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Wahlkampfrede in Washington
Kamala Harris’ kämpferisches Finale

WASHINGTON, DC - OCTOBER 29: Democratic presidential nominee, U.S. Vice President Kamala Harris, speaks during a campaign rally on the Ellipse on October 29, 2024 in Washington, DC. With one week remaining before Election Day, Harris delivered her "closing argument" speech where she outlined her plan to moved America forward and urged voters to "turn the page" on Republican presidential nominee, former U.S. President Donald Trump.   Kevin Dietsch/Getty Images/AFP (Photo by Kevin Dietsch / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)
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Kamala Harris und ihre Strategen hatten eine naheliegende Idee für das Finale ihres Wahlkampfs, der Ort liegt mitten in Washington. Die Vizepräsidentin spricht an diesem Dienstagabend nicht nur vor dem schön erleuchteten Weissen Haus, in das sie bald einziehen will, hinter sich US-Flaggen. Ihre Bühne steht auf einer Rasenfläche namens The Ellipse im Präsidentengarten, in dem ihr Gegner am 6. Januar 2021 zur Rebellion aufrief.

Die Kandidatin der Demokraten kommt schon nach wenigen Sätzen zu diesem Angriff auf die amerikanische Demokratie. «Schaut, wir alle wissen, wer Donald Trump ist», sagt sie. «Er ist die Person, die vor fast vier Jahren an dieser Stelle stand und einen bewaffneten Mob zum Capitol der Vereinigten Staaten schickte, um den Willen des Volkes in einer freien und fairen Wahl, von der er wusste, dass er sie verloren hatte, zu stürzen.»

WASHINGTON, DC - OCTOBER 29: Democratic presidential nominee U.S. Vice President Kamala Harris speaks during a campaign rally on the Ellipse on October 29, 2024 in Washington, DC. With one week remaining before Election Day, Harris delivered her “closing argument,” a speech where she outlined her plan for America and urged voters to “turn the page” on Republican presidential nominee, former U.S. President Donald Trump.   Kent Nishimura/Getty Images/AFP (Photo by Kent Nishimura / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

Trump forderte seine Anhänger damals auf, zum Kuppelbau ganz in der Nähe zu marschieren. Gewalttäter stürmten dann das Gebäude, in dem gerade der Wahlsieg seines Rivalen Joe Biden bestätigt werden sollte. Es gab Tote und Verletzte, die Kongressabgeordneten wurden in letzter Not in Sicherheit gebracht. Trumps Stellvertreter Mike Pence, der Biden erst am folgenden Morgen offiziell zum künftigen Präsidenten erklären konnte, drohten die Angreifer mit dem Galgen.

Ein Plakat empfiehlt «Democracy not Trumpocracy»

Trump soll sich derweil im Oval Dining Room eine Diet Coke bestellt haben, als er die Bilder im Fernsehen sah. Zu den Todesdrohungen gegen seinen Vize Pence habe er mit «zwei Wörtern» reagiert, wie Kamala Harris nun sagt: «So what?» Na und? Die Demokratin war seinerzeit Senatorin, ehe sie Bidens Stellvertreterin wurde. Jetzt erhebt sie hier, wo Trump diesen Sturm entfachte, das Wort. In diesen Momenten ist es noch eine Woche bis zur Präsidentschaftswahl Harris gegen Trump.

Die Kulisse ist auch deshalb gut gewählt, weil an dieser Stelle und aussen herum eine Menge Platz ist. Hinter dem Washington Monument hat der Sonnenuntergang den Himmel orange gefärbt, an diesem Obelisken, auf der National Mall und eben an der Ellipse haben sich Zehntausende Menschen versammelt. «Yes, we kam!», steht auf einem Plakat, «Democracy not Trumpocracy» empfiehlt ein anderes.

WASHINGTON, DC - OCTOBER 29: Supporters wait for the start of a campaign rally for Democratic presidential nominee U.S. Vice President Kamala Harris on the Ellipse on October 29, 2024 in Washington, DC. With one week remaining before Election Day, Harris will deliver her “closing argument,” a speech where she will outline her plan for America, urging voters to “turn the page” on Republican presidential nominee, former U.S. President Donald Trump.   Kent Nishimura/Getty Images/AFP (Photo by Kent Nishimura / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

Vor der Hauptrednerin sprechen unter anderem der Bruder eines Polizisten, der beim Überfall auf das Capitol getötet wurde, und ein Farmerpaar aus Pennsylvania. Letztere bezeichnen sich als lebenslange Republikaner, die diesmal Harris wählen, weil sich Trump ausschliesslich um sich selbst und andere Reiche kümmere sowie um Rache und Vergeltung. Damit ist der Ton gesetzt für den Höhepunkt der Veranstaltung, der gleich nach dem Vortrag der Nationalhymne beginnt.

Kamala Harris erscheint wie üblich zu ihrer Wahlhymne «Freedom» von Beyoncé, das Wort ist auch auf Plakaten neben ihr zu lesen. Ihr Auftritt soll ein doppelter Kontrast sein, das wird schnell klar. Sie will zum einen daran erinnern, dass ihr Widersacher von den Republikanern beim letzten Mal den Rechtsstaat zertrümmern wollte, seine Niederlage gegen Biden leugnet er nach wie vor. Zum anderen war da am Sonntag gerade Trumps Grosstermin im Madison Square Garden in New York, mit einem Rausch von rassistischen und sexistischen Zoten (für Trump «ein Fest der Liebe»).

Dies werde «wahrscheinlich die wichtigste Stimme sein, die ihr jemals abgegeben habt», sagt Harris. «Und diese Wahl ist mehr als eine Wahl zwischen zwei Parteien und zwei verschiedenen Kandidaten. Es ist eine Wahl darüber, ob wir ein Land haben, das in der Freiheit für jeden Amerikaner verwurzelt ist. Oder ein Land, das von Chaos und Spaltung beherrscht wird.» Das Publikum johlt, in der liberalen Hauptstadt und ihrer näheren Umgebung wählt eh kaum jemand Trump.

Sie nennt ihn «labil, von Rachegelüsten besessen, von Missgunst zerfressen und auf unkontrollierte Macht aus», sie nennt ihn «einen kleinen Tyrannen». Trump habe ein Jahrzehnt damit verbracht, das Land zu spalten und Angst zu verbreiten. «Das ist es, was er ist. Aber Amerika, ich bin heute Abend hier, um zu sagen: So sind wir nicht.» Trump habe nie verstanden, «dass E pluribus unum, aus vielen eines, nicht nur eine Phrase auf einem Dollarschein ist. Es ist eine lebendige Wahrheit, die das Herz unserer Nation ausmacht.»

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Die frühere Strafverfolgerin präsentiert sich noch einmal sehr entschieden als Gegenmodell zum überführten Betrüger und Dauerlügner Trump. Harris zitiert seinen Hinweis, wonach er die Armee gegen «den Feind im Inneren» einsetzen wolle. «Ich glaube nicht, dass Menschen, die anderer Meinung sind als ich, der Feind sind», sagt sie. «Er will sie ins Gefängnis stecken. Ich werde ihnen einen Platz am Tisch geben.»

Harris plane keine Feindesliste – sondern eine To-do-Liste

Harris hatte versprochen, ein Mitglied der Republikaner in ihr Kabinett zu holen. Trump weist immer wieder darauf hin, dass er besonders hartnäckige Kritiker zur Rechenschaft ziehen will. «In weniger als 90 Tagen wird entweder Donald Trump oder ich im Oval Office sitzen», sagt Harris. «Am ersten Tag würde Donald Trump, falls er gewählt wird, das Büro mit einer Feindesliste betreten. Wenn ich gewählt werde, werde ich mit einer To-do-Liste antreten.»

Trump will an Tag eins mit der massiven Abschiebung von Immigranten ohne Papiere loslegen. Beim Thema Grenze waren die Demokraten anders als beim Thema Abtreibung in die Defensive geraten, Harris geht in beiden Fällen in die Offensive. Sie werde sofort stolz unterschreiben, falls der Kongress die Rückkehr zum bundesweiten Recht auf Schwangerschaftsabbruch beschliesse, was angesichts der Spaltung allerdings unwahrscheinlich ist. Und sie wolle eine Reform des Einwanderungsgesetzes durch die Kammern bringen, von Trump bisher verhindert.

Ihr war da Schwäche vorgeworfen worden, jetzt sagt sie, sie werde jene, «die illegal hierherkommen, schnell abschieben, die Kartelle strafrechtlich verfolgen und der Grenzpolizei die Unterstützung geben, die sie so dringend braucht». Sie habe bereits als Generalstaatsanwältin im Grenzstaat Kalifornien transnationales Verbrechen verfolgt. Gleichzeitig solle hart arbeitenden Immigranten und deren Kindern, den Dreamern, der Weg zur Staatsbürgerschaft geöffnet werden, «wir sind eine Nation von Immigranten».

Es sei Zeit für eine neue Generation der Führung in den USA

Ihre Eltern waren aus Indien und Jamaika in die USA gekommen, die Tochter erzählt wieder von ihrer Kindheit. Wie sie im Kinderwagen zu den Märschen für Menschenrechte geschoben wurde, wie sie ihre Mutter mit einer Tasse Tee am Tisch vor einem Stapel Rechnungen sitzen sah. Sie wolle Familien und Mittelschicht entlasten, Trump wolle Steuern für Milliardäre und Grossunternehmen senken. Sie habe doch selbst das Versprechen Amerikas erlebt. «Und ich sehe das Versprechen von Amerika in euch allen.»

Beide Anwärter auf den mächtigsten Posten der Welt versuchen auf ihre Weise, in letzter Minute den unentschiedenen Teil der Wählerschaft in Swing States wie Pennsylvania, Georgia oder Arizona zu erobern. Umfragen zufolge dürfte es ja sehr, sehr knapp werden. Trump gibt den starken Mann und macht sich über seine Gegnerin lustig. Sie gibt nun auch die starke Frau. Als Oberbefehlshaberin der Streitkräfte werde sie dafür sorgen, dass Amerika stets die stärkste Kampftruppe der Welt habe. «Donald Trump hingegen hat seine Verachtung für die Helden unserer Nation gezeigt», er nenne sie «Trottel» und «Verlierer».

Vor allem aber will Kamala Harris hier beim Weissen Haus und den anderen Bauten der Macht als Versöhnerin auftreten, als Staatsfrau, die Amerikas erste Staatschefin werden könnte. «Es ist an der Zeit, das Drama und den Konflikt, die Angst und die Spaltung hinter sich zu lassen», sagt sie. «Es ist Zeit für eine neue Generation der Führung in Amerika. Und ich bin bereit, diese Führung als nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu übernehmen.»

Nach einer guten halben Stunde ist diese vielleicht wichtigste Ansprache als Bewerberin vorbei, die Zuschauer machen sich auf den gesperrten Strassen rund um das Weisse Haus auf den Heimweg, vorbei an Bildschirmen und Lautsprechern, Kamala-Shirt-Verkäufern, Strassenmusikanten und Gaza-Demonstranten. «Wir haben die Macht, die Seite umzublättern und das nächste Kapitel in der aussergewöhnlichsten Geschichte aller Zeiten zu schreiben», hat Kamala Harris noch gesagt. In Kürze wird man wissen, wer das grosse Duell gewinnt.