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Türkei und der Ukraine-Krieg
Warum Erdogan vermitteln will

Sie unterhalten eine tragfähige Arbeitsbeziehung: Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin.
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Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan versucht im Ukraine-Krieg zu vermitteln. Erdogan, der gute Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland unterhält, telefonierte am Sonntag eine Stunde lang mit Russlands Staatsoberhaupt Wladimir Putin. Über den Inhalt wurde zunächst nichts bekannt.

Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin hatte vor dem Telefonat gesagt, im Ukraine-Konflikt brauche es einen neutralen Vermittler: Nachdem der Westen «die Brücken abgebrannt hat», müsse ein anderer mit Russland sprechen. «Es ist wichtig, dass Moskau einen Ansprechpartner hat, dem es vertraut.»

Der türkische Sprecher sagte ausserdem, es müsse neben dem Beginn eines diplomatischen Dialogs vor allem um die Öffnung humanitärer Korridore zur Evakuierung von Zivilisten aus den Kampfgebieten gehen. Kalin zufolge hatte Erdogan am Samstag bereits mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und auch mit den Regierungschefs von Grossbritannien und Kanada telefoniert.

Gespräche am Diplomatieforum in Antalya

Neben dem Kontakt im direkten Gespräch der Staatschefs versucht die Türkei, auf der Aussenministerebene diplomatische Bewegung in den Konflikt zu bringen. Beim Internationalen Diplomatieforum, das vom 11. bis 13. März im Ferienort Antalya stattfindet, sollen der russische Aussenminister Sergei Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Dmytro Kuleba am Rande zusammentreffen. Lawrow habe bestätigt, dass er kommen werde, sagte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu. Unklar sei, ob der ukrainische Minister aus dem Kriegsgebiet anreisen könne.

Cavusoglu hatte die Türkei offenbar beim Brüsseler Nato-Sondergipfel als Mediator ins Spiel gebracht: «Die Amtskollegen haben zum Ausdruck gebracht, dass die Türkei zu den wenigen Staaten gehört, die im Dialog mit beiden Staaten sind.» Zudem denkt Ankara Medienberichten zufolge darüber nach, ein trilaterales Treffen im Rahmen der wegen des Syrien-Kriegs ins Leben gerufenen Astana-Gruppe abzuhalten. Dort sässen neben Türken und Russen auch die Iraner mit am Tisch.

Die Türkei liefert der Ukraine sogar Waffen, etwa die gefürchteten TB-2-Kampfdrohnen.

Die Türkei hatte sich aber auch schon vor dem Ausbruch des Kriegs immer wieder als Vermittlerin angeboten. Sie war im Kreml allerdings auf taube Ohren gestossen. Ankara hatte sich dann mit dem Beginn der Kriegshandlungen klar positioniert. Es wirft Moskau einen Angriffskrieg vor und hat sich für den Erhalt der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine ausgesprochen.

Die Türkei unterhält sehr gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Kiew. Sie liefert sogar Waffen, etwa die gefürchteten TB-2-Kampfdrohnen. Seit einiger Zeit werden die Fluggeräte auch gemeinsam entwickelt und produziert. (Lesen Sie auch den Artikel «Erdogan kritisiert Russland, ist aber auf Putin angewiesen».)

Gute Beziehungen zwischen Ankara und Kiew: Recep Tayyip Erdogan und Wolodimir Selenski.

Zudem hat Ankara vergangene Woche mit den Wasserstrassen Bosporus und Dardanellen die Schwarzmeerzufahrt für die russische Kriegsmarine – und für alle anderen Staaten – gesperrt. Dies ist ein Ärgernis für Putin, dessen Flotte an der ukrainischen Küste Landungsoperationen ausführen soll. Vier oder fünf seiner Kriegsschiffe hängen derzeit im Mittelmeer fest.

Die Türkei hingegen kontrolliert mit den Meerengen den einzigen Zugang zum Schwarzen Meer. Das Gewässer hat sowohl eine ukrainische als auch eine russische Küste. Auf der von Moskau 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim liegen russische Kriegshäfen.

Für Erdogan ist die Ukraine-Krise ebenso gefährlich, wie sie eine Chance ist.

Bewusst stösst Erdogan Kremlchef Putin aber trotz des Ukraine-Kriegs nicht vor den Kopf. Ankara hat sich der Sanktionswelle westlicher Staaten nicht angeschlossen, es hat den Luftraum für russische Airlines offen gehalten. Das türkische Verhältnis zu Russland ist zwar generell nicht einfach, aber es funktioniert auch in Krisen. Erdogan unterhält trotz aller Interessengegensätze eine tragfähige Arbeitsbeziehung zu Putin.

In den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen unterstützen die Türkei und Russland seit Jahren jeweils die gegnerische Kriegspartei mit Waffen, Truppen oder Söldnern. Sie kommen sich aber militärisch nicht direkt in die Quere. Das Nato-Land Türkei hat zudem das russische Luftabwehrsystem S-400 gekauft und dafür grossen Ärger mit den westlichen Verbündeten in Kauf genommen.

Schlüsselrolle der Türkei

Wirtschaftlich ist die Türkei allerdings abhängig von Russland. Bei Erdöl und Gas und bei den Getreidelieferungen ist Moskau ein Hauptlieferant. Russland baut zudem das erste AKW der Türkei. Russische Feriengäste sind – wie auch die Ukrainer – ein gewichtiger Faktor für die türkische Tourismusbranche.

Für Erdogan ist die Ukraine-Krise ebenso gefährlich, wie sie eine Chance ist. Unter einem längeren Krieg würde die Türkei wirtschaftlich leiden. Wegen der Kontrolle der Wasserstrassen könnte Ankara als Nato-Mitglied sogar militärisch in den Konflikt hineingezogen werden. Gleichzeitig ist die Türkei aber wegen der guten Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine als mögliche Vermittlerin im Vorteil. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «So könnte der Krieg weitergehen».)

Am Ende könnte der international schlecht beleumundete Erdogan zur Schlüsselfigur werden. Dabei könnte er seine langjährige Strategie vorantreiben, dem Nato-Staat Türkei zu einer eigenständigeren Rolle zwischen Russland und der westlichen Allianz zu verhelfen. So könnte er sein Land zu einer noch gewichtigeren Regionalmacht machen.