Kampf gegen die Fast-Fashion-FlutDiese Modemarken wollen eine Recyclingabgabe für Kleider einführen
Wie bei PET-Flaschen und Elektrogeräten: Bald zahlen wir beim Kauf von T-Shirts, Jacken und Hosen einen Entsorgungsbeitrag. Was steckt dahinter?
- Der Markt für Altkleider steckt in Europa in einer tiefen Krise.
- Grosse Mengen an Billigmode verursachen steigende Sortier- und Logistikkosten.
- Ein Recyclingbeitrag für Textilien soll das Sammelsystem finanzieren.
- Tell-Tex plant ein 40-Millionen-Franken-Recyclingzentrum in St. Margrethen.
Wer eine Hose oder ein Hemd zum Altkleider-Container bringt, glaubt häufig, etwas Gutes zu tun. Doch die eingeworfenen Stücke gehen weder an Bergbauernfamilien mit wenig Geld noch an Kinderheime. Die Altkleidersammlung ist schon längst ein Geschäft, das sich aber zunehmend nicht mehr lohnt.
Der Alttextilmarkt steckt in einer tiefen Krise. Gleichzeitig nimmt die Altkleider-Flut wegen des Fast-Fashion-Trends zu. Sie überfordert die Gemeinden und die Sammelfirmen wie Texaid und Tell-Tex.
Die Textilsammler warnen schon länger: Wenn sich nichts ändert, ist die Verwertung nicht mehr finanzierbar. Wohl auch, um einer staatlich verordneten Entsorgungsgebühr zuvorzukommen, wird die Schweizer Textilbranche nun von sich aus aktiv.
Auf Initiative des Branchenverbands Swiss Textiles erarbeiten die sieben Kleiderfirmen Calida, Mammut, Odlo, PKZ, Workfashion, Radys und Switcher eine Lösung für eine Finanzierung über eine vorgezogene Recyclingabgabe. Am 12. November werden sie den Verein Fabric Loop gründen, um die Umsetzung möglichst rasch voranzutreiben.
Geplant ist eine Abgabe, wie sie heute im Kaufpreis für Elektrogeräte, Papier, Aluminium und PET-Flaschen inbegriffen ist: Konsumentinnen und Konsumenten zahlen bereits an der Ladenkasse einen Beitrag für die spätere Entsorgung.
«Nur ganzheitliche Lösungen, die über die gesamte Branche hinweg gehen, können den nötigen Anreiz schaffen, damit Konsumentinnen ihre Textilien konsequent zurückbringen», sagt Marc Joss, Geschäftsführer von Switcher.
Reparatur und Recycling sollen wichtiger werden
Mit dem beim Kauf einkassierten Geld wird ein System finanziert, das umfassender ist als das aktuelle, nur auf den Secondhand-Markt ausgerichtete System. So sollen, anders als heute, alle textilen Materialien gesammelt und später verwertet werden – also auch Vorhänge und Bettbezüge aus Spitälern, Hotels und Heimen sowie Uniformen von Behörden und Unternehmen.
Wie hoch der Recyclingbeitrag ausfallen wird, ist offen. Vorbilder dürften Nachbarländer sein, wo bereits ein entsprechender Betrag erhoben wird. In den Niederlanden und Frankreich beträgt er umgerechnet zwischen 30 und 70 Rappen pro Kilogramm – das wären pro T-Shirt 6 bis 14 Rappen.
Die Initianten sehen in einer vorgezogenen Finanzierung über einen Recyclingbeitrag ein Mittel, um dem Fast-Fashion-Problem entgegenzuwirken. Sie wollen schweizweit eine einfache und konsumentenfreundliche Sammlung aufbauen und so hohe Sammelquoten erzielen.
Wie bisher soll künftig ein Grossteil der gesammelten Kleidung für die Wiederverwendung oder neu auch für die Reparatur aussortiert werden. Vor allem wollen die Initianten das Geld dafür verwenden, um Nicht-Wiederverwendbares für das Faser-zu-Faser-Recycling vorzubereiten.
Das Ziel: Möglichst wenig entsorgen und gleichzeitig die Verfügbarkeit von hochwertigen Recyclingfasern am Markt erhöhen.
Schweizer System soll an jenes der EU angeschlossen werden
Darauf setzt die Firma Tell-Tex, die zweitgrösste Altkleiderfirma des Landes. Sie baut zurzeit in St. Margrethen SG für 40 Millionen Franken eine neue Faser-zu-Faser-Recycling-Anlage. Baumwollfasern, die bisher verbrannt werden mussten oder bestenfalls als Putzlumpen weiterverwendet werden konnten, will Tell-Tex aussortieren und zu Fasern aufbereiten, die wieder für höherwertige Textilen verwendet werden können.
Es sei schweizweit die erste industrielle Anlage dieser Grössenordnung, kündigt Tell-Tex an. Bis zu 60 Stellen würden dafür geschaffen. 2026 soll das knapp 9400 Quadratmeter grosse Recyclingzentrum seinen Betrieb aufnehmen.
Ein Umdenken in der Branche ist nötig, denn politisch wächst der Druck. Die Europäische Union hat vor zwei Jahren im Rahmen des Green-Deal die EU-Textile-Strategy beschlossen. Ab 2026 wird es in allen Mitgliedsstaaten zur Pflicht, dass Händler auch nach dem Verkauf Verantwortung für ihre Materialien übernehmen. Das heisst: Sie müssen sich an Rücknahme- und Recyclingsystemen finanziell beteiligen.
Im Rahmen der «erweiterten Produzentenverantwortung» (kurz ERP) sind europaweit derzeit zahlreiche ERP-Systeme im Aufbau, darunter solche für Textilien, die ab 2026 Pflicht werden. Die Initianten des Schweizer Textilrecyclingbeitrags wollen ihr System längerfristig mit demjenigen der EU abstimmen.
Auch Temu und Shein sollen sich beteiligen
Wer die Kosten für das neue Schweizer System übernimmt, auf welchen rechtlichen Grundlagen es beruht und wie es organisiert wird, soll in den nächsten Wochen erarbeitet werden. «Wenn wir wie geplant vorankommen, werden die ersten freiwilligen Beiträge bereits in zwei Jahren eingeführt sein», sagt Nina Bachmann, Geschäftsleitungsmitglied des Verbands Swiss Textiles, der ebenfalls zu den Gründern des Vereins Swiss Fabric Loop gehört.
Ungeklärt ist die Frage, wie ausländische Firmen wie Shein und Temu in die Verantwortung genommen werden. Müssen auch sie einen vorgezogenen Beitrag entrichten? Das sei tatsächlich eine Knacknuss, sagt Bachmann, denn diese Firmen seien schwer zu kontaktieren. «Doch es ist unser Ziel, dass sämtliche Marktteilnehmer das System mitfinanzieren.»
In der EU hätten sich verschiedene EPR-Organisationen zusammengetan, um auch die Onlinehändler miteinzubeziehen. Bachmann hofft, von den Ergebnissen dieser Verhandlungen lernen zu können.
Billigmode von «miserabler Qualität»
Wie schwierig das Geschäft mit Alttextilien geworden ist, spürt Sascha Sardella tagtäglich. Er ist Betriebsleiter bei Tell-Tex. «Schweizerinnen und Schweizer haben Shein und Temu entdeckt», sagt Sardella.
In den Containern landet deshalb fast keine langlebige Kleidung mehr, dafür massenhaft Billigmode aus China. «Die Billigkleider landen rasch bei uns, doch deren Qualität ist miserabel», sagt Sardella.
«Wo früher der Fahrer eine Viertelstunde für eine Leerung brauchte, sind es heute bis zu 45 Minuten.» Diese benötigen seine Angestellten nicht nur, um aufzuladen, sondern sie müssten zuerst lose Ware einsammeln und Abfall, der nicht in den Container gehört, von Textilien trennen.
Die grossen Mengen erhöhen für die Sammler den Aufwand, weiterverkaufen lassen sich diese Textilien jedoch nicht. «Die Kleider, die wir sammeln und weiterverkaufen wollen, sind inzwischen fast nichts mehr wert», sagt er. Dieses Jahr rechnet sein Arbeitgeber mit Mindereinnahmen von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Laut dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit kauft eine durchschnittliche Person jährlich im Schnitt 60 Kleidungsstücke. Die meisten kommen von Fast-Fashion-Anbietern und sind nicht aus Baumwolle, sondern mit Synthetikfasern wie Polyester oder Nylon durchsetzt und lassen sich kaum recyceln.
Schweizer Altkleider werden im Ausland sortiert
Aus diesen Gründen ist die Branche in eine tiefe Krise gerutscht. Die Kosten für Energie und Logistik sowie für das Sortieren sind drastisch gestiegen, während die Nachfrage nach Alttextilien auf dem Weltmarkt eingebrochen ist. Unter anderem deshalb exportiert die Schweiz weniger Altkleider als auch schon.
Im vergangenen Jahr wurden laut Exportstatistik fast 60’000 Tonnen Gebrauchttextilien exportiert. Dabei handelt es sich um Kleider, Decken, Haushaltswäsche, aber auch um Kopfbedeckungen und Schuhe, die sichtbare Gebrauchsspuren aufweisen. Altkleider werden hauptsächlich im Ausland sortiert – bei Tell-Tex beispielsweise in Italien, Belgien oder Osteuropa.
Mit Abstand wichtigstes Exportland für Altkleider ist die Ukraine. Dies einerseits, weil es dort Sortier- und Recyclingwerke gibt. Andererseits gehört die ukrainische Bevölkerung zu den Abnehmern von Altkleidung. Laut einem Branchenkenner hat dies keinen Zusammenhang mit dem Krieg, sondern war schon vorher so.
Gleichzeitig sind Secondhand-Kleider, mit denen Altkleiderhändler wie Tell-Tex oder Texaid bisher ihr Geld verdienten, zunehmend weniger wert. In der Schweiz, vor allem aber in Osteuropa und Afrika, wo noch tragfähige Kleidung aus Europa und Nordamerika in den Wiederverkauf gelangt, sinken die Preise. Denn dorthin verkaufen chinesische Firmen Kleider mittlerweile direkt.
Die geringere Nachfrage hat Folgen: Im Oktober hat die Soex-Gruppe, eine der grössten Textilsammlerinnen Europas, ihre Zahlungsunfähigkeit angemeldet. Betroffen sind 400 Beschäftigte in Deutschland.
Gemeinden finden keine Sammelfirmen mehr
Auch in der Schweiz sind die Container in den Quartieren und Dörfern, wo die Sammelfirmen die Ware abholen, immer schneller überfüllt. «Unsere Teams, die sie täglich leeren, kommen kaum noch nach», sagt Sardella.
Das hat zur Folge, dass in den Gemeinden und Städten, die für das Sammeln der Altkleider zuständig sind, die Sammelcontainer nicht mehr immer geleert werden. Und es wird schwierig, Firmen zu finden, die diese Aufgabe übernehmen.
Mit der künftigen vorgezogenen Recyclinggebühr soll sich das ändern, hoffen die Initianten. Am meisten Wirkung gegen den Altkleider-Berg hätte folglich, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf von Kleidern und Schuhen stärker auf die Langlebigkeit achten würden. «Auch wenn es eigentlich gegen das Firmenkonzept spricht, sollte die Altkleidersammlung die letzte Alternative sein», sagt Sascha Sardella, obwohl sein Arbeitgeber Tell-Tex davon lebt.
Vor dem Gang zur Altkleider-Sammelstelle sollte man, so Sardellas Rat, noch tragbare Blusen, Hosen und Anzüge in der Familie, an Freunde, Secondhand-Shops weitergeben – oder sie karitativen Organisationen spenden.
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