Präsidentschaftswahlkampf in FrankreichWenige bis keine Einwanderer mehr
Französische Parteien überbieten sich mit Ideen, die Zahl der Algerier, Marokkaner und Tunesier zu reduzieren.
Sieben Monate bevor in Frankreich gewählt wird, seien die Themen, die «alles beherrschen», Einwanderung und Islam, kommt die meistgelesene Tageszeitung Frankreichs, der «Parisien», zum Schluss.
In dem beginnenden Kampf ums Élysée dominieren Identitätsthemen und Fragen der inneren Sicherheit. Dies illustrierten erneut die Schlagzeilen am Dienstag. Zunächst verkündete Regierungssprecher Gabriel Attal am Morgen, dass Frankreich die Zahl genehmigter Visumsanträge für Algerier, Marokkaner und Tunesier radikal reduzieren werde.
Am Nachmittag stellte dann die rechtsextreme Marine Le Pen ihre Idee eines Einwanderungsreferendums vor. Le Pen ist in Umfragen zurzeit die chancenreichste Konkurrentin des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron. Sollte sie im April 2022 zur Präsidentin gewählt werden, dürften die Franzosen «sich aussuchen», so Le Pen, welche und wie viele Menschen sie jährlich ins Land lassen. Dies solle unabhängig von europäischen Regelungen geschehen.
Jahrelanges Ringen mit den Maghreb-Ländern
Die Entscheidung, für Algerier und Marokkaner nur noch halb so viele Visa auszustellen wie bisher und die Visazahl für Tunesier um ein Drittel zu reduzieren, kommt direkt von Macron und ist das Ergebnis eines jahrelangen Konflikts mit den Maghreb-Ländern. Frankreich hat zwischen Januar und Juli 2021 mehr als 70 Prozent der knapp 12’000 von Algeriern beantragten Visa genehmigt. Ähnliche Zahlen gelten für Anträge von Marokkanern und Tunesiern.
Dass diese Politik sich nun wandeln soll, liegt nicht daran, dass sich die Gründe für algerische, tunesische oder marokkanische Visumsanträge geändert hätten, sondern daran, dass die französische Regierung Druck auf die Maghreb-Staaten ausüben möchte, damit diese von Frankreich abgelehnte Asylsuchende und illegal Eingereiste wieder aufnehmen.
Frankreich hat zwischen Januar und Juli 2021 die Abschiebung von 7731 Algeriern beschlossen – doch Algerien erklärte sich nur in 0,2 Prozent der Fälle – für 31 Personen – bereit, die für die Abschiebung nötigen Papiere auszufüllen. Auch in der Zusammenarbeit mit Marokko und Tunesien gelingt es Frankreich nur in weniger als vier Prozent der Fälle, eine gerichtlich beschlossene Ausweisung auch durchzuführen.
Vorschlag eines temporären Einwanderungsstopps
So alt der Konflikt ist, so neu ist doch die Art und Weise, mit der er nun ausgetragen wird. Es handle sich um eine «drastische und beispiellose Entscheidung», sagte Regierungssprecher Attal am Dienstag. Die Regierung habe 2018 ein neues Migrations- und Asylgesetz beschlossen, «dessen Effektivität» von den betreffenden Maghreb-Ländern gebremst werde. Der verschärfte Ton gegenüber Algerien, Marokko und Tunesien ist als innenpolitische Ansage zu sehen in einer Zeit, in der die rechte Opposition Macron vorwirft, die Kontrolle über die Einwanderung verloren zu haben.
Für das am Dienstag erneut vorgestellte Einwanderungsreferendum wirbt Marine Le Pen bereits seit 2014. Inzwischen wurde die Idee auch von den konservativen Républicains übernommen. Der Ex-Brexit-Chefunterhändler und Präsidentschaftskandidat Michel Barnier schlägt einen temporären Einwanderungsstopp vor, bis Frankreich «alle Regeln überarbeitet» habe.
Und rechts von Le Pen setzt der Polemist und Vielleicht-Kandidat Éric Zemmour Einwanderung mit Angriffskrieg gleich. Präsident Macron reagiert auf die Migrationsfixierung der Rechten, indem er seinerseits mehr Härte verspricht. Als die Taliban im August Kabul einnahmen, sprach Macron umgehend davon, dass Europa vor «unregulierten Einwanderungsströmen» aus Afghanistan geschützt werden müsse.
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