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Forderungen in Deutschland
Kaum ist Assad gestürzt, werden die Syrer zu Wahlkampf-Thema

PRODUKTION - 08.12.2024, Rheinland-Pfalz, Mainz: Exil-Syrer feiern auf dem Schillerplatz und der Ludwigstraße den Sturz des Assad-Regime. Rebellen haben in Syrien den Sturz von Baschar-al Assad (Baath-Partei), Staatspräsidenten Syrien, erzwungen. Der Diktator ist offenbar aus dem Land geflohen. Foto: Andreas Arnold/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Andreas Arnold)
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In Kürze:
  • Die AfD fordert die sofortige Rückkehr von syrischen Geflüchteten.
  • Die CDU will syrischen Rückkehrwilligen Geld und Gratisflüge anbieten.
  • Linke Parteien kritisieren die Forderungen als zynisch und populistisch.

Am schnellsten war natürlich die Alternative für Deutschland (AfD). Damaskus erzitterte noch vom plötzlichen Sturz Bashar al-Assads, da forderte Alice Weidel schon die massenhafte Rückkehr von Syrerinnen und Syrern in ihre Heimat. Alle, die vor Assad geflüchtet seien, so die Kanzlerkandidatin, hätten nun keinen Grund mehr, in Deutschland Schutz zu suchen. «Selbstverständlich müssen diese Personen zeitnah in ihr Heimatland zurückkehren.» Co-Chef Tino Chrupalla formulierte dann noch aus, was die AfD mit «zeitnah» meint: «sofort».

Da wollte man bei den Christdemokraten natürlich nicht zurückstehen. Jens Spahn, Vizechef der CDU, schlug vor, den Rückkehrwillen der Syrer in Deutschland zu beflügeln, indem die Regierung ihnen «1000 Euro Startgeld» und Gratisflüge in die Heimat anbiete. Vor allem junge Menschen würden jetzt für den Wiederaufbau benötigt. Mit einer internationalen «Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz» könnte Deutschland diese Entwicklung beschleunigen.

Einige Asylexperten von CDU und CSU sparten sich Spahns Bildlichkeit, forderten in der Sache aber Massnahmen, die über die Unterstützung Rückkehrwilliger weit hinausgehen: Syrische Geflüchtete sollten in Deutschland erst gar nicht mehr aufgenommen werden. Unverzüglich müsse man auch daran gehen, temporär verliehene Schutztitel in grosser Zahl zu widerrufen.

19.11.2021, Berlin: Jens Spahn (CDU), geschäftsführender Bundesminister für Gesundheit, gibt eine Pressekonferenz zur Corona-Pandemie. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Kay Nietfeld)

In der Mitte und bei linken Parteien löste diese Rhetorik Empörung aus. «In dieser unübersichtlichen Situation über beschleunigte Rückführungen und Aufnahmestopps zu fabulieren, zeigt die zynische Haltung der Union», meinte etwa der Sozialdemokrat Dirk Wiese. Die Vorschläge von CDU und CSU seien «reiner Populismus». Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, in Deutschland praktizierten allein 6000 syrische Ärzte, auf die man nicht verzichten könne. Andere warnten vor einem drohenden Notstand in der Pflege.

Nirgends in Europa leben so viele Syrerinnen und Syrer wie in Deutschland: Nach aktuellen Zählungen sind es fast eine Million, rund 5 Prozent der ursprünglichen syrischen Bevölkerung. Die meisten suchten 2015/16 in Deutschland Schutz, aber auch dieses Jahr kamen noch 75’000 neu – die mit Abstand grösste Gruppe von Asylsuchenden.

Wie anderswo in Europa stoppten die deutschen Behörden am Montag aufgrund der Entwicklung erst mal alle offenen Asylentscheide, die Syrerinnen und Syrer betreffen; zurzeit geht es um 47’000 Fälle. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüsste dies. Erst wenn sich die Situation in Syrien kläre, könne man über das weitere Vorgehen reden. Für Rückkehrforderungen sei es noch viel zu früh.

Welche Schutztitel könnten überhaupt widerrufen werden?

Der Schutz von etwa 650’000 Syrern und Syrerinnen in Deutschland ist befristet und kann prinzipiell widerrufen werden, wenn sich die Lage im Heimatland befriedet. Fachleute halten einen massenhaften Widerruf aber für wenig wahrscheinlich und bezweifeln auch, dass dieser aus deutscher Sicht sinnvoll wäre.

Viele Syrerinnen und Syrer, die 2015/16 kamen, sind längst Deutsche. Schätzungsweise 230’000 wurden in den vergangenen drei Jahren eingebürgert. Etwa die Hälfte aller Schutzsuchenden arbeitet und kommt selbst für ihr Leben auf. Vor allem die Jüngeren, die gut Deutsch und einen neuen Beruf gelernt haben, sind an einer Rückkehr vielleicht erst mal wenig interessiert.

Daniel Thym, renommierter Migrationsrechtler der Universität Konstanz, schlägt deswegen vor, sich bei einem allfälligen Widerruf von Schutztiteln auf jene Gruppe von syrischen Geflüchteten zu konzentrieren, die wenig integriert sei und noch keine «verfestigten Aufenthaltstitel» habe, wie er der «Welt» sagte.

Alles hänge freilich davon ab, wie sich die Lage in Syrien entwickle. Komme es auf Dauer zu einer halbwegs stabilen Regierung wie etwa im Irak, werde eine Rückkehr für viele zum Thema. Entbrenne der Bürgerkrieg aber von neuem, könnten erneut Menschen nach Deutschland flüchten und dort um Schutz ersuchen – mit guter Aussicht auf Erfolg.