Lieferprobleme in der AutoindustrieWegen Chipmangel müssen Autokäufer viel länger auf Neuwagen warten
Die Chipkrise führt weltweit zu Produktionsausfällen in der Automobilindustrie. Das hat Folgen für Käuferinnen und Käufer von Neuwagen: Die Lieferfristen haben sich zum Teil verdoppelt.
Audi-Händler Peter S. aus dem Grossraum Zürich (Name geändert) ist frustriert: «Ich hab Kunden, die sollten diesen Sommer ihr neues Auto bekommen, doch nun wurde ihr Liefertermin auf das nächste Jahr verschoben», berichtet er.
Der Grund: Mikrochips sind Mangelware. Weltweit leidet die Autoindustrie an Lieferproblemen für Chips, die heute zu Hunderten in jedem Fahrzeug stecken. Selbst die neuen LED-Scheinwerfer kommen nicht ohne Halbleiter aus, sagt Erich Schwizer vom Touring Club Schweiz (TCS). Wegen der damit verbundenen Lieferprobleme sank die Zahl der neu zugelassenen Personenwagen in der Schweiz und in Liechtenstein im Juli um rund 14 Prozent. In den Monaten davor gab es zwar ein teils starkes Plus. Das ist jedoch den schwachen Verkaufszahlen aus dem Vorjahr geschuldet, als wegen des Lockdown vieles stillstand.
Befragt zu Lieferverzögerungen, spricht eine Audi-Sprecherin dagegen von «Einzelfällen». «Wie bei allen anderen Herstellern ist auch bei Audi die Versorgung mit Halbleitern nach wie vor volatil und angespannt», fügt sie an.
Das Problem hält die Branche seit Monaten im Griff und spitzt sich gerade zu. Vergangene Woche meldete die japanische Wirtschaftszeitung «Nikkei», dass Toyota allein im September mit einem Produktionsausfall von 40 Prozent rechnet: Statt 900’000 Autos könnten voraussichtlich nur 500’000 vom Band rollen. Die Produktion in allen 14 japanischen Werken ruhe teilweise, bestätigte Toyota.
Bei den europäischen Herstellern sieht es nicht besser aus. Volkswagen kündigte an, nach der Sommerpause im Stammwerk in Wolfsburg nur in einer Schicht produzieren zu lassen. Der Konzern erwartet, dass insgesamt eine sechsstellige Zahl an Fahrzeugen wegen Problemen in der Lieferkette nur mit Verzögerung gebaut werden kann.
«Die Lieferverzögerungen sind stark modellabhängig. Aktuell ist es bei gewissen Modellen tatsächlich so, dass sich die Fristen teilweise auf 4 Monate verdoppelt haben», sagt ein Sprecher des Schweizer VW-Importeurs Amag.
Heute bestellt, erst 2022 geliefert
Beispiel Škoda Octavia: Wer heute das meistverkaufte Auto der Schweiz ordert, bekommt den Wagen voraussichtlich im Januar, heisst es im Handel. Normalerweise lägen die Lieferfristen bei sechs bis acht Wochen. Zu konkreten Lieferfristen will sich ein Skoda-Sprecher nicht äussern. Die VW-Tochter bemühe sich, «die Wartezeiten für die bestellten Fahrzeuge so kurz wie möglich zu halten», heisst es.
Laut Händlern hänge die Länge der Lieferfrist oft daran, welche Extras ein Kunde haben will. So sei das beliebte Panoramadach derzeit ein Problem, weil Steuerchips fehlten. «Der Halbleitermangel betrifft in erster Linie Fahrzeugausstattungen und damit nicht ganze Baureihen», bestätigt BMW.
Ein Toyota-Sprecher dagegen erklärt, alle Modelle des japanischen Herstellers seien von den Lieferproblemen betroffen. Bis Ende Jahr soll der Ausfall aber aufgeholt werden, verspricht Toyota.
VW will Rückstand aufholen
Ebenfalls Volkswagen hofft, die Produktionsausfälle im zweiten Halbjahr aufzuholen – auch mit ausserplanmässiger Produktion. Ob das gelingt, steht in den Sternen. Denn unklar ist, wann die Chiphersteller ihre Produktion hochfahren können. So fürchtet der Chef des deutschen Autozulieferer Hella, dass sich die Versorgungslage erst im Jahr 2023 entspannen wird. «2022 bleibt schwierig», zitiert ihn das deutsche «Handelsblatt».
«Die Halbleiterproblematik ist ausgeprägter als erwartet», sagt auch Andreas Burgener, Direktor von Auto Schweiz, dem Verband der Autoimporteure. Normalerweise lägen die Lieferfristen bei zwei bis drei Monaten, diese hätten sich derzeit verdoppelt auf «mindestens vier bis sechs Monate». Es komme aber stets auf den Einzelfall an: Wenn eine Käuferin Glück hat, könne sie ein bereits produziertes Lagerfahrzeug bekommen.
Wer sich aber beim Autokauf in den langen Listen der Extras der Hersteller bedient und neben dem Schiebedach und den elektrisch verstellbaren Ledersitzen noch andere Annehmlichkeiten geordert hat, muss sich tendenziell länger gedulden.
«Wer unbedingt ein Auto braucht, dem könnte der Händler ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stellen»
Die Chipkrise hat mehrere Auslöser Um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bekommen, müssen in vielen Ländern Asiens immer wieder Fabriken geschlossen werden. Die deutschen Hersteller leiden besonders unter Produktionsausfällen in Malaysia. In dem asiatischen Staat findet die Endfertigung für Chips für die Autoindustrie statt. Der Chiphersteller Infineon hat dort zwei Werke. Auf Anweisung der Behörden habe die Fertigung bislang 20 Tage stillgestanden, sagte Produktionschef Jochen Hanebeck dem deutschen «Handelsblatt».
Zudem ist die Krise auch hausgemacht: In der Pandemie kürzten die Autokonzerne ihre Bestellungen, in der Erwartung, weniger Autos verkaufen zu können. Als sie merkten, dass sich die Verkaufszahlen besser als befürchtet entwickelten, hatten die Chipanbieter ihre Ware bereits an andere Kunden verkauft, wie Elektronikkonzerne.
«Der Verkäufer kann auch nicht zaubern»
Doch was können Konsumenten tun, wenn das neue Auto ewig auf sich warten lässt? Sara Stalder vom Konsumentenschutz rät, das Gespräch mit dem Händler zu suchen. «Wer unbedingt ein Auto braucht, dem könnte der Händler ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stellen», sagt sie. Das empfiehlt auch TCS-Experte Schwizer. Audi zum Beispiel bietet unter anderem Lagerfahrzeuge als Überbrückungslösung an.
Wer einen festen Liefertermin für das neue Auto im Vertrag stehen hat, der kann dem Händler schriftlich per Mahnung eine angemessene Nachfrist für die Lieferung setzen. Verstreicht auch die, so sei es möglich, aus dem Kaufvertrag auszusteigen, so Stalder. Doch damit fängt nur die Suche nach einem neuen Auto von vorne an, gibt TCS-Experte Schwizer zu bedenken. «Der Verkäufer kann schliesslich auch nicht zaubern.»
Der Bericht wurde in Folge eines Leserinnen-Kommentars ergänzt: Die Chipkrise ist nicht allein auf die Pandemie zurück zu führen. Sie hängt auch mit dem Bestellverhalten der Autohersteller zusammen.
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