US-VorwahlenWas, wenn Donald Trump die Erwartungen zu hoch geschraubt hat?
Laut Umfragen führt Donald Trump die republikanische Vorwahl mit riesigem Vorsprung an. Nun steht ihm in Iowa der erste Realitätstest bevor.
Und was, wenn Donald Trump die Erwartungen zu hoch geschraubt hat? Seit Monaten tut er so, als wäre er nicht nur Gebieter über eine Handvoll Luxushotels und 16 Golfplätze. Sondern auch, als hätte er die republikanische Präsidentschaftskandidatur auf sicher gehabt, bevor auch nur eine Wählerin ihre Stimme abgegeben hatte. Seine Zustimmungswerte seien «legendär», hatte er schon im vergangenen August verkündet, da müsse er sich doch gar nicht erst in Debatten mit den anderen Anwärtern messen.
Im Durchschnitt der nationalen Umfragen führt er klar, der Abstand auf die zweitplatzierten Nikki Haley und Ron DeSantis beträgt seit November fast 50 Prozentpunkte. Mit jedem Strafverfahren gegen den früheren Präsidenten stiegen seine Umfragewerte – als er wegen eines Schweigegelds an eine Nacktdarstellerin angeklagt wurde, dann wegen entwendeter Geheimakten, schliesslich wegen des versuchten Staatsstreichs vom 6. Januar 2021.
Ebenso, als der Mann mit dem orangen Gesicht sich zuletzt Adolf Hitlers Vokabular bediente, als er gegen Migranten und seine politischen Gegner hetzte, als er sagte, er werde wie ein Diktator regieren, als er Rache an allen schwor, die sich ihm entgegenstellen: Je mehr sich Trump als Feind der Demokratie präsentiert, desto begeisterter jubelt ihm seine Anhängerschaft zu.
«Eine grossartige Nacht, finde ich»
Doch nun, kurz vor dem Beginn der Vorwahlen, versuchen seine Berater die Erwartungen wieder zu dämpfen. «Ein Sieg ist ein Sieg», sagte Chris LaCivita vergangene Woche nach einem Auftritt Trumps in Iowas Hauptstadt Des Moines. Siege Trump bei der Vorwahl vom Montag mit mehr als 12 Punkten Vorsprung auf seine Herausforderer, «ist das eine grossartige Nacht, finde ich». 12 Punkte? Nachdem Trump nun monatelang sämtliche Umfragen im Staat der Maisfelder mit über 30 Prozentpunkten angeführt hatte?
Die Berater wissen, dass die einzige relevante Umfrage jene am Wahltag ist, wie eine angelsächsische Binsenweisheit sagt, die in der amerikanischen Wahlkampfberichterstattung gern in den Wind geschlagen wird. Trumps Leute wollen verhindern, dass ihr Chef dann, wenn es zählt, hinter den Werten der Meinungsforscher zurückbleiben und damit seinen Nimbus als unbezwingbarer Anführer der Republikanischen Partei verlieren könnte.
«Leb frei oder stirb»
Solche Überraschungen sind nicht nur in Iowa denkbar, wo die republikanische Basis ihren Kandidaten nicht an der Urne, sondern bei Bürgerversammlungen bestimmt. 1657 solche Caucus genannten Treffen sind für den 15. Januar geplant, mit oft unvorhersehbarem Verlauf und Resultat. Dafür wurden sie Anfang der 1970er-Jahre geschaffen, im Nachgang der Proteste gegen den Vietnamkrieg, als die Parteibasis der Demokraten mehr Mitsprache verlangte bei der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten, den sonst stets die Parteigranden gekürt hatten.
Eine Woche nach den Caucuses von Iowa findet die erste republikanische Primary, eine Vorwahl an der Urne, in New Hampshire statt. Dessen 1,4 Millionen Einwohner fahren das Staatsmotto «Leb frei oder stirb» nicht nur auf ihren Autonummern spazieren, sie zelebrieren es auch mit einer eigenwilligen politischen Kultur. An der Vorwahl können nicht nur als Republikaner registrierte Wähler teilnehmen, sondern auch solche, die sich als unabhängig auf die Wahllisten eingetragen haben. 4 von 10 Wählern in New Hampshire haben sich keiner Partei verpflichtet, das Potenzial für einen unerwarteten Ausgang ist entsprechend gross.
Heimsieg für Nikki Haley in South Carolina?
Auf einen Überraschungseffekt in New Hampshire hofft Nikki Haley, die zweitplatzierte republikanische Kandidatin. So könnte sie möglicherweise die zu erwartende Niederlage am Caucus in Nevada vom 8. Februar wegstecken. Dafür will sie in South Carolina, dem vierten Vorwahlstaat, am 24. Februar einen Heimsieg einfahren: Sie war dort zwei Amtszeiten lang Gouverneurin, bevor sie 2017 in die Regierung Trump wechselte.
Wahrscheinlicher aber scheint doch, dass Trump selbst dort seinen Vorsprung auf Haley und auf den Drittplatzierten, Ron DeSantis, verteidigen kann. Dann wäre das republikanische Rennen so gut wie gelaufen, noch vor dem Super Tuesday vom 5. März, dem sonst so bedeutenden Vorwahltag in mehr als einem Dutzend Staaten. Dort wird mehr als ein Drittel der Delegiertenstimmen vergeben werden für die Parteikongresse Mitte Juli und August, an denen zuerst die Republikaner und dann die Demokraten formell ihren Präsidentschaftskandidaten ernennen.
Für den Tag vor dem Super Tuesday ist der erste von vier Strafprozessen gegen Donald Trump angesetzt, weil er als Präsident versuchte, das Resultat der verlorenen Wahl 2020 umzustossen. Allerdings sind Verzögerungen programmiert. Der Fall befindet sich gerade in einer Zusatzschlaufe vor einem Appellationsgericht, vor dem seine Anwälte behaupteten, er sei immun gegen Anklagen für Taten, die er als Präsident beging.
Wie unzufrieden sind die Demokraten?
Trump muss sich die Nomination vor dem Beginn der Prozesse sichern, weil er danach regelmässig vor Gericht erscheinen muss und kaum noch Zeit für seine Kampagne hat. Sollte er verurteilt werden, wäre er zwar immer noch theoretisch wählbar. Ob die Delegierten dennoch einen anderen Kandidaten nominieren würden, ist offen. Sie sind eigentlich verpflichtet, für den Favoriten ihrer Wählerbasis zu stimmen; sollten aber mehrere Wahlrunden nötig werden, wären sie frei, ihre Stimme anderen Kandidaten zu geben.
Bei den Demokraten ist jetzt schon klar, wer am Parteitag gewinnen wird: Joe Biden, der Amtsinhaber, kandidiert noch einmal. Die erste Vorwahl in New Hampshire vom 23. Februar wird er allerdings noch boykottieren, weil sich die Demokraten dort den Wünschen des Präsidenten widersetzt hatten. Er wollte, dass die erste Vorwahl am 3. Februar in South Carolina stattfindet, ein Versprechen an seine afroamerikanische Wählerschaft.
Sowohl dem Kongressabgeordneten Dean Phillips aus Minnesota als auch der Ratgeber-Autorin Marianne Williamson, die ebenfalls kandidieren, wird nicht der Hauch einer Chance eingeräumt. Langweilig sind die Vorwahlen bei den Demokraten deswegen aber nicht: Sie werden Auskunft geben darüber, wie gross die Unzufriedenheit der Parteibasis ist mit dem Präsidenten. An den Vorwahlen nimmt üblicherweise nur rund ein Viertel der Wahlberechtigten teil; sollte die Beteiligung diesmal deutlich tiefer ausfallen, wäre das ein weiteres Alarmsignal für Biden.
Er kann am 5. November 2024 seinen republikanischen Gegner nur besiegen, wenn es ihm gelingt, seine Wählerschaft an die Urnen zu bewegen. Dafür muss Bidens Kampagne noch viel Arbeit leisten. Mit 81 Jahren ist er der älteste Kandidat in der Geschichte des Landes, eine Mehrheit der Wähler findet, er sei zu alt. In seine Wiederwahlkampagne startet er mit einer Zustimmungsrate von unter 38 Prozent – das ist die schlechteste Ausgangslage eines Amtsinhabers, seit es die Umfragen gibt.
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