Von der Bank in die KindertagesstätteWer in der Schweiz einen Berufswechsel macht
Die Stellenwechsel nehmen langsam, aber stetig zu. Rund 40 Prozent arbeiten danach in einer anderen Branche. Und manche wählen gleich einen ganz anderen Beruf.
Die Zeiten für einen beruflichen Neustart sind in der Schweiz gut. Die relativ breit gefassten Berufsausbildungen und ein flexibler Arbeitsmarkt machen einen Wechsel einfacher. Dazu kommt der Fachkräftemangel.
Wie häufig wird in der Schweiz die Arbeitsstelle gewechselt?
Nicht immer muss es gleich ein radikaler Berufswechsel sein (lesen Sie hier mehr zu der Käserin). Doch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz denken heute eher über einen Stellenwechsel nach als noch vor ein paar Jahren. Das merken auch Arbeitsmarktexperten wie Matthias Mölleney, Leiter des Centers für Personalwesen und Führung an der Hochschule für Wirtschaft Zürich. «Wie viele den Wechsel dann aber tatsächlich umsetzen, steht auf einem anderen Blatt.»
In der Statistik zeigt sich nur ein langsamer Anstieg der Stellenwechsel. 2022 wechselten laut der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 12,8 Prozent die Stelle. 2017 lag der Wert bei 12,1 Prozent.
Grund für die gestiegene Bereitschaft zum Stellenwechsel ist aber nicht zwingend eine höhere Unzufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrer Situation. Ihnen spielt der nach wie vor in vielen Bereichen anhaltende Fachkräftemangel in die Hände.
Er hat dazu geführt, dass sich die Gewichte zwischen Stellensuchenden und den Unternehmen verschoben haben. «Stellensuchende sind in einer guten Position. Viele müssten die Stelle eigentlich nicht wechseln, sind aber offen, wenn ein besseres Angebot kommt», sagt Mölleney. Die Wechselbereitschaft ist allerdings von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Verschlechtert sich diese, halten Erwerbstätige eher an ihrer Arbeitsstelle fest.
Wie häufig sind Branchenwechsel?
Die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit nahm während der Corona-Pandemie bei vielen zu. Die radikale berufliche Veränderung wagt jedoch nur ein kleiner Teil. Wer eine neue Stelle annimmt, bleibt seiner angestammten Branche mehrheitlich treu.
Rund 40 Prozent der Personen, die eine neue Stelle antreten, wechseln gleichzeitig auch die Branche. Seit Jahren ist ihr Anteil mehr oder weniger konstant, wie Berechnungen der Denkfabrik Avenir Suisse zeigen. Auch die Pandemie hatte darauf keinen unmittelbaren Einfluss.
Werden die Branchenwechsel mit dem europäischen Ausland verglichen, zeigen sich die hiesigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber eher bereit für einen beruflichen Neustart. Das geht aus einem Arbeitspapier der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. So waren in Schweden knapp 90 Prozent der Stellenwechsel in derselben Branche, in Griechenland und Deutschland mehr als 80 Prozent.
«Stellensuchende müssen sich oft gegen einen wahren ‹Branchenkult› durchsetzen.»
Vor der Schweiz liegen noch Estland, Lettland, Frankreich und Finnland. «Die relativ breit gefassten Berufsausbildungen in der Schweiz sind ein Faktor, der das begünstigt», sagt Florence Mauli, Ökonomin bei Avenir Suisse.
Wer beispielsweise eine kaufmännische Lehre abschliesst, kann damit in der Finanzbranche oder in der Industrie arbeiten. Dazu kommt, dass in der Schweiz der Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich flexibel ist. Mauli: «Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden so rascher einen neuen Job, und Unternehmen können einfacher neues Personal einstellen.»
Wie häufig sind Berufswechsel?
Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. 2019 wurden laut dem Bundesamt für Statistik bei weniger als einem von drei Stellenwechseln sowohl die Branche als auch der Beruf gewechselt. Aktuellere Daten dazu werden nicht ausgewiesen.
Und sie sind bei einem wichtigen Punkt ungenau: «Wer zum Beispiel in einer Personalabteilung oder im Marketing arbeitet, kann in eine andere Branche wechseln, führt aber eigentlich immer noch die gleiche Tätigkeit aus», sagt Klaus Uhl, Leiter Deutschschweiz bei von Rundstedt. Das Outplacement-Unternehmen hilft gekündigten Arbeitnehmenden beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt und der beruflichen Neuorientierung.
Wie stehen die Chancen, in einer neuen Branche Fuss zu fassen?
Auch wenn die Zahl der offenen Stellen derzeit hoch ist, der Wechsel in eine neue Branche oder einen neuen Beruf ist nicht immer einfach. «Stellensuchende müssen sich oft gegen einen wahren ‹Branchenkult› durchsetzen», sagt der Outplacement-Fachmann Uhl. So beharren die Unternehmen teilweise darauf, dass Bewerberinnen und Bewerber Erfahrung in der Branche mitbringen, in der sie arbeiten wollen.
Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung der Stellenbewerbungen. Interessante Dossiers von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern würden dadurch vielfach ausgeschlossen.
Für Uhl ist dies problematisch. Er nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht: «Für Unternehmen sollte Diversity nicht nur das Geschlecht oder die Herkunft umfassen, sondern auch Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen.»
Karrierefachleute empfehlen Wechselwilligen, von sich aus in einer anderen Branche einen Job zu suchen. Etwa, wenn die Stelle gefährdet ist, so wie bei der Credit Suisse nach der Übernahme durch die UBS. «Es ist nicht gut, zu warten, bis eine Stelle wegrationalisiert wird und man im Sozialplan landet», sagt Stefan Hernandez, Präsident der Karriereberatung Grass & Partner.
Wer wechselt denn eigentlich am ehesten den Job?
Jüngere Menschen wechseln gemäss der Arbeitskräfteerhebung eher die Stelle als ältere. Geht es um einen Karrierewechsel, sind die meisten Menschen, die zu Hernandez in die Beratung kommen, zwischen 40 und 55 Jahre alt. «Oft sind es Menschen, die merken, dass sie sich an ihrer jetzigen Arbeitsstelle nicht weiterentwickeln können», sagt er.
Einige kommen bereits mit einem fixen Plan und wissen, was sie in Zukunft machen wollen. Dazu kann auch der Wechsel in einen anderen Beruf gehören. Bei anderen werde zuerst eine Standortbestimmung gemacht. Das führe manchmal zu ungewöhnlicheren Karriereverläufen, sagt Hernandez. So habe er eine Bankerin beraten, die ihre Stelle gewechselt hat. Heute leitet sie eine Kindertagesstätte. Oder ein Klient von ihm hat aus der Buchhaltung einer Industriefirma in die Betrugsbekämpfung bei der Kriminalpolizei gewechselt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.