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Rätselhafte Erkrankung in Russland
Warum Nawalny für die Mächtigen so gefährlich ist

Ein feuriger Redner: Alexei Nawalny bei einer Kundgebung diesen Sommer in Moskau.
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Es sei nicht sicher, dass Alexei Nawalny vergiftet worden sei, sagt einer der behandelnden Ärzte in Omsk, räumt dann aber ein: «Das ist einer der möglichen Gründe.» Die Stichworte Gift und Kreml-Kritiker lassen in Russland alle Alarmglocken läuten. Wie Nawalny, der sich in kritischem Zustand befindet, haben die letzten Jahre mehrere russische Oppositionspolitiker rätselhafte Vergiftungssymptome gezeigt. Ein Gift wurde jeweils nicht gefunden, oder zumindest konnte man es nicht benennen.

Meist sind die Giftattentate gegen Oppositionelle, wenn es welche sind, nicht tödlich. Anders sieht es aus, wenn es um ehemalige Geheimdienstler geht, die in Russland als Verräter gebrandmarkt werden. In diesen Fällen hinterlässt das Gift eine breite Spur: Ex-Spion Alexander Litwinenko starb 2006 in London an einer Vergiftung durch radioaktives Polonium-210, das in seinen Tee geschüttet worden war. Beim Doppelagenten Sergei Skripal wurde vor zwei Jahren in Grossbritannien das Nervengift Nowitschok eingesetzt. Skripal und seine Tochter überlebten, ein Passant, der mit dem Gift in Berührung kam, starb. Dass es nun Gerüchte gibt, Nawalny trage ein Gift in sich, das auch für andere gefährlich sei, löst grosse Besorgnis aus.

Ein Volkstribun in Handschellen

Nawalnys Pressesprecherin, von der bisher fast alle Informationen über dessen Erkrankung stammen, beschuldigt die russische Regierung, ein Attentat verübt und den Tee des Oppositionspolitikers vergiftet zu haben. Fakt ist bisher, dass Nawalny schwer erkrankt ist und im Koma liegt. Fakt ist aber auch, dass er sich ein ganzes Heer von zum Teil extrem mächtigen Feinden geschaffen hat.

Da ist zuerst der Kreml: Niemand ausser Nawalny kann in Russland Tausende junge Menschen in Dutzenden Städten mobilisieren und gegen Präsident Wladimir Putin auf die Strasse bringen. Meist wird er bei solchen Demos selber verhaftet, schüttelt wie ein Volkstribun seine Handschelle und wird nach 14 Tagen Arrest wieder freigelassen.

Alexei Nawalny befindet sich in einem kritischen Zustand: Julia Nawalnaja besucht ihren kranken Mann in Omsk. 

Vor sieben Jahren schien es, als wollte ihn der Kreml aus dem Verkehr ziehen: In einem umstrittenen Prozess wurde er wegen Holzdiebstahls zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt und noch im Gerichtssaal festgenommen: Schockwellen gingen durch das Land, Nawalny sollte der erste hohe Oppositionspolitiker des neuen Russland werden, der ins Lager kommt. Auch dem Politiker selber stand der Schreck ins Gesicht geschrieben, als die Handschellen klickten. Doch einen Tag später wurde er genauso überraschend wieder freigelassen, seine Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Damit schienen wieder die alten Regeln zu gelten: Hohe Oppositionelle werden in Russland schikaniert, bedroht und isoliert, aber nicht verhaftet oder getötet.

Doch Nawalny ist nicht nur für Demos verantwortlich. Wohl weit unangenehmer sind für die Mächtigen in Russland seine Enthüllungen über Korruption und Raffgier der politischen Elite. Der wohl bekannteste Fall ist der des einstigen Premiers Dmitri Medwedew, der sich gerne den Anstrich eines liberalen und genügsamen Mannes gab. Nawalny legte 2017 Bilder und Dokumente vor, alles aus offener Quelle, die belegen sollen, dass Medwedew über Immobilien, Jachten und Weinberge im Wert von 1,2 Milliarden Franken verfügt. 35 Millionen Mal wurde das Video angeklickt. Tausende Menschen gingen danach gegen den bis anhin recht beliebten Premier auf die Strasse. Der Beschuldigte nannte Nawalny einen Halunken.

Nicht nur hohe Staatsbedienstete, sondern auch Oligarchen hat Nawalny mit seinen Recherchen drangsaliert.

Oder der Skandal um den damaligen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika, dessen Söhne sich illegal russisches Staatseigentum unter den Nagel gerissen haben sollen, dabei wurde laut Nawalny auch Geld in die Schweiz transferiert, am Genfersee sollen die Tschaikas eine Villa gekauft haben. Der Generalstaatsanwalt, den Putin Anfang Jahr abgesetzt hat, warf Nawalny vor, er wolle ihn fertigmachen. Und auch Putin selber geriet 2017 ins Visier: Eine Drohne zeigt ein luxuriöses Anwesen in der Nähe von Wyborg an der finnischen Grenze, das der russische Präsident nutzt. 10 Millionen Menschen haben das Video angeklickt.

Im jüngsten Video von Anfang Jahr ist die Rede von Luxusimmobilien im Wert von 40 Millionen Franken des neuen russischen Premiers Michail Mischustin: Die Russen hatten noch kaum gelernt, den Namen des bis dahin völlig unbekannten Mannes auszusprechen, als Nawalny schon dessen Besitz aufzählte. Doch nicht nur hohe Staatsbedienstete, sondern auch Oligarchen wie den mächtigen Aluminium-König Oleg Deripaska hat Nawalny mit seinen Recherchen drangsaliert.

Schwere Vorwürfe an den Kreml: Eine Demonstrantin in Petersburg hat sich «Der Kreml ist toxisch» auf die Arme geschrieben.

Und das sind nur die prominentesten Fälle. In der Provinz hat Nawalny Gouverneure und Lokalregierungen ins Visier genommen. So wurde etwa die absurde Bestellung von Nerz für eine psychiatrische Klinik im Wert von zwei Millionen Rubel durch Beamte in Petersburg öffentlich. Oder die 30 mit Gold und Diamanten ausgestatteten Uhren, die ein Gouverneur angeblich langjährigen Lehrpersonen schenken wollte.

Im Juli sagte Nawalny, seine Antikorruptionsstiftung, welch hinter den Enthüllungen steht, werde aufgelöst, ein Freund Putins hatte sie wegen Verleumdung verklagt und vor Gericht recht bekommen. Von Aufgaben aber keine Spur: Bald werde er seine Enthüllungen in einem anderen Format veröffentlichen, sagte Nawalny. Doch mit den Enthüllungsvideos ist der Oppositionschef in die Rolle des investigativen Journalisten geschlüpft, und die leben in Russland deutlich gefährlicher als Oppositionspolitiker.

Die international bekannte Journalistin Anna Politkowskaja wurde 2004 auf einem Flugzeug mit einer unbekannten Substanz im Tee vergiftet. Sie überlebte. Doch zwei Jahre später wurde sie in ihrem Hauseingang erschossen. Der Auftraggeber wurde, wie in praktisch allen politischen Mordfällen, bis heute nicht gefunden.