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US-Präsident
Wer überredete Biden zum Rückzug?

President Joe Biden waves as he boards Air Force One at Joint Base Andrews, Md., on his way to Philadelphia, Friday, Aug. 16, 2024. (AP Photo/Manuel Balce Ceneta)
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Nach aussen präsentiert man sich als ein Herz und eine Seele. Begeistert vom fulminanten Start der neuen Kandidatin Kamala Harris wollen Amerikas Demokraten die abrupte Demontage ihres Präsidenten Joe Biden möglichst schnell hinter sich lassen.

Am Donnerstag betrat der aus dem Wiederwahlrennen ausgetretene Biden in Maryland gemeinsam mit Vizepräsidentin Harris eine Bühne und lobte seine Verdienste zur Kostensenkung bei Medikamenten. Am Montag wird sich der 81-jährige Präsident in Chicago feiern lassen. Es ist vorgesehen, dass Biden vor dem demokratischen Parteikongress eine kurze Rede hält. An den nachfolgenden drei Tagen soll er aber nicht mehr in Erscheinung treten.

Der nominell mächtigste Mann der Welt wird ohne Federlesen verabschiedet, obwohl sich im Juli Historisches zutrug. Noch nie in der amerikanischen Geschichte zog sich ein um die Wiederwahl bemühter Präsident so spät im Wahljahr zurück, nachdem ihn 14 Millionen Wählerinnen und Wähler zu ihrem Kandidaten erhoben hatten. Und immer noch ist ungeklärt, wer genau ihn dazu brachte.

«Hinter den Kulissen geschah mehr, als die Öffentlichkeit wohl erfahren wird», sagte die MSNBC-Moderatorin Alex Wagner am Mittwoch dem Late-Night-Talker Stephen Colbert. Wagner weiss mehr, als sie verraten wollte. Sie ist mit Präsident Barack Obamas Chefkoch Sam Kass verheiratet und dürfte über einen direkten Draht zur Parteielite verfügen.

Wer spielt bei den US-Demokraten Gott?

Colbert versuchte, in Wagner die Reporterin wachzukitzeln. «Berichte darüber!», forderte er. «Wer brachte Biden zum Aufgeben? War es Obama? War es Clinton? Sag mir, wer es war!» Doch die Journalistin antwortete wie eine Funktionärin. «Es gibt in der Politik der Demokraten ein inneres Heiligtum, wo viele mächtige Leute die Lorbeeren einheimsen wollen», sagte sie. «Sie möchten aber nicht offen darüber sprechen, weil ihnen sehr, sehr, sehr bewusst ist, wie schwierig das für Biden ist.»

Wagners Wort vom inneren Heiligtum erinnert daran, dass Biden über Monate immer wieder erklärte, «nur der allmächtige Gott» könne ihn von der Wiederwahl abbringen. Womit die Frage aufgeworfen ist: Wer spielt bei den US-Demokraten Gott?

Eine Mehrzahl der – immer anonym servierten – Indiskretionen drehen sich um Nancy Pelosi. Die 84-jährige Abgeordnete und frühere Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses gilt als ebenso brillante wie ruchlose Machtpolitikerin. Nach dem katastrophal verunglückten TV-Duell Bidens gegen Donald Trump vom 27. Juni wuchsen bei Pelosi die Zweifel, ob der stark gealterte Demokrat überhaupt noch eine Siegeschance haben würde. Interventionen von Parteioberen – etwa von Chuck Schumer, dem Mehrheitsführer im Senat – fruchteten nichts. Am 8. Juli stellte Biden in einem Brief an demokratische Kongressmitglieder klar: «Ich kandidiere.»

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Zwei Tage später zog ihm Pelosi den Teppich unter den Füssen weg. «Der Präsident muss entscheiden, ob er kandidieren will», sagte sie dem demokratischen Haussender MSNBC, so als hätte Biden noch keinen Entschluss gefasst. Mit dem Zaunpfahl winkend sagte sie: «Wir alle ermutigen ihn zu dieser Entscheidung, denn die Zeit wird knapp.»

Dennoch hielt Biden beharrlich an seiner Kandidatur fest. Nach übereinstimmenden Berichten bekräftigte er diese Absicht gegenüber seinem ersten Stabschef Ron Klain noch am Freitag, dem 19. Juli. Die Wende folgte am Tag danach. Biden kurierte in seinem Strandhaus in Delaware eine Covid-Infektion aus und besprach sich mit seiner Familie und den engsten Beratern. Am Nachmittag gab er das Rennen auf, und am Sonntag informierte er die Nation.

Was gab den Anstoss für Bidens Kehre? Es sei Nancy Pelosi gewesen, schrieb die «Daily Mail» am Freitag unter Verweis auf vier Quellen. Die Ex-Speakerin habe dem Präsidenten am Samstagmorgen ein Ultimatum gestellt. Er könne nicht mehr gewinnen, habe sie ihm übermittelt, und sie sei bereit, ihre Bedenken mit brutalen Umfragezahlen öffentlich zu machen.

Pelosi und Biden sollen keinen Kontakt mehr haben

Pelosis Büro wie auch das Weisse Haus stellen in Abrede, dass es ein solches Telefongespräch gegeben habe. Die knallharte Drohung nach dem Schema: «Es gibt einen einfachen Weg und einen schwierigen Weg» passt aber zu Pelosis Stil und zur übertrieben positiven Art, wie sie seither über Biden spricht. Wie wenn sie ihren langjährigen Freund um Verzeihung bitten wollte, bezeichnete sie ihn Anfang August als einen «so folgenreichen Präsidenten der Vereinigten Staaten», dass er einen Platz auf dem Mount Rushmore verdiene. In den Felsberg in South Dakota sind in Überlebensgrösse die Köpfe von George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln gehauen.

Seit dem Schicksalswochenende will Pelosi nicht mehr mit Biden gesprochen haben. Vom «New Yorker» gefragt, ob ihre Beziehung zum verständlicherweise verärgerten Präsidenten überleben werde, sagte sie: «Das hoffe ich, darum bete ich. Ich verliere Schlaf darüber.»

Auffällig überschwänglich spricht auch Kamala Harris über den Mann, den sie im Weissen Haus beerben will. In Maryland rief sie aus: «Es ist meine ewige und grosse, grosse, grosse Ehre, zusammen mit diesem zutiefst aussergewöhnlichen Menschenwesen zu dienen, diesem Amerikaner und Anführer, unserem Präsidenten Joe Biden!»

Haben Obama und Harris mit Absetzung gedroht?

Sollte auch die Vizepräsidentin Schuldgefühle hegen, dann könnte an der Schilderung des Ablaufs durch Seymour Hersh etwas Wahres sein. Der Starjournalist zitierte eine Vertrauensperson, wonach Biden am damaligen Samstag nach dem Frühstück ein Telefonat von Obama erhalten habe. Der 44. Präsident habe ihm gesagt: «Hier ist der Deal. Wir haben das Einverständnis von Kamala, den 25. Verfassungszusatz zur Anwendung zu bringen.»

Dieses drittletzte der «Amendments» sieht vor, dass ein Vizepräsident die Macht übernimmt, falls nach der Einschätzung von ihm (oder ihr) und von einer Mehrheit der Kabinettsmitglieder der Präsident nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Obama und Harris sollen Biden mit der Absetzung gedroht haben.

Mit seiner Schilderung steht Hersh ziemlich allein. Mehr Berichte gehen von einer Schlüsselrolle Pelosis aus. Viele den Demokraten nahestehende Medien schweigen sich ganz darüber aus. Die «New York Times» als Leitmedium verbreitete in gleich zwei Artikeln die offizielle Lesart. Danach habe sich Biden im Kreis seiner Familie und seinen engsten Beratern aus eigener Einsicht umbesonnen. Er habe eingesehen, dass andere demokratische Kandidaten leiden und Sponsorengelder versiegen würden, falls er im Rennen bliebe. Zudem würde er die Partei einer Zerreissprobe aussetzen. Die Namen Pelosi und Obama kommen in den «Times»-Berichten nicht vor.

Allem Anschein nach glaubt der Präsident nach wie vor, er hätte Trump schlagen können. Seine Partei und er versuchen jetzt, den Rückzug als Akt der Selbstlosigkeit darzustellen. «Es wäre ein Kopf-an-Kopf-Rennen geworden», sagte Biden letzten Sonntag in einem CBS-Interview. Demokratische Kollegen hätten ihn aber überzeugt, «dass ich sie in ihren Wahlkämpfen schädigen würde».