Wahlen in BrandenburgDieser Hüne soll Olaf Scholz retten
Um die AfD als stärkste Kraft in Brandenburg zu verhindern, geht Ministerpräsident Dietmar Woidke eine riskante Wette ein, für seine SPD und den Kanzler.
So etwas hat auch die Lausitz noch nicht gesehen, dieses Braunkohlerevier, das sich zwischen Brandenburg und Sachsen an die polnische Grenze zieht: ein christdemokratischer Ministerpräsident aus Sachsen, der zur Wahl seines sozialdemokratischen Amtskollegen in Brandenburg aufruft – und nicht etwa zu der des CDU-Kandidaten.
«Erst kommt das Land, dann die Partei», ruft Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Cottbus dem neben ihm sitzenden Dietmar Woidke zu. «Wir müssen zusammenhalten.» Sie beide, Ministerpräsidenten aus benachbarten Bundesländern, aber konkurrierenden Parteien, seien in schweren Zeiten letzte «Inseln der Verlässlichkeit» und «Felsen in der Brandung», meint Kretschmer.
Wogegen sie sich stemmen, ist klar: gegen die AfD. Aber auch sonst sind sie sich nah: Kretschmer und Woidke stammen beide aus der Lausitz, der eine aus Görlitz im Osten, der andere aus Naundorf im Westen.
«Es darf nicht so ausgehen wie in Thüringen»
Es sei entscheidend, dass bei der Landtagswahl am Sonntag eine «demokratische Partei» stärkste Kraft werde und nicht eine vom extremen rechten Rand, sagt Kretschmer. In Brandenburg komme diese Aufgabe der SPD zu. «Es darf nicht und muss nicht so ausgehen wie in Thüringen», sagt er und spielt darauf an, dass der dortige Wahlsieg der AfD die Regierbarkeit drastisch einschränkt. Politische Stabilität, ergänzt Woidke, sei die Voraussetzung für eine gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung.
Er unterstütze Woidke, weil er sehe, dass dieser gut regiere, meint Kretschmer. Er lobt dessen «Geradlinigkeit, Verlässlichkeit und die Fähigkeit, über Landes- und Parteigrenzen hinwegzuschauen». «Ein Ja ist bei ihm ein Ja, ein Nein ein Nein.» Und dann sei er zu allem Überfluss noch sympathisch, obschon Preusse – diesen Witz lässt sich der Sachse nicht entgehen, zur Belustigung der lokalen Medien.
Die SPD legt zu, aber die AfD liegt immer noch vorn
Wenn sich ein roter Preusse im Wahlkampf von einem schwarzen Sachsen helfen lassen muss, ist die Lage ernst: Die AfD steht in Brandenburg kurz davor, erstmals stärkste Partei zu werden. In Sachsen hat Kretschmer dies vor drei Wochen mit einem fulminanten Endspurt noch knapp verhindert. Woidke soll nun dasselbe gelingen. Daran hängt nicht nur dessen eigenes politisches Schicksal – auch Olaf Scholz, der angeschlagene SPD-Bundeskanzler im 130 Kilometer entfernten Berlin, dürfte bei einer Niederlage Woidkes bedrohlich wackeln.
Für den Sieg ist der 62-jährige Woidke eine riskante Wette eingegangen: Liegt seine SPD am Sonntag nicht auf Platz eins, tritt er zurück – ungeachtet dessen, dass seine Partei wohl auch dann weiterregieren wird. Die Ankündigung wirkte im Wahlkampf wie ein elektrischer Schlag, wie Notwehr, Versprechen und Drohung in einem: Wer mich als Regierungschef behalten will, so die Botschaft, muss SPD wählen – Unmut über Scholz hin oder her. Woidke, muss man dazu wissen, ist in Brandenburg beliebt, in Umfragen wünscht sich mehr als die Hälfte, dass er Ministerpräsident bleibt.
Seit seiner Ankündigung hat sich der Wahlkampf zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD und SPD zugespitzt. Beide Parteien profitieren davon: Stimmen von der CDU und den Grünen fliessen zu Woidke, in den Umfragen hat er zuletzt um 7 Prozentpunkte zugelegt. Doch auch die AfD wächst, kurz vor der Wahl liegt sie immer noch knapp vorn: Sie wird mit 27 bis 29 Prozent gemessen, die SPD mit 26 – immerhin doppelt so hoch wie sonst in Deutschland im Schnitt.
Homestory mit Frau Susanne und Dackel Justus
Anders als in Sachsen und Thüringen, die seit der Wiedervereinigung fast immer von Christdemokraten regiert wurden, dominieren in Brandenburg die Sozialdemokraten: Seit 1990 regieren sie, Woidke, der seit 2013 im Amt ist und zuletzt eine Koalition mit CDU und Grünen angeführt hat, ist erst der dritte Ministerpräsident.
Der 1,96-Meter-Hüne ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und hat in der DDR Landwirtschaft studiert – bis zum Doktortitel als Agraringenieur. Er ist ein geselliger, erdverwachsener Typ, als Politiker wirkt er sachlich und pragmatisch. Er sei eher der Typ «Handwerk statt Mundwerk», lobt er sich selbst.
Weil er weiss, dass Politiker sich heute auch als Menschen empfehlen müssen, hat er sich mit Frau Susanne und Dackel Justus erstmals den Klatschblättern geöffnet – für eine Homestory in der «Bunten» und ein selbst produziertes 16-seitiges Magazin, das er in 1,2 Millionen Exemplaren quer durch Brandenburg hat verteilen lassen.
Es wird eine Zitterpartie – auch für Olaf Scholz
Woidke kann auch auf Erfolge seiner Politik verweisen: Die Bevölkerung bleibt stabil, statt zu schrumpfen wie befürchtet, die Wirtschaft wächst deutlich schneller als im deutschen Schnitt. Zuletzt gelang es seiner Regierung etwa, den US-Elektroautobauer Tesla nach Grünheide zu locken oder ein grosses neues Eisenbahnwerk nach Cottbus. Der Ausstieg aus der Braunkohle schreitet voran, der Ausbau der erneuerbaren Energien ebenfalls.
Da keine andere Partei mit der AfD zusammenarbeiten will, dürfte die SPD nach der Wahl vom Sonntag auch von Platz 2 aus wieder die Regierung bilden – nur eben ohne Woidke. Kritiker unken, ein Rücktritt würde dem Ministerpräsidenten nicht schwerfallen, schliesslich habe er sowieso geplant, sein Amt in zwei Jahren einem Jüngeren zu übergeben.
Bleibt das Problem, dass die Menschen, die SPD wählen, nicht wissen, wer sie künftig regieren wird, falls Woidke zurücktritt. Anwärterinnen auf die Nachfolge gibt es: Katrin Lange etwa, die bisherige Finanzministerin, oder Manja Schüle, Ministerin für Kultur und Wissenschaft. Eine Zitterpartie wird es in jedem Fall – auch für Olaf Scholz.
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