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Trotz enger Verhältnisse
Weniger Gewaltprobleme in Asylzentren

Die Zahl der sicherheitsrelevanten Ereignisse hat abgenommen: Asylsuchende aus Eritrea vergnügen sich vor der Zivilschutzanlage von Lumino TI.
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Drei stark alkoholisierte Asylsuchende verhalten sich aggressiv und bedrohen das Sicherheitspersonal. Einer von ihnen wird in einen sogenannten Besinnungsraum gesperrt: einen Raum zur Separierung aggressiver Asylsuchender. Es handelt sich um einen unbeheizten Metallcontainer. Die Aussentemperatur beträgt minus acht Grad, der Mann ist spärlich bekleidet. Später muss er unterkühlt ins Spital gebracht werden.

Der Vorfall ereignete sich vor zwei Jahren im Bundesasylzentrum Boudry im Kanton Neuenburg. Zu jener Zeit häuften sich Probleme in Bundesasylzentren. Heute sind die Asylzentren viel stärker ausgelastet als damals. Doch die Zahl der sicherheitsrelevanten Ereignisse pro Übernachtung hat abgenommen, wie neue Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigen.

Als sicherheitsrelevant gelten Tätlichkeiten, Belästigungen, aggressive Verhaltensweisen, Beschimpfungen und Drohungen. Im ersten Quartal 2021 hatte das SEM noch rund 31 Ereignisse dieser Art pro 10’000 Übernachtungen verzeichnet. Seither hat die Zahl kontinuierlich abgenommen. Im vierten Quartal 2022 wurden rund 12 Ereignisse pro 10’000 Übernachtungen gezählt, wie das SEM auf Anfrage mitteilt.

Mit auffälligen Personen das Gespräch suchen

In absoluten Zahlen nahmen die Vorfälle im Jahr 2022 gegenüber 2021 um rund 10 Prozent zu, bei einer Verdoppelung der Übernachtungszahlen. Pro Übernachtung nahmen die Ereignisse um rund 50 Prozent ab.

Das SEM führt die Entwicklung auf Massnahmen zurück, die es ergriffen hatte. Dazu gehört ein Konfliktpräventionskonzept. Seit zwei Jahren werden in Bundesasylzentren Konfliktpräventionsbeauftragte eingesetzt: Speziell geschulte Betreuungspersonen haben die Aufgabe, den Kontakt zu auffälligen Asylsuchenden herzustellen und Gespräche mit ihnen zu führen. Auch den Einsatz von muslimischen Seelsorgenden erwähnt das SEM.

Eine wichtige Rolle dürfte laut Fachleuten zudem die hohe Quote bei der Rückführung abgewiesener Asylsuchender spielen. Asylsuchende aus den Maghreb-Staaten, die selten Asyl erhalten, sind überdurchschnittlich oft in sicherheitsrelevante Vorfälle involviert. Hinzu kommt, dass vor zwei Jahren das besondere Zentrum in Les Verrières im Kanton Neuenburg wiedereröffnet wurde. Dort werden Asylsuchende untergebracht, die sich wiederholt aggressiv verhalten haben.

Unverhältnismässiges Vorgehen des Sicherheitsdienstes

Die ergriffenen Massnahmen zielen nicht nur darauf ab, Konflikte unter Asylsuchenden zu vermeiden. Sie sollen auch möglichst verhindern, dass Mitarbeitende von Sicherheitsfirmen unverhältnismässigen Zwang gegen Asylsuchende ausüben. Vor zwei Jahren war das SEM mit Vorwürfen konfrontiert.

Der ehemalige Bundesrichter Niklaus Oberholzer untersuchte diese – und kam zum Schluss, dass in drei der untersuchten Fälle unverhältnismässige Gewalt angewendet worden war. Im Fall des Asylsuchenden in Boudry, der in den Container eingesperrt wurde, haben die Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes gemäss Oberholzer ihre Fürsorgepflicht verletzt.

Der ehemalige Bundesrichter formulierte auf Basis seiner Erkenntnisse Empfehlungen. Einige hat das SEM bereits umgesetzt. So passte es interne Weisungen und Abläufe an. Im vergangenen November schuf es ausserdem im Rahmen eines Pilotversuchs eine externe Meldestelle für Vorfälle und Anliegen von Asylsuchenden und Mitarbeitenden. 

Gesetzliche Regeln für Besinnungsräume

Weitere Massnahmen sollen demnächst umgesetzt werden. Laut dem SEM sind auch Regeln auf Gesetzesebene geplant. So soll geregelt werden, «in welchen Bereichen das SEM zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung polizeilichen Zwang anwenden oder polizeiliche Massnahmen ergreifen kann und wie die Kompetenzen auf Sicherheitsdienstleister übertragen werden können».

Weiter will der Bund eine Gesetzesgrundlage für Besinnungsräume schaffen, wo Asylsuchende zur Abwehr einer ernsten und unmittelbaren Gefahr während maximal zweier Stunden festgehalten werden dürfen. Heute gibt es lediglich Bestimmungen auf Verordnungsstufe.

Kritik an Auslagerung an Private

Oberholzer hatte empfohlen, präziser zu regeln, wer auf welcher Grundlage disziplinarische Massnahmen anwenden darf. Er stellte dabei klar, dass das Einsperren in einen Besinnungsraum nicht bloss eine disziplinarische Massnahme, sondern eine Zwangsmassnahme ist. Privaten Sicherheitskräften solche polizeilichen Befugnisse einzuräumen, erachtet er verfassungsrechtlich als problematisch. Gleichzeitig hielt Oberholzer fest, der Bedarf an Separierung besonders aggressiver, renitenter oder unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehender Asylsuchender sei gegeben.

Der ehemalige Bundesrichter äusserte auch grundsätzliche Vorbehalte zum Auslagern staatlicher Sicherheitsaufgaben an private Dienstleistungserbringer. Er regte an, zumindest die Schlüsselpositionen in den Asylzentren mit polizeilich ausgebildeten, eigenen Mitarbeitenden zu besetzen.