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Lage der EU
Ursula von der Leyen hält eine Mutmacherrede

Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament, das wegen der Corona-Pandemie vom Hauptsitz in Strassburg nach Brüssel ausweichen musste. 
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Die Umstände könnten kaum düsterer sein. Ursula von der Leyen hat am Mittwoch vor dem EU-Parlament ihre erste Rede zur Lage der Union gehalten. Sie schilderte in 70 Minuten eine fragile Welt und rief die Europäer auf, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen, dem Kontinent zu neuer Vitalität zu verhelfen. Es war eine Mutmacherrede mit einigem Pathos, unterfüttert mit einem Feuerwerk von Initiativen und Gesetzesvorschlägen.

Die EU-Kommissionschefin redete über eine Stunde, mit stets ernstem Gesicht. Die Pandemie wütet weiter, der wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Krise ist noch nicht wirklich bekannt. Die Klimaerwärmung ist nur vorübergehend etwas in den Hintergrund geraten, auf griechischen Inseln brennen Flüchtlingslager, und mit Grossbritannien droht der harte Bruch. Das also ist die Kulisse für Ursula von der Leyens Auftritt. Auf das, was zu Beginn der Pandemie schiefgelaufen war, wie etwa die unkoordinierten Grenzschliessungen und andere nationale Alleingänge, ging sie kaum ein. Die Kommissionspräsidentin sprach lieber von «Europas Moment», die Zukunft zu gestalten, sich nicht von Katastrophen treiben oder vom Diktat anderer Mächte fremdbestimmen zu lassen.

Gegen Impfstoffnationalismus

Hier fehlte es nicht an Klartext Richtung China, von der EU inzwischen als strategischer Rivale eingestuft, oder an die Adresse der Führung in Moskau, die Oppositionelle mit Kampfgift auszuschalten versucht. Doch Ursula von der Leyen sprach vor allem über die Corona-Krise als Chance, die Wirtschaft zu modernisieren und Europas Souveränität zu stärken. Als konkrete Lehre aus der Pandemie fordert Ursula von der Leyen, dass der EU im Bereich Gesundheit mehr Kompetenzen übertragen werden sollen, und warnte vor «Impfstoffnationalismus». Kurzfristig soll das Europäische Zentrum für Prävention und Seuchenkontrolle (ECDC) gestärkt und eine neue Agentur geschaffen werden, die mit Blick auf künftige Pandemien die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen unterstützen könnte.

Lobende Worte kamen dann für das europäische Modell des Sozialstaates, das Massenentlassungen wie in anderen Weltgegenden verhindert habe. Mit 90 Milliarden Euro finanziert die EU Kurzarbeitsprogramme in den Mitgliedsstaaten. Zusätzlich kündigte Ursula von der Leyen an, einen Rahmen für einen europäischen Mindestlohn präsentieren zu wollen. Dumpinglöhne bestraften Firmen, die anständige Gehälter zahlten, und verzerrten den Wettbewerb im Binnenmarkt.

Drastische Schadstoffreduktion

Vorantreiben will die Kommissionspräsidentin auch den Plan, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Damit das Ziel erreicht werden kann, sollen die Schadstoffemissionen im nächsten Jahrzehnt um 55 statt wie bisher geplant um 40 Prozent reduziert werden. Die Idee einer CO2-Grenzsteuer will Ursula von der Leyen ebenfalls konkretisieren. Die Mittel aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds sollen unter anderem verwendet werden, um die Wasserstofftechnologie voranzutreiben und einen Renovationsboom bei Gebäuden anzuschieben.

Einen Fokus legte Ursula von der Leyen auf die Digitalwirtschaft. Europa sei hier im Verzug, dürfe sich nicht länger die Regeln von anderen bestimmen lassen. So will die EU-Kommission rasch Regeln für die Verwendung von künstlicher Intelligenz vorlegen. Auch einen Vorschlag für eine Digitalsteuer hat Brüssel in der Pipeline, sollte eine Einigung auf globaler Ebene nicht möglich sein. Neuer Konfliktstoff gegenüber den USA ist also vorprogrammiert, unabhängig davon, wer im November die Präsidentschaftswahlen gewinnt.

Was heisst das für die Schweiz?

Und was bedeuten Ursula von der Leyens Initiativen für die Schweiz? Sollten die Mitgliedsstaaten Brüssel bei der Gesundheitspolitik tatsächlich mehr Souveränität abtreten, wird für die Schweiz der Druck steigen, mit der EU ein Gesundheitsabkommen auszuverhandeln. Das geht aber nicht ohne Einigung beim Rahmenabkommen.

Die Schweiz kam in der Rede zwar nicht vor. Ursula von der Leyen zeigte jedoch klare Kante gegenüber Premier Boris Johnson, der sich nicht mehr an den Austrittsvertrag halten will und damit ein gemeinsames Handelsabkommen gefährdet. EU-Flexibilität gegenüber der Schweiz beim Rahmenabkommen lässt sich daraus jedenfalls nicht ablesen. Auch eine Digitalsteuer oder die geplante CO2-Grenzsteuer auf Importe in den Binnenmarkt würde Schweizer Interessen tangieren. Gleichzeitig könnte ein europäischer Mindestlohn die Schweizer Debatte über die flankierenden Massnahmen entkrampfen.

Bisher ein Wunschkonzert

Die EU-Kommission ist allerdings keine Regierung mit einer klaren Mehrheit im Rücken. Solange Ursula von der Leyen Mitgliedsstaaten und EU-Parlament nicht hinter sich hat, sind ihre Vorschläge für ein «vitales Europa» nichts mehr als ein Wunschkonzert.