Verblüffendes über unseren Geruchssinn«Wir riechen nicht nur Erdbeeren und Gülle, sondern auch Liebe und Angst»
Gerüche spielen eine viel grössere Rolle für das Leben, als den meisten bewusst ist. Wie Düfte uns und unser Denken beeinflussen.
Rümpfen Sie ruhig schon mal die Nase. In diesem Text steht einiges, was Sie vielleicht lieber nicht gewusst hätten. Etwa, dass wir viel animalischer sind, als wir uns gerne eingestehen. Dass wir passend dazu spezielle Schweissdrüsen unter den Achseln und im Anogenitalbereich haben, die gemeinsam mit Bakterien unsere körperliche Duftnote kreieren. Dass man diesen Geruch nicht loswerden kann – egal, wie gewissenhaft man wäscht, schrubbt, sprüht und cremt. Und dass der Körpergeruch obendrein Dinge über uns verrät, die man möglicherweise lieber für sich behalten hätte.
Aber von vorn: Der Mensch und seine Nase haben ein schwieriges Verhältnis. Das gilt nicht nur für den Eigengeruch, sondern auch für den Geruchssinn. Wir begreifen uns mehr als Augen- denn als Nasenwesen und galten auch in der Forschung lange als Mikrosmaten – als Lebewesen mit schwach ausgebildetem Geruchssinn.
«Das ist historisch bedingt», erklärt der Mediziner und Geruchsforscher Johannes Frasnelli von der Universität Trois-Rivières im kanadischen Québec. «Wir haben uns in der Philosophie immer gerne vom Tier abgegrenzt. Riechen galt als niederer, animalischer Sinn, auf den der Mensch als Krone der Schöpfung nicht mehr angewiesen ist.» Bis heute sei der Geruchssinn deshalb der am meisten unterschätzte und am wenigsten erforschte unserer Sinne.
Menschen riechen nicht schlechter als Kaninchen oder Affen
Trotzdem hat die Wissenschaft längst genug Beweise zusammengetragen, um diese Auffassung zu widerlegen. «Das Riechepithel in der hinteren Nasenhöhle kann in Zusammenarbeit mit dem Gehirn mehr als eine Billion verschiedene Düfte unterscheiden», sagt die Sozialpsychologin und Geruchsforscherin Bettina Pause von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zum Vergleich: Farbtöne nehmen wir in rund fünf Millionen Ausprägungen wahr, bei Tonqualitäten sind es rund 400'000.
Spätestens seit die Entschlüsselung des Riechens 2004 mit einem Nobelpreis gewürdigt wurde, ist etwas klarer warum – die Genfamilie der Riechrezeptoren macht beim Menschen ganze drei Prozent des Erbguts aus. Und unser Bulbus olfactorius, also jener Bereich im Gehirn, in dem die Riechnerven der Nase enden, ist nicht kleiner als bei anderen Säugetieren und obendrein hervorragend mit anderen Teilen des Gehirns vernetzt. Viele Informationen werden von dort direkt an die Amygdala weitergeleitet, einer an Emotionen beteiligten Hirnstruktur. «Die letzten Jahre haben wichtige Erkenntnisse gebracht und die Forschung ordentlich durcheinandergewirbelt», sagt Pause.
Dazu gehört die Überzeugung, dass der Mensch Tieren im Riechen unterlegen ist. Dabei muss er den Vergleich keineswegs scheuen: Der US-Neurologe John McGann etwa hat Menschen bezüglich der Verarbeitung von Gerüchen im Gehirn mit einer ganzen Reihe von Tieren verglichen und seine Ergebnisse 2017 im Fachmagazin «Science» veröffentlicht: Menschen riechen demnach im Durchschnitt nicht schlechter als beispielsweise Affen, Mäuse, Ratten oder Kaninchen. Sie haben nur andere Stärken, riechen etwa Bestandteile von Lebensmitteln oder menschlichem Blut besonders gut, während etwa Hunde eher auf Urin spezialisiert sind.
Körpergeruch variiert von Tag zu Tag, von Minute zu Minute
Allerdings ist das Riechen wohl bei vielen etwas verkümmert, weil es seltener aktiv genutzt wird. «Es sei denn, man verdient als Spitzenkoch, Sommelier oder Parfümeur sein Geld. Da kann man gut sehen, zu welchen Riechleistungen der Mensch mit etwas Training fähig ist», sagt Frasnelli.
Gerüche spielen eine viel grössere Rolle für das Leben, als den meisten bewusst ist. «Ein Grossteil davon läuft tatsächlich unbewusst ab», sagt Sozialpsychologin Pause. Ein gutes Beispiel dafür ist Körpergeruch, der sowohl auf bewusster als auch auf unbewusster Ebene funktioniert. Er ist so individuell wie ein Fingerabdruck und das Resultat spezieller Schweissdrüsen im Achsel- und im Anogenitalbereich.
«Unser Körpergeruch ist leicht wahrzunehmen, aber schwer zu verstehen und bis heute nicht vollständig enträtselt.»
«Im Gegensatz zu den Schweissdrüsen am Rest des Körpers erzeugen diese apokrinen Drüsen einen Cocktail an Duftstoffen, die mit den Bakterien auf der Haut reagieren und so einen charakteristischen Duft erzeugen», erklärt Frasnelli. Beeinflusst wird unser Körpergeruch darüber hinaus von Faktoren wie Ernährung, Alter, Genen, Geschlecht, Gesundheitszustand, Lebensstil, Hormonhaushalt, Stoffwechsel und emotionaler Verfassung. Deshalb verändert er sich nicht nur im Laufe des Lebens, sondern variiert von Tag zu Tag, von Minute zu Minute. «Unser Körpergeruch ist leicht wahrzunehmen, aber schwer zu verstehen und bis heute nicht vollständig enträtselt», sagt Mediziner Frasnelli.
Der Duft von Babys – eine Droge für das weibliche Gehirn?
Im Rahmen seiner Forschung hat er sich vor allem mit der bewussten Wahrnehmung von Gerüchen beschäftigt: Wie verändern Krankheiten den Geruchssinn? Warum verzückt uns der Duft von Neugeborenen? Um Letzteres herauszufinden, steckten er und sein Team Babys die ersten zwei Tage ihres Lebens in geruchsneutrale Pyjamas und liessen danach eine Gruppe junger Mütter und kinderloser Frauen an der Kleidung riechen.
Währenddessen beobachteten die Forschenden ihre Hirnreaktionen im MR-Scanner – und erlebten eine Überraschung: «Obwohl beide Gruppen den Geruch wahrnehmen konnten und als angenehm beschrieben, zeigten sie keinerlei Hirnaktivität in Regionen, die normalerweise auf Geruchsreize reagieren. Stattdessen sprang das Belohnungssystem im Gehirn an – eine Region also, die normalerweise nicht auf Sinnesreize, sondern auf Nahrung, Drogen oder Sex reagiert», sagt Frasnelli. Der Geruch von Babys wirkt also wie eine Droge auf das Gehirn von jungen Frauen – egal ob sie Kinder haben oder nicht.
«Die Wirkung ist dabei nicht auf die Identität des Kindes beschränkt. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Mechanismus zum Überleben der Spezies beiträgt», so der Mediziner. Steckt etwa auch hinter müffelnden Teenagern ein evolutionärer Kniff, der die Abnabelung vom Elternhaus erleichtert?
Die soziale Komponente von Gerüchen
Studien dazu gibt es nicht. «Aber tatsächlich ist die Pubertät die einzige Zeit im Leben eines Kindes, in der Mütter es nicht sicher am Geruch erkennen», sagt die Neuropsychologin und Geruchsforscherin Ilona Croy von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Genau das funktioniert sonst erstaunlich gut: Eine Studie zeigte 2020, dass Mütter nicht nur ihre eigenen Kinder präzise am Geruch erkennen, sondern 64 Prozent anhand des Geruchs auch die Entwicklungsstufe und das Alter fremder Kinder erschnüffeln können. «Je jünger das Kind, desto besser ihre Einschätzung. Mit der Pubertät und dem Einfluss von Sexualhormonen nimmt diese Fähigkeit vorübergehend ab», sagt Croy.
Johannes Frasnelli vermutet überdies, dass die meisten Jugendlichen noch Hygieneregeln für Kinder nutzen, obwohl sie längst neue bräuchten. «Das sollten Eltern ansprechen, denn insbesondere junge Männer sind männlichem Schweissgeruch gegenüber weniger sensibel», rät er. Bei solchen Gesprächen schimmert bereits durch, dass Gerüche eine soziale Komponente haben. Mit den eigenen Kindern geht es noch, aber ansonsten gilt: Gerüche sind oft mit Scham verbunden. «Es ist leichter, jemandem zu sagen, dass er Schnittlauch zwischen den Zähnen hat, als einen unangenehmen Geruch anzusprechen.»
«Ich spreche lieber von chemischen Signalen als von Gerüchen, weil es um unbewusste Wahrnehmung geht.»
In Bettina Pauses Forschung wiederum ist Gestank selten ein Problem – dafür reicht die Konzentration der Duftmoleküle, mit denen sie arbeitet, nicht aus. Seit 30 Jahren versucht sie, unseren Körpergeruch zu entschlüsseln. Wie beeinflusst er das Zwischenmenschliche? Können wir manche Menschen tatsächlich besser riechen als andere?
Wie Düfte uns beeinflussen
«Ich spreche lieber von chemischen Signalen als von Gerüchen, weil es um unbewusste Wahrnehmung geht», sagt sie. Oder, zugespitzt ausgedrückt: «Wir riechen nicht nur Erdbeeren und Gülle, sondern auch Liebe und Angst.» Letzteres zu erforschen, ist eine komplexe Angelegenheit, bei der vor allem Verhaltensexperimente eine Rolle spielen.
Sie zeigen zum Beispiel, dass Horrorfilme für Studienteilnehmer deutlich angsteinflössender sind, wenn sie dem Schweissgeruch von Fallschirmspringern ausgesetzt sind – in einer nicht bewusst wahrnehmbaren Konzentration. Oder dass Menschen Bilder von freundlichen Gesichtern negativer bewerten, wenn sie dabei chemischen Angstsignalen ausgesetzt sind. Und umgekehrt mehr Vertrauen zeigen, wenn sie nur Sport- statt Angstschweiss wahrnehmen.
«Über Duftmoleküle können sowohl Vertrauen als auch Misstrauen oder Angst vermittelt werden», erklärt Pause. Ist jemand nervös, ängstlich, gereizt oder aggressiv? Das Gehirn bewertet die Situation dabei kontextabhängig und gleicht sie mit anderen Sinneseindrücken und der Situation ab: Gibt es noch andere Anzeichen für Stress oder Angst? Ist die Situation gefährlich oder nur unangenehm?
«Man sollte mehr auf sein Bauchgefühl hören, denn damit äussert sich die unbewusste Wahrnehmung von Gerüchen.»
«Der Geruch ist ein unverfälschbares Ehrlichkeitssignal und deshalb eine überaus wertvolle Information», sagt Pause. Manipulieren, etwa durch Mimik oder Gestik, lässt er sich ebenso wenig wie durch Deo oder Parfüm übertünchen. Deshalb hat die Professorin aus ihrer Forschung einen praktischen Tipp abgeleitet: «Man sollte mehr auf sein Bauchgefühl hören, denn damit äussert sich die unbewusste Wahrnehmung von Gerüchen.» Das helfe dabei, soziale Situationen besser einzuschätzen.
Dabei können Gerüche nicht nur die Alarmglocken schrillen lassen, sondern auch Bindungen stärken und Sympathien wecken. Das gilt zum Beispiel für Freundschaften: «Studien zeigen, dass sich befreundete Menschen genetisch oft besonders ähnlich sind – und zwar bezüglich der Geruchssinneszellen», erklärt die Forscherin. «Das bedeutet, dass sie die Welt um sich herum geruchlich ähnlich wahrnehmen und wahrscheinlich auch ein ähnliches Bauchgefühl für soziale Gerüche haben.» Zwischen ihnen stimmt also buchstäblich die Chemie.
Auch bei körperlicher Anziehung spielt der Körpergeruch eine wichtige Rolle. So weiss man, dass sich Tiere bei der Suche nach dem passenden Partner am Geruch orientieren. «Passend heisst in diesem Fall: genetisch möglichst unterschiedlich, denn das erhöht die Chance auf gesunde Nachkommen», erklärt Neuropsychologin Ilona Croy. Vor allem sogenannte MHC-Gene sind dafür entscheidend, in ihnen steckt der Code für das angeborene Immunsystem. «Man darf den Effekt aber nicht überschätzen», sagt sie. Längst nicht alles lasse sich vom Tier auf den Menschen übertragen.
Frauen mit genetisch ähnlichen Partnern gehen eher fremd
Zumindest auf das Sexualleben scheint sich der MHC-Status aber auszuwirken. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen häufiger fremdgehen, wenn ihr Partner ihnen genetisch ähnelt. Und dass sie eher einen Kinderwunsch haben, wenn sich der Gencode des Partners stark vom eigenen unterscheidet. «Ausserdem haben Menschen, die gut riechen können, oft ein erfüllteres Sexualleben als solche mit eingeschränktem oder ohne Geruchssinn», sagt Croy.
Körpergerüche stehen auch bei Croys aktuellem Forschungsprojekt im Mittelpunkt. Im Rahmen der internationalen Smellodi-Studie versuchen Forschende, elektronische Sensoren zur Erfassung von Körpergerüchen zu entwickeln. Das könnte künftig dabei helfen, Krankheiten zu diagnostizieren, und den Grundstein für die Digitalisierung von Gerüchen legen. Dann könnte man sie, ähnlich wie Fotos, verschicken und sogar ausdrucken, mit einer Molekülmischung statt mit Tinte. Noch ist das alles allerdings, nun ja, Zukunftsduft.
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