gerade in der Corona-Krise die Systemrelevanz der KMU gezeigt habe. Es sei deshalb unverantwortlich den KMU den Zugang zu einem wichtigen Fachkräftepool zu verbauen.
Auch der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, unterstrich die Bedeutung der Bilateralen: «Seit deren Einführung der Bilateralen Verträge haben in der Schweiz nicht nur die Reallöhne signifikant zugenommen, sondern es wurden auch deutlich mehr Arbeitsplätze für Einheimische geschaffen.»
...und Lohndumping
Seitens der Gewerkschaften betonte der Waadtländer SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), dass die Begrenzungsinitiative den Druck auf die Löhne erhöhe. Laut Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, würden mit der Aufhebung der Personenfreizügigkeit auch die flankierenden Massnahmen aufs Spiel gesetzt.
Am 27. September geht es nicht nur um den Erhalt der Bilateralen. Die Abstimmung gilt auch als Test für das institutionelle Abkommen. Ein solches verlangt die EU ultimativ, um die Rechtsentwicklung, die Überwachung, die Auslegung und die Streitbeilegung bei vorerst fünf Marktzugangsabkommen zu regeln. In der Schweiz ist ein Entwurf auf breiten Widerstand gestossen.
Alle gegen die SVP
Bisher hat die EU Nachverhandlungen verweigert und sich allenfalls zu «Präzisierungen» bereiterklärt. Innenpolitisch besonders umstritten sind geplante Einschränkungen beim Lohnschutz, Schranken für staatliche Beihilfen und die unklare Situation bei der Unionsbürgerrichtline. Das geplante Schiedsgericht dürfte ebenfalls weiter zu reden geben.
Auch wenn die Differenzen beim Rahmenabkommen noch gross sind: Für die Begrenzungsinitiative kämpft die SVP alleine. Das war auch bei der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative der Fall. Damals hatte die Allianz der Sozialpartner nicht funktioniert. Das soll dieses Mal anders sein. (sda)
Ende der Medienkonferenz
Die Medienkonferenz ist nach fast 75 Minuten zu Ende. Danke für die Aufmerksamkeit.
Thema Lohnschutz
Frage: Die Gewerkschaften argumentieren mit dem Erhalt des Lohnschutzes, deshalb solle die Initiative abgelehnt werden. Wollen die Arbeitgeber den hiesigen Arbeitsmarkt deregulieren?
Arbeitgeber-Präsident Vogt sagt klipp und klar, dass die Arbeitgeber auch Schweizer Löhne bezahlen wollen. «Aber wir wollen uns mit einem Ja-Szenario nicht auseinander setzen. Ein Ja am 27. September wäre ein Super-Gau für unser Land.» Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, untermauert die Aussagen von Vogt. Gewerkschaftsvertreter Maillard ergänzt: Bei einer Annahme gäb es keine Grundlage mehr für die flankierenden Massnahmen. Ein möglicher Lohnschutz müsste dann neu ausgehandelt werden.
Was wäre bei einem Ja Ende September?
Die Justizministerin antwortet auf die Frage, was bei einer Annahme passiere, dass man dann den Verhandlungsweg mit der EU einschlagen müsse.« Aber dieser wäre sehr schwierig.» Sie verweist auf das Beispiel von Grossbritannien. Die Schweiz sei mit der EU noch stärker verstrickt als die Briten. Und noch einmal sagt Keller-Sutter, dass auch die Abkommen Schengen und Dublin auf dem Spiel stünden.
Grundlage für Rahmenabkommen?
Die Justizministerin wird gefragt, ob eine Absage an die Initiative auch ein Ja für ein Rahmenabkommen interpretiert werden könne. Keller-Sutter sagt, dass man diese beiden Angelegenheiten auseinanderhalten solle. Die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative bezeichnet die St. Gallerin als Grundsatzentscheid. Danach sei der Zeitpunkt, die Schweizer Position zu konsolidieren. Schliesslich müsse man Brüssel ein Angebot unterbreiten.
BIP würde sinken, Rechtssicherheit abnehmen
Frage: Gibt es Zahlen, die zeigen, was eine Annahme der Initiative bedeuten würde? Keller-Sutter weist auf eine Studie des Seco aus dem Jahre 2015 hin. Sie gehe davon aus, dass das BIP sinken würde. «Es geht aber nicht nur um Zahlen, sondern auch um die Rechtssicherheit.»
In der Folge werden Zahlen präsentiert: Bei einem Verschwinden der Bilateralen würde die Wirtschaftsleistung zwischen 5 und 7 Prozent in 20 Jahren abnehmen.
Keine Risiken eingehen
Bundesrätin Keller-Sutter antwortet auf die Frage, warum sie im Zusammenhang mit der Initiative auf die Corona-Krise hingewiesen hätte: Sie sagt, dass die Ablehnung der Initiative unabhängig von der Krise wichtig sei. Es sei aber eigenartig, wenn die Schweiz nun Milliarden als Hilfe für die Wirtschaft aufbringe, aber die Bilateralen ausser Acht lasse. «Wir dürfen jetzt keine Risiken eingehen.»
Geordnete Verhältnisse zum Ausland sind wichtig
Adrian Wüthrich betont ebenfalls, dass die Schweiz geordnete Beziehungen zu Europa haben müsse. «Das ist zentral für den Wirtschaftsstandort Schweiz», sagt der Vertreter von Travail Suisse. Er weist auch darauf hin, wie wichtig die flankierenden Massnahmen für das Lohnniveau in der Schweiz seien. Travail Suisse lehne aus mehreren Gründen die Initiative der SVP ab.
SVP-Argumente «Humbug»
Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt meint, dass die Schweiz Ende September vor einer Weichenstellung stehe. Er erinnert daran, dass nach der Krise der 90er-Jahre erst der bilaterale Weg für wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. «Die Gegner versuchen das kleinzureden. Aber das ist Humbug.»
Kritischer Gewerschaftsboss
Gewerkschaftsführer Pierre-Yves Maillard sagt, das Ziel der SVP sei nicht die Begrenzung der Zuwanderung, sondern «die Abschaffung der flankierenden Massnahmen», also die «Deregulierung des Arbeitsmarktes». Die Initiative würde für mehr Druck auf die Löhne sorgen. Deshalb bekämpfe der Gewerkschaftsbund die Initiative mit Vehemenz.
Fachkräftemangel nicht vergessen
Hans-Ulrich Bigler erklärt, warum die KMUs die Initiative ablehnen. «Die KMU sind für unsere Wirtschaft massgebend.» Er weist aber auch auf den Fachkräftemangel hin. Ohne ausländische Arbeitskräfte könnten die Betriebe ihre Aufträge schlicht nicht mehr abarbeiten. «Die Freizügigkeit ist ein Garant dafür, dass die KMU funktionieren», sagt Bigler. Die Initianten behaupten das Gegenteil, aber das stimme nicht.
Weitere Abkommen stehen auf dem Spiel
Die Bundesrätin warnt weiter: Es könne bei einer Annahme auch sein, dass Abkommen wie Dublin und Schengen für die Schweiz ihre Gültigkeit verlieren. Das wäre für das Asylwesen und die Grenzkontrollen fatal. Keller-Sutter zählt auch auf, was noch auf dem Spiel stehe: Das Recht der Schweizer, den Wohn- und Arbeitsort in der EU frei zu wählen, Landerechte für Fluggesellschaften, die Beteiligung an Forschungsabkommen.
Die Justizministerin fasst zusammen. «Wir wollen den Wohlstand nicht aufs Spiel setzen. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative deshalb ab.»
Starkes Verhältnis zur EU
Der Bundesrat habe flankierende Massnahmen ergriffen, um Lohndumping zu verhindern. «Auch der Bundesrat will eine massvolle Zuwanderung.» Die Ministerin sagt auch, dass der Bundesrat versuche, ältere Arbeitnehmern in diesem Land zu schützen.
«Wir sind nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich mit der EU eng verbunden. Die EU ist unser wichtigster Handelspartner», sagt Keller-Sutter. Wenn die Initiative angenommen werden würde, so würden die Bilateralverträge I verschwinden, warnt die Justiziministerin.
Bundesrätin Keller-Sutter
Die Bundesrätin sagt, dass die Abstimmung vom Mai wegen des Corona-Virus auf den September hat verschoben werden müssen. Sie werde heute an dieser MK von den Sozialpartnern begleitet. «Bei einem Ja zur Initiative würden wir die stabilen Verhältnisse zu unseren Nachbarn aufs Spiel setzen, das wäre verhängnisvoll», sagt Keller-Sutter. Es sei nach Corona nicht die richtige Zeit für solche politischen Wagnisse.
Umfrage: Initiative fiel einst durch
Bei einer Umfrage kurz nach Jahresbeginn haben 58 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative abgelehnt. Allerdings: Das war vor dem Ausbruch des Coronavirus.
Die Abstimmung findet am 27. September dieses Jahres statt.
Die Argumentation der Gegner
Justizministerin Karin Keller-Sutter warnt vor den Konsequenzen der Initiative. Das hätte einschneidende Konsequenzen für die hiesige Wirtschaft, meint Karin Keller-Sutter. Auch die Personenfreizügigkeit mit der EU wäre damit zu Ende. «Bei einem Ja müsste der Bundesrat die Personenfreizügigkeit innerhalb eines Jahres beseitigen. Wenn das nicht passiert, müsste er sie kündigen. Und wenn er sie kündigt, fallen alle bilateralen Verträge automatisch dahin», erklärte sie einst gegenüber SRF.
Die Justizministerin sagt zudem, dass der Bundesrat nur so viel Zuwanderung wolle, wie nötig. Bei der Abstimmung gehe es aber auch um die Zukunft des Landes sowie um das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Auch die zuständige Kommission des Nationalrates lehnt die Initiative ab.
Auch Gewerkschaftsbund, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband und Travail Suisse fürchten sich insbesondere vor dem Ende der bilateralen Beziehungen mit der EU, falls die Begrenzungsinitiative von Volk und Ständen angenommen würde.
Worum geht es bei der Initiative?
Die Initiative des SVP heisst «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)». Sie fordert, dass der Bundesrat beauftragt wird, auf dem Verhandlungsweg das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU spätestens zwölf Monate nach Annahme der Begrenzungs-Initiative ausser Kraft zu setzen. Ist eine Verständigung in dieser Zeit nicht möglich, ist das Personenfreizügigkeitsabkommen innert 30 Tagen zu kündigen. Die Initiative wurde Ende August 2018 eingereicht.
Die Befürworter finden, dass die Personenfreizügigkeit Probleme verursache. Einwanderer aus der EU sorgten für eine «Überfremdung», die auch im Arbeitsmarkt Konsequenzen habe. So würden einheimische Arbeitnehmer durch günstigere ausländische Angestellte ersetzt. Auch die Belastung der Sozialwerke steige. Deshalb müsse die Schweiz die Zuwanderung wieder selbst regeln, fordert die SVP.
Auch wenn die Differenzen beim Rahmenabkommen mit der EU noch gross sind: Für die Begrenzungsinitiative kämpft die ganz SVP alleine. Das war allerdings auch bei der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative der Fall.
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