Kommentar zum Krebsgang der SwissUnverschuldet in die Krise, aber nicht ohne Schuld
Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass die Swiss ein zweites Mal Staatshilfe benötigt, hätte sie schlechtere Karten als beim ersten Mal. Anzukreiden hat sie das vor allem sich selbst.
Als vor einem Jahr das Virus über Europa hereinbrach, machte es aus der Vorzeige-Airline Swiss auf einen Schlag ein Sorgenkind. Der Bund rettete die Gesellschaft vergangenen Sommer mit einer milliardenschweren Kreditbürgschaft, harten Bedingungen und dem korrekten Argument, die Gesellschaft sei unverschuldet in die Krise geraten.
Trotzdem ist die Swiss in der ganzen Angelegenheit nicht nur Opfer. Sie hat grobe Fehler begangen. Wenn es dumm läuft, könnten sie noch von grosser Bedeutung sein.
Am Dienstag hat diese Zeitung publik gemacht, dass die Geschäftsleitung dem Bundesrat in einem Brief die prekäre Lage der Luftfahrt dargelegt und Lockerungen der Reisebeschränkungen gefordert hat. Nun erhalten die Bundesräte derzeit täglich Briefe von Firmen, auch von grossen. Aber dieser Fall ist speziell: Die Swiss trägt das Schweizer Kreuz in die Welt, ihre Vorgängerin, die Swissair, war die fliegende Bank und endete im nationalen Trauma. Kein anderes Einzelunternehmen hat in der Krise auch nur annähernd so viel Staatshilfe erhalten. Denn die Swiss ist, weil sie eine gute Anbindung der Schweiz an die Welt sicherstellt, systemrelevant. Sagten zumindest Bundesrat und Parlament im Frühjahr 2020.
Bräuchte die Swiss ein zweites Hilfspaket, würden die Politiker sich auch von ihrem Eindruck des Geschäftsgebarens leiten lassen.
Im Moment fliegt die Swiss weniger als 10 Prozent des Vorjahresflugplans. Geht das so weiter, bringt das die Gesellschaft über kurz oder lang in finanzielle Schwierigkeiten. Dann würde eine weitere Finanzspritze zum Thema. Natürlich ist das unwahrscheinlich: Eher ist anzunehmen, dass sich die Corona-Situation in Europa in den kommenden Monaten dank der höheren Temperaturen und der Impfstoffe entspannt. Der Luftverkehr dürfte, da von einem tiefen Niveau kommend, davon mit am meisten profitieren.
Sollten aber – Holz anfassen – besonders unglückliche Virusmutationen dieses Szenario durchkreuzen, stellt sich die Frage, ob die Swiss systemrelevant genug ist, um sie ein zweites Mal zu stützen. 2010 noch beschrieb ein Bericht über die «Too big to fail»-Thematik zuhanden des Bundesrats das Angebot der Swiss als «grundsätzlich substituierbar». Der Wind kann also drehen.
Die Politiker würden bei einer Beurteilung nicht nur abschätzen, ob es sich wirtschaftlich lohnt, nochmals viel Geld aufs Spiel zu setzen, was unsicher genug scheint. Sondern sie würden sich auch von ihrem Eindruck des Geschäftsgebarens leiten lassen.
Zugutehalten kann man der Swiss, dass sie anders als die Konkurrenz noch keine Massenentlassungen ausgesprochen hat. Und den Tiefstverdienern in der Belegschaft bezahlt sie trotz Kurzarbeit weiterhin 100 Prozent des Lohns aus.
Es bleibt etwas haften
Die Ärgernisse wiegen das aber auf: Da war die leidige Angelegenheit der verzögerten Ticketrückerstattungen, mit der die Swiss Zehntausende empört hat. Dann bewies die Geschäftsleitung Gespürlosigkeit, in der tiefsten Krise Boni zu beziehen, statt das wenigstens auf das Ende der Krise zu verschieben. Und zuletzt war da die öffentlich ausgetragene Schlammschlacht mit den Piloten um die Kündigung des Gesamtarbeitsvertrags – wobei die Branche in der Frage gespalten ist, wer dafür die Hauptverantwortung trägt.
Im Fall der Fälle würde man der Swiss all das vorhalten. Und selbst wenn es nicht so weit kommt (was zu wünschen ist): Es bleibt etwas hängen. Die Fluggesellschaft, die die Schweiz im Namen trägt, hat bei vielen Schweizerinnen und Schweizern an Goodwill verloren.
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