Boomende AktienkurseWas die jüngsten Börsenrekorde für die Zukunft bedeuten
Allein im Dezember hat die Schweizer Börse um mehr als 5 Prozent zugelegt. Warum Corona den Aktienmärkten bisher wenig anhaben konnte und wie die Prognosen für 2022 aussehen.
Trotz zwei Jahren Corona-Krise lief es an den Börsen weltweit – auch in der Schweiz – bestens. Gemessen am hiesigen Leitindex, hat die Schweizer Börse seit Jahresbeginn 2020 um rund 21 Prozent zugelegt.
In welchem Kontext steht diese Entwicklung, und was ist für die Zukunft zu erwarten? Die wichtigsten fünf Punkte.
Von einem Rekord zum nächsten
Die US-Börse, an der sich alle anderen orientieren, hat seit Jahresbeginn 2020 gemessen am S&P-500-Index rund doppelt so stark wie jene der Schweiz zugelegt: um 50 Prozent.
Wichtigster Treiber waren die Titel von Techgiganten wie Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und Alphabet. Das drückt sich in einem Kursgewinn von sogar 75 Prozent im Technologieindex Nasdaq aus, den diese Unternehmen dominieren.
Dass die Schweizer Börse im Vergleich dazu weniger zugelegt hat, liegt vor allem an ihrer «defensiven» Gewichtung. Das bedeutet, die hier gelisteten Unternehmen verdienen ihr Geld weniger in Abhängigkeit von der generellen Nachfrage. Das gilt vor allem für den Nahrungsmittelmulti Nestlé und die beiden Pharmagiganten Roche und Novartis, die den SMI zur Hälfte dominieren.
Nestlé und Roche legten in den beiden Krisenjahren beide rund 21 Prozent zu und damit etwa gleich stark wie der gesamte SMI. Die Aktie von Novartis hat mit einem Kursverlust von fast 13 Prozent die Entwicklung der Schweizer Börse seit Anfang 2020 allerdings gebremst.
Bisherige Stützungsmassnahmen gefährdet
Die starke Börsenperformance weltweit trotz der Krise liegt zu einem grossen Teil an den Stützungsmassnahmen durch Regierungen und Notenbanken. Die Staaten haben mit vielen Massnahmen Menschen und Unternehmen direkt gestützt, in den USA durch direkte Zuschüsse, in der Schweiz und anderen Ländern durch Kurzarbeitsprogramme und subventionierte Kredite.
Dass die Technologiefirmen allen anderen davonzogen, lag auch daran, dass ihre Dienstleistungen und Produkte eher noch stärker nachgefragt wurden und künftig werden als bisher.
Diese Massnahmen laufen allerdings jetzt aus. Die mittlerweile stark gestiegene Staatsverschuldung vor allem in den USA und die politische Polarisierung verunmöglichen zudem bereits geplante Ausgaben. Von dieser Seite ist daher künftig keine Stützung der Börsen mehr zu erwarten.
Noch wichtiger für die Kapitalmärkte ist aber die Geldpolitik der Notenbanken. Mit ihren extrem tiefen bis negativen Zinsen haben sie bereits seit der Finanzkrise die Börsen befeuert. Angesichts einer deutlich angestiegenen Inflation vor allem in den USA droht auch hier der wesentliche Treiber zu verschwinden.
Ein weiterer Treiber der Kurse waren aber auch deutlich gestiegene Margen bei vielen Unternehmen und damit auch Gewinne. Angesichts der gestiegenen Inflation war es einigen möglich, im Windschatten der generellen Entwicklung der Preise auch ihre eigenen anzuheben, selbst wenn die Kosten nicht entsprechend gestiegen sind.
Aussichten für das nächste Jahr
Dass die Kurse auch im Dezember deutlich zugelegt haben, hat wenig mit aufgehellten Aussichten zu tun. Zum einen sind die Umsätze aktuell gering, zum anderen ist ein sogenanntes Jahresendrallye nichts Ungewöhnliches. Eine Erklärung für zum Jahresende steigende Kurse ist, dass Fonds- und Vermögensverwalter bestrebt sind, Ende Jahr besser dazustehen. Sie kaufen jene Aktien zu, die schon auf der Gewinnerstrasse waren, und verkaufen die anderen.
Positiv für die Börsen ist aber auch, dass die Prognosen für die Konjunkturentwicklung weltweit und in der Schweiz trotz der aktuellen Corona-Welle zwar gedämpft, aber noch immer positiv sind.
Selbst die erwartete Zinswende nimmt sich bescheiden aus. In den USA soll der Leitsatz der Notenbank bis Ende 2022 gemäss dem Entscheidungsgremium des Fed auf 0,9 Prozent steigen. Bereinigt um die erwartete Teuerung, bliebe damit der «reale» Zinssatz auch dort noch im negativen Bereich. In Europa oder der Schweiz ist ohnehin kein Abschied der Negativzinsen in Aussicht.
Auch historisch tief bleibende Langfristzinsen sprechen gegen die Erwartung einer lange hoch bleibenden Inflation und deshalb auch gegen stark steigende Leitzinsen als Reaktion der Notenbanken.
Die grossen Unsicherheiten
Angesichts der weiterhin positiven, wenn auch jüngst gedämpften Wirtschafts- und Gewinnaussichten geht kaum eine Prognose von einem schweren Einbruch an den Aktienmärkten aus.
Allerdings weisen die meisten Prognosen darauf hin, dass die Aussichten zurzeit besonders unsicher sind. Zu viele im Moment noch unwägbare Faktoren könnten die Wirtschafts- und Börsenlage deutlich eintrüben lassen. Da wäre einmal eine doch länger anhaltende und vielleicht sogar höhere Inflation, die die Notenbanken zu gegenwärtig nicht erwarteten scharfen Zinserhöhungen zwingen könnte.
Sollte die Corona-Krise zu weiteren und längeren Lockdowns führen, droht auch ein sehr viel geringeres oder im schlimmsten Fall sinkendes Wachstum oder sogar eine Stagflation, die an die Krise der 1970er-Jahre mit Inflation und Rezession erinnert.
Dazu kommen geopolitische Spannungen wie jene um Russland und die Ukraine oder um China und Taiwan und die Aussicht auf eine Mehrheit der Republikaner im US-Kongress im Jahr 2022. Das würde den Bewegungsspielraum von Präsident Joe Biden noch stärker einschränken und einer Wiederwahl von Donald Trump den Weg bereiten. Eine verschärfte Spaltung in den USA und eine wenig verlässliche Politik in der nach wie vor wichtigsten Wirtschaftsmacht wäre angesichts der übrigen Unsicherheiten ebenfalls schädlich für die Börsen.
In eigener Sache
Mit diesem Artikel und diesem letzten Blogbeitrag auf «Never Mind The Markets» verabschiedet sich Markus Diem Meier. Er begann 2009 als Onlineredaktor, wurde dann stellvertretender Leiter und später Chef der Wirtschaftsredaktion. Seit 2017 arbeitete er als Chefökonom und Autor und schrieb vor allem über makroökonomische Themen. Er prägte diese Zeitung mit seinen profunden Analysen und Kommentaren. Nun wagt mdm eine neue berufliche Herausforderung: Auf Anfang Jahr wird er Co-Chefredaktor der «Handelszeitung». Wir danken ihm für sein langjähriges Engagement. (pbu)
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