Ursula von der Leyen am WEFEuropäerin ohne Visionen: Wer soll solche Partner ernst nehmen?
Den Staaten Europas steht eine Zeit der neuen internationalen Härten bevor. Dass ihnen hierfür noch die nötige Strategie fehlt, zeigte der Auftritt der EU-Kommissionschefin in Davos.

Die Welt, wie sie seit der Vereidigung von Donald Trump ist, sieht von Europa aus betrachtet nicht besonders verheissungsvoll aus. Mit dem Amtsantritt des US-Präsidenten habe eine «neue Ära des rauen geostrategischen Wettbewerbs» begonnen, sagte EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Das klingt etwas politikwissenschaftlich, was aber bedeutet es in der Praxis? Kurz gesagt: jeder gegen jeden und jeder für sich. Die drei global dominierenden Wirtschaftsmächte – Amerika, Europa und China (mit seiner angehängten Tankstelle Russland) – versuchen nicht mehr, auf der Grundlage von vereinbarten Regeln zum gegenseitigen Vorteil zusammenzuarbeiten, sondern jeweils für sich das Beste und meiste herauszuholen.
Zweckbündnisse sind dabei nicht ausgeschlossen, aber im Grunde sind die drei Akteure Rivalen beim Zugang zu Rohstoffen, Technologien, Handelsrouten, Märkten. Aus der kooperativen Welt wird eine darwinistische. Europa, das von der alten Ordnung unendlich viel profitiert hat, mag das bedauern. Aber Europa kann es nicht ändern.
Umso enttäuschender ist, dass es gerade nicht von der Leyen war, die mächtigste Vertreterin der EU, die in Davos die klarste Vision davon entworfen hat, wie Europa mit dieser neuen Lage umgehen soll. Die Kommissionspräsidentin stellte zwar einige Ideen vor, um die europäische Wirtschaft zu stärken. Aber ihre Pläne klangen bürokratisch und blass: Kapitalmarktunion, billigere Energie, weniger von jener lähmenden Bürokratie, die nicht zuletzt die EU-Kommission stets so fleissig vermehrt hat. Alles bestimmt nicht falsch. Aber trifft es wirklich den Kern des Problems? Ist das die Mentalität, mit der Europa in die neue Ära eintreten sollte?
Das Visionäre kam von Selenski
Die angemessene Dringlichkeit und der notwendige Sinn für die bitterernste Realität steckten stattdessen in der Rede eines Präsidenten, dessen Land nicht zur Europäischen Union gehört, der aber mehr an die Kraft Europas zu glauben scheint als viele seiner EU-Kolleginnen und -Kollegen: Ausgerechnet Wolodimir Selenski, Staatschef der Ukraine, zeichnete in Davos das Bild eines selbstbewussten Europas, das sich nicht damit begnügt, aus Sicht Washingtons oder Pekings nur dritt- oder viertrangig zu sein. Sondern das als Partner gewollt wird, gerade auch von Donald Trump, weil es einen substanziellen Mehrwert zu bieten hat.
Im Moment, so Selenski, schaue Europa ängstlich auf die USA. Als ein Beispiel für die kognitive Dissonanz der Europäer nannte er die wahrhaft bizarre Situation, dass Europa sich zwar von den USA Schutz vor Russland erhofft und erbittet, zugleich aber Moskau immer noch jedes Jahr für Milliarden Euro Flüssiggas abkauft.
Und selbstverständlich hat Selenski recht: Das ist ein Skandal, eine spektakuläre geostrategische Dummheit. Wer soll solche Partner ernst nehmen? Das Fazit des Ukrainers: «Europa muss lernen, so für sich selbst zu sorgen, dass die Welt sich nicht leisten kann, es zu ignorieren.»
Ja, sicher, das ist leichter gesagt als getan, die Weltenläufe sind komplex, die Probleme schwierig, die Lösungen immer umstritten. Aber wenn die Europäer nicht einmal wagen, ein klares, ehrgeiziges Ziel für ihren Platz in der neuen Welt zu formulieren – wie wollen sie dann den rauen Wettbewerb überstehen?
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