Wahlkampf in DeutschlandCDU und CSU wollen Einwanderung «stoppen» – und kopieren dafür die AfD
Friedrich Merz und Markus Söder übernehmen in der Asylpolitik Maximalforderungen von Alice Weidels AfD. Die Christdemokraten wecken damit nicht erfüllbare Erwartungen.

- CDU und CSU versprechen «Beendigung» der irregulären Migration.
- Asylverfahren sollen in Drittstaaten ausserhalb der EU ausgelagert werden.
- Fachleute warnen, viele Forderungen verstiessen gegen deutsches oder europäisches Recht.
Dass sich die Alternative für Deutschland (AfD) über die christdemokratische Konkurrenz ärgert, kommt öfters vor. So dann aber doch selten: CDU und CSU hätten in der Asylpolitik einfach das Programm der AfD kopiert, beklagte sich deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel kürzlich. Dabei hätten die Christdemokraten, die vermutlich bald wieder regieren, keinerlei Absicht, die Forderungen auch umzusetzen. So stehe nur der nächste «Verrat» ins Haus, so Weidel.
Friedrich Merz und Markus Söder, die Chefs von CDU und CSU, ziehen tatsächlich mit dem Versprechen in den Wahlkampf, die sogenannte irreguläre Migration nicht nur zu bremsen oder «besser zu steuern», wie sie früher sagten, sondern zu «stoppen». Um das zu erreichen, sind sie nicht nur bereit, das geltende Asylsystem in grossen Teilen zu demontieren, sondern sich auch darüber hinwegzusetzen, dass viele ihrer Vorschläge geltendes Recht brechen. «Wir brauchen eine echte Wende», rechtfertigen sie sich.
Einigkeit zwischen CDU und CSU: «Wer straffällig wird, fliegt»
Im Mittelpunkt ihrer Forderungen stehen die sogenannten Zurückweisungen an der Grenze. Bislang lässt Deutschland Flüchtlinge auch ohne entsprechende Papiere einreisen, sofern diese um Asyl bitten. Laut europäischem Recht muss Deutschland prüfen, ob die Person Schutz verdient und wer für diesen zuständig ist.
2018 hätten sich CDU und CSU ob dieser Frage beinahe getrennt: CSU-Innenminister Horst Seehofer wollte Flüchtlinge an der Grenze pauschal zurückweisen, CDU-Kanzlerin Angela Merkel verweigerte dies mit Hinweis auf Recht und europäische Solidarität. Knapp sieben Jahre später sind sich Merz und Söder nun einig – gegen Merkel. Menschen, die aus Polen oder der Schweiz nach Deutschland drängten, seien nicht mehr bedroht, bräuchten also deutschen Schutz gar nicht, argumentieren sie.

Eine Kaskade von weiteren Massnahmen soll die Migration nach Deutschland «beenden». Wie die frühere Regierung Grossbritanniens und die aktuelle Italiens wollen CDU und CSU künftig Asylverfahren und -schutz möglichst in Drittstaaten ausserhalb der EU auslagern, etwa nach Afrika. Der «subsidiäre Schutz», der bislang Menschen gewährt wird, die nicht individuell verfolgt, aber in ihrer Heimat gefährdet sind, soll abgeschafft werden – der Familiennachzug dieser Gruppe sowieso.
Ein Bleiberecht sollen künftig nur noch Menschen haben, die für sich selbst sorgen können. Ausreisepflichtigen wird Hilfe nur noch in Form von «Bett, Brot und Seife» gewährt. «Wer straffällig wird, fliegt», fordert Söder. Jeder, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werde, und sei es bedingt, müsse abgeschoben werden, erläutert Merz. Künftig soll ein Betroffener zudem unbefristet lange in Abschiebehaft genommen werden können.
Merz und Söder wollen Deutschen, die noch einen anderen Pass haben, künftig sogar die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen, falls sie sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben. Bislang verbietet die deutsche Verfassung das, ausser im Fall von Terroristen, Söldnern oder Staatsfeinden.
Die politische Konkurrenz links von CDU und CSU hält fast all diese Massnahmen für unnötig, verfassungswidrig oder undurchführbar. Die Sozialdemokraten, die mit Olaf Scholz noch den Kanzler und mit Nancy Faeser die Innenministerin stellen, betonen, ihre Verschärfungen der Asylpolitik hätten die Einwanderung im letzten Jahr schon um ein Drittel reduziert und die Abschiebungen um ein Fünftel gesteigert. Insbesondere die intensiveren Kontrollen an den Grenzen seien ein Erfolg. Neue europäische Massnahmen an den Aussengrenzen würden die Lage bald weiter entspannen, für Hysterie gebe es keinen Grund.
Seit den Messeranschlägen von islamistischen Asylbewerbern in Mannheim und Solingen sowie der mörderischen Autoattacke eines saudischen Islamhassers in Magdeburg sehen CDU und CSU das grundlegend anders. Ihre Kehrtwende hin zu Massnahmen, die bisher nur die in Teilen rechtsextreme AfD verlangte, birgt aber eine andere Gefahr: Dass sie Erwartungen weckt, die sie unmöglich einlösen kann.
Gesetze lassen sich ändern, aber nicht beliebig
Von den Zurückweisungen bis zur unbefristeten Abschiebehaft verstossen laut Fachleuten fast all ihre Forderungen gegen geltendes deutsches oder europäisches Recht. Für ihre «Grenzschliessungen» wollen CDU und CSU den Ausnahmeartikel 72 des EU-Vertrags beanspruchen. Der taugt aber allenfalls für Staaten wie Finnland oder Polen, die sich gegen den Einsatz von «Migration als Waffe» durch Russland wehren. Verfahren in Drittstaaten ausserhalb der EU wiederum sind nicht nur rechtlich zweifelhaft und sehr schwer umzusetzen, sondern eignen sich auch nur für relativ kleine Gruppen von Asylsuchenden.
Gesetze könne man ändern, halten CDU und CSU Kritikern entgegen. Sie verschweigen aber, dass dies äusserst langwierig wäre und Gerichte, die über Menschenrechte wachen, dabei mitentscheiden. Fachleute warnen vor vermeintlichen «Zauberlösungen»: Migration lasse sich nur durch mühselige, europäisch konzertierte Kleinarbeit kontrollieren und reduzieren, etwa durch schnellere Verfahren, bessere Zusammenarbeit mit Herkunftsländern und eine strengere Praxis im Detail.
Die AfD ist derweil längst einen Schritt weiter. Am Parteitag am Wochenende fügte sie die Forderung nach «Remigration» in ihr Wahlprogramm ein. Rechtsextreme in der Partei meinen damit die millionenfache Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland. In Karlsruhe fanden Menschen mit ausländisch klingenden Namen am Montag Fake-Flugtickets der AfD in ihren Briefkästen, die zur umfassenden Abschiebung aufrufen.
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