Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kampf gegen Inflation
US-Notenbank erhöht den Leitzins um einen Dreiviertelpunkt

Sein Ziel ist, die Inflationsrate von 8,3 Prozent Schritt für Schritt in Richtung des Zielwerts von rund 2 Prozent zu senken: Notenbankchef Jerome Powell.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Gut eine Woche läuft es noch, das dritte Quartal dieses Jahres, und wenn die Indizien nicht täuschen, dann ist die US-Wirtschaft nach den leichten Produktionsrückgängen im Winter und Frühjahr auch im Sommer gar nicht oder allenfalls leicht gewachsen.

Was klingt wie eine schlechte Nachricht, ist in Wahrheit genau die Botschaft, die sich die US-Notenbank (Fed) vor Beginn ihrer turnusmässigen Leitzinssitzung gestern erhofft hatte: Ziel der Währungshüter nämlich ist es, die Investitions- und Konsumnachfrage der Amerikaner so weit zu dämpfen, dass Wachstum, Wohlstand und Arbeitsmarkt zwar nicht kollabieren, die enorm hohe Inflationsrate von zuletzt 8,3 Prozent aber Schritt für Schritt wieder in Richtung des Zielwerts von rund 2 Prozent sinkt. Allzu euphorische Konjunkturnachrichten wären auf diesem Weg nur hinderlich. 

Powells Grat ist schmal

Entsprechend entschied sich der geldpolitische Ausschuss der Fed am Abend dafür, seinen Kurs der letzten Monate fortzusetzen und den wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, zum dritten Mal in Folge um 0,75 Punkte auf jetzt 3 bis 3,25 Prozent anzuheben. Zur Begründung hiess es, das Zusammenspiel aus hoher Nachfrage und pandemie- sowie kriegsbedingt niedrigem Angebot funktioniere weiterhin nicht richtig. Einige Experten hatten deshalb gar eine Zinserhöhung um einen vollen Punkt empfohlen: Sie verwiesen darauf, dass die Teuerungsrate im August zwar zum zweiten Mal in Folge auf zuletzt 8,3 Prozent gesunken sei, die Rückführung aber zu langsam vorankomme. 

Notenbankchef Jerome Powell und seine Mitstreiter hatten nach Beginn des Inflationsanstiegs im Frühjahr 2021 lange darauf gesetzt, dass sich das Preisproblem mit der Auflösung der Corona-bedingten Lieferengpässe in aller Welt von allein lösen würde. Spätestens mit dem russischen Überfall auf die Ukraine war jedoch klar, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllen wird. Seither hat die Fed ihre Nullzinspolitik zur Stützung der Konjunktur jäh beendet und ihren Leitsatz in einem Tempo erhöht, wie es das seit den 80er-Jahren nicht mehr gegeben hat.

Jede vermeintlich defensive Äusserung verstehen die Börsen als Einladung, neue Spekulationsblasen zu kreieren.

Allerdings ist der Grat, auf dem Powell wandelt, schmal: Jede vermeintlich defensive Äusserung wird an den Börsen sofort als Einladung verstanden, das Kursfeuerwerk der Vergangenheit wieder in Gang zu setzen und neue Spekulationsblasen zu kreieren. Umgekehrt kann allzu aggressive Rhetorik dazu führen, dass der Aktien- und der Immobilienmarkt kollabieren und so einen Konjunktureinbruch auslösen. 

Die Fed-Führung versucht deshalb seit Wochen, deutlich zu machen, dass der Kampf gegen die Inflation zwar nicht in eine tiefe Rezession münden soll, aber wohl auch nicht ganz ohne «Schmerzen» am Arbeitsmarkt vonstattengehen wird. Seither rätseln Politik, Unternehmen, Bürgerinnen und Börsenhändler, wie hoch der Leitzins steigen, wie lange er oberhalb von 4 oder gar 5 Prozent verharren und wie viele Jobverluste Powell hinnehmen könnte, bis seine persönliche Schmerzgrenze erreicht ist. Viele Experten gehen davon aus, dass die Arbeitslosenquote von derzeit 3,7 auf 6 oder gar 7 Prozent steigen muss, um den gesamtwirtschaftlichen Konsum-, Lohn- und Preisdruck deutlich und nachhaltig zu mindern. 

Powell geriete damit in eine Zwickmühle, schliesslich ist ein möglichst hoher Beschäftigungsgrad für die Fed laut Statut ein ebenso zentrales Ziel wie die Sicherung stabiler Preise. Auch Präsident Joe Biden steckte in der Bredouille, denn so sehr ihm die hohe Inflationsrate in den Meinungsumfragen auch schadet, so wenig kann ihm daran gelegen sein, dass die Arbeitslosenzahlen deutlich in die Höhe schnellen. 

Erschwert wird die Arbeit der Fed noch dadurch, dass sie bei ihren Beschlüssen all die Dopplungs- und Rückkopplungseffekte berücksichtigen muss, die die Zinserhöhungen in Dutzenden anderen Ländern auch für die USA mit sich bringen. So hatte etwa die schwedische Nationalbank ihren wichtigsten Leitsatz bereits am Dienstag überraschend um einen vollen Punkt auf 1,75 Prozent angehoben. Am Donnerstag könnten unter anderen die Zentralbanken der Schweiz, Grossbritanniens, Norwegens, Südafrikas, Taiwans und Indonesiens mit ähnlichen Schritten folgen.

Einzelne Experten hatten in den vergangenen Tagen vor einem unkoordinierten Zinserhöhungswettlauf gewarnt, weil die Entscheidungen der Notenbanken immer auch Auswirkungen über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus haben. Werden die Wechselwirkungen nicht mitbedacht, besteht die Gefahr, dass sich der konjunkturelle Gegenwind in aller Welt zu einem Sturm auswächst, der das globale Wachstum vollständig abwürgt. 

Immerhin: Solch pessimistischen Szenarien stehen weiterhin auch eher optimistische gegenüber. Charles Evans, Präsident der Regionalnotenbank von Chicago, etwa, erklärte dieser Tage, er gehe davon aus, «dass wir es schaffen werden, die Arbeitslosenquote bis zur Erledigung unserer Aufgabe bei etwa 4,5 Prozent zu halten». Das wäre, gemessen an vielen anderen Prognosen, tatsächlich ein Erfolg. Es hiesse aber immer noch, dass zusätzlich 1,3 Millionen Frauen und Männer ihre Jobs verlören – darunter aller Erfahrung nach überdurchschnittlich viele Schwarze und Menschen lateinamerikanischer Abstammung.