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Wenn das eigene Kind stirbt

Nur wenige Eltern machen sich nach dem Tod ihres Kindes keine Vorwürfe.

Vor einer Woche habe ich erfahren, dass sich jemand aus meinem Bekanntenkreis das Leben genommen hat. Ihre Eltern waren es, die dem Umfeld die traurige Nachricht überbracht haben.

Einen Tag später las ich in den Medien, dass SVP-Politiker Peter Spuhler und seine Frau ihren sieben Wochen alten Sohn verloren haben. Todesursache: Plötzlicher Kindstod.

Zwei völlig unterschiedliche Fälle, möchte man meinen. Einmal stirbt eine erwachsene Frau, einmal ein Neugeborenes. Und doch sind es beide Male die Kinder, die diese Welt vor ihren Eltern verlassen haben. 

«Egal, auf welche Art und Weise und in welchem Alter es passiert, sein eigenes Kind zu verlieren ist das Schlimmste, das einem als Mutter oder Vater passieren kann», sagt Petra Zürcher vom Verein Regenbogen Schweiz, einem Selbsthilfeverein für Eltern, die ein Kind verloren haben. Wenn ein Elternteil sterbe, sei das zwar sehr traurig, aber man könne danach normalerweise wieder in den Alltag zurückkehren. «Wenn das Kind stirbt, ist das nicht so. Man kann zwar lernen, damit zu leben. Aber man wird nicht mehr derselbe Mensch sein.»

Petra Zürcher weiss, wovon sie spricht: Ihre damals knapp 19-jährige Tochter Mirjam hat 2004 Suizid begangen. Zürcher wurde danach nicht nur von ihrer Trauer übermannt, sondern kämpfte auch mit Schuldgefühlen. «Ich sehe in unserem Verein immer wieder, dass es nur wenige Eltern gibt, die sich nach dem Tod ihres Kindes keine Vorwürfe machen», sagt sie. Beim plötzlichen Kindstod werfe man sich vielleicht vor, das Baby falsch ins Bettchen gelegt zu haben. Nach einem Unfall denke man als Eltern, man hätte es auf keinen Fall alleine aus dem Haus lassen dürfen. Und nach einem Suizid fühle man sich schuldig, weil man zu wenig auf das Kind eingegangen sei.

«Dabei nehmen sich oft Menschen das Leben, die ein geringes Selbstwertgefühl haben, dies aber sehr gekonnt hinter einer Maske verstecken», sagt Zürcher. Diese Leute seien in der Regel stets darauf bedacht, ihr Umfeld nicht mit ihren Problemen zu belasten, und würden deshalb niemanden richtig an sich heranlassen. «So kann man gar nichts merken.» Die Schuldgefühle hinter sich zu lassen, hat bei Petra Zürcher Jahre gedauert. «Mir hat mein Mann dabei geholfen, indem er sagte, dass wir damals getan haben, was wir konnten und in dem Moment für richtig gehalten haben. Wir haben unser Kind nie bewusst im Stich gelassen.»

Betroffenen Eltern kann ein unterstützendes, verständnisvolles Umfeld helfen. Doch bisweilen hapert es daran, dass die Leute überfordert sind. «Der Tod eines Kindes ist ein Tabuthema», sagt Zürcher, «und die Tatsache, dass Eltern sich in ihrer Trauer manchmal etwas ungewöhnlich benehmen, schreckt zusätzlich ab.» Es gebe Menschen, die sich jahrelang in einer richtigen Wutspirale drehen würden. «Sie sind auf die ganze Welt wütend. Das kann ein Ventil sein, um den Schmerz rauszulassen.» Der Verlust des Kindes könne die Persönlichkeit von Vater oder Mutter komplett verändern. «Einige werden dadurch dünnhäutiger, andere haben danach das Gefühl, nichts könne sie mehr aus der Bahn werfen», sagt Zürcher.

Wichtig ist Petra Zürcher, dass die Gesellschaft die trauernden Eltern so akzeptiert, wie sie sind: still, wütend, oder womöglich vorübergehend «nicht gesellschaftsfähig», so wie Petra Zürcher laut eigenen Aussagen damals. Und dass das Umfeld zu verstehen lernt, dass die Trauer über den immensen Verlust sich nach einem Jahr nicht einfach in Luft auflöst. «Der Autor Martin Suter, der selber auch ein Kind verloren hat, hat das sehr treffend formuliert», sagt Zürcher, «er sagte: ‹Es ist wie ein Stachel im Körper. Am Anfang spürt man ihn stark. Und irgendwann hat man gelernt, mit den Schmerzen umzugehen.›»

Dieser Artikel wurde erstmals am 9. November 201 publiziert und am 15. Juni 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.