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Schweizer Cyborg
Unter seiner Haut stecken mehr als ein Dutzend Chips

«Chip rein, ein, zwei Tage nachspüren, Chip raus, neu verpacken, wieder rein damit.» Steve Void ist ein selbst ernannter Cyborg – und pröbelt als solcher mit allerhand Technik unter der Haut herum.

Wenn Steve Void seinen Kaffee bezahlt, greift er nicht zum Handy oder zum Portemonnaie. Er hält seine Hand hin – erledigt. Wenn Steve Void seine Haustür öffnet, fummelt er nicht nach dem Schlüssel. Hand zum Sensor – erledigt. Und wenn sich Steve Void zum Gespräch setzt und diese Hände auf den Tisch legt, werden sie sichtbar, die Mikrochips unter seiner Haut, verpflanzt in seinem Körper.

Für viele ist das technische Spielerei, etwas gruselig, aber wirklich nötig? Nein. Für Steve Void dient die Verschmelzung mit der Technik einem grösseren Zweck. Der Gastronom aus Basel beschreibt sich als Transhumanist mit dem Ziel, den menschlichen Körper zu erweitern. Der Mensch als Arbeitsprojekt, so sahen das schon die frühen Transhumanisten der 80er-Jahre in den USA, die sich bemühten, die technische Evolution des Menschen zu beschleunigen und sich bald einmal mit dem Vorwurf der Eugenik konfrontiert sahen. Der Mensch, nur eine weitere Maschine, so schrieb man darüber vor rund zehn Jahren, als die Bewegung erstmals von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Seither hat sich viel verändert. Neue Medien brachten neue Gepflogenheiten, neues Geld brachte neue Dynamiken mit sich. Der bekannteste Transhumanist ist heute Elon Musk. Was sich unter seiner Haut so alles befindet, entzieht sich der Kenntnis der Öffentlichkeit, wohl aber treibt der reichste Mensch der Welt mit seinen Milliarden auch die bedeutendsten und zugleich umstrittensten transhumanistischen Projekte voran. Die Wearables aus der Techbranche stecken heute in unserem Ohr, hängen am Handgelenk. Und morgen?

«Das erste menschliche Update? Die Sprache!»

Stefan Lorenz Sorgner, transhumanistischer Philosoph

«Der Paradigmenwechsel ist in vollem Gang», sagt der transhumanistische Philosoph Stefan Lorenz Sorgner. Der Deutsche beschäftigt sich mit dem theoretischen Überbau des Phänomens und stellt in der Kulturgeschichte einen Übergang vom Dualismus der immateriellen Welt und des materiellen Körpers zu einer neuen Einheit fest. «Es macht sich die Erkenntnis breit, wonach wir schon immer kulturell gesteuerte Wesen waren.» Der Mensch gilt nicht mehr als Krone der Schöpfung, auch wir eignen uns alles an. «Das erste menschliche Update? Die Sprache!», sagt Sorgner und ist begeistert vom Gedanken, dass Sprechenlernen am Anfang steht.

Die Kunst und mit ihr auch die Gesellschaft beschäftigt sich gerade wieder stark mit der Frage, wie weit diese Updates gehen sollen. Es gibt pessimistische Sichten wie die von Kazuo Ishiguro, dessen neuster Roman in einer dystopischen Zukunft spielt, in der Kinder genetisch verändert werden. Und es gibt pragmatische Ansätze wie jener des Künstlers Jason M. Allen, der jüngst mit einem von einer künstlichen Intelligenz geschaffenen Kunstwerk einen renommierten Preis gewann.

Aus Protest gegen Personenkult liess er seinen Namen ändern

Steve Void kann beide verstehen. «Ich bin Transhumanist, weil ich an diese Idee glaube, wonach der menschliche Körper dank technischer Errungenschaften besser, gesünder, fähiger wird.» Aber im Herzen, sagt Void, da sei er Punk, ein Cyberpunk. Und der Punk handelt selbst, Do-it-yourself, DIY, gerade wenn es um den eigenen Körper geht. An ihm zu basteln, sagt Void, das sei für ihn eine, nun ja, Herzensangelegenheit. Aktuell hat er mehr als ein Dutzend Chips in seinem Körper, die er als Bezahlkarte nutzen oder sie dazu programmieren kann, sein Handy zu entsperren oder die Haustür zu öffnen.

Vor zehn Jahren ist er aus Berlin in die Schweiz gezogen, wo er Basler geworden, aber Bastler geblieben ist. Wie viele Cyborgs relativiert er seine physischen Parameter, seinen Nachnamen hat er schon in Deutschland ändern lassen, sein Alter verschweigt er. Er sieht das als Statement gegen den Personenkult in unserer Gesellschaft, in der Leute für eine Vorleistung, mit der sie nichts zu tun hätten, irgendwelche Rechte besässen. «Ich bin Steve und definiere mich darüber, was ich tue. Dahinter steckt nichts, da ist Leere.» Also englisch: «void».

Inspiration aus der Popkultur: Harrison Ford im ersten «Blade Runner»-Film von 1982.

Void ist in den 80ern gross geworden, in einer Zeit, in der Tätowieren noch als wild galt und das Hören von Metal-Musik einer gewissen Einstellung bedurfte.

Voids Werdegang als DIY-Bastler startete mit Mikrochips aus der Tierhandlung, Silikonverpackungen und Experimenten mit Desinfektionsmittel und kleinen Spritzen. Beim Tätowierer kam die Idee auf, mit Nadeln auch mal unter die Haut zu gehen. «Chip rein, ein, zwei Tage nachspüren, Chip raus, neu verpacken, wieder rein damit.» Inspiration aus der Popkultur waren Cyborgs wie Rick Deckard im ersten «Blade Runner»-Film. Handys und Social Media gab es noch nicht, mit der Technik liessen sich einfache Türsysteme bedienen. Void war knapp 20 Jahre alt, das Gaudi grösser als der Nutzen.

«Du willst was haben, tu was dafür.»

Steve Void, Body-Hacker und Transhumanist

Die Szene der DIY-Bastler hat zu der Zeit etwas Grungiges, Dunkles, sie formiert sich rund um die gemeinsamen Vorlieben für Tätowierungen und Metal-Chic, ihre Exponenten nennen sich auch Grinder oder Body-Hacker. Durch die sozialen Medien hat sich auch diese Szene diversifiziert, die Attitüde von damals aber ist geblieben: Ein bisschen Kitsch, ein bisschen Schmerz, lokal betäuben ist verpönt. Und man steht lieber mal eine kurze Infektion durch, als zum Arzt zu gehen. «Du willst was haben, tu was dafür», sagt Void und schaut auf die Dutzenden kleinen Närbchen, von denen seine Hände und Unterarme übersät sind.

Die Szene hat ihre Regeln. Und sie hat ihre Ikonen. 2002 liess sich Neil Harbisson einen Eyeborg installieren, eine Antenne auf dem Kopf, die ihm als Farbenblindem Schattierungen als Tonsignal zurückmeldet. Sein Kampf um behördliche Anerkennung als technisch ergänzter Mensch gilt als wegweisend, Harbisson war Avantgardist und Aktivist zugleich und begründete auch die gesellschaftspolitische Strömung des Cyborgism.

«Die Szene hat eine populärphilosophische Kraft», sagt Transhumanismus-Forscher Sorgner. Neulich wurde er für einen Vortrag ans Colours of Ostrava nach Tschechien eingeladen, eines der grössten Musikfestivals in Osteuropa mit 50’000 Besuchern. «Da spielten The Killers und Franz Ferdinand – und ich stand mit meinen Überlegungen zum Transhumanismus auf der Bühne.»

Medizinische Optimierungen erinnern an transhumanistische Ur-Idee

Eine solche Kraft besitzt trotz all seiner Widersprüchlichkeit auch das Schaffen von Elon Musk. «Ich liebe ihn, und ich hasse ihn», sagt Void über Musk. «Er ist genial, aber er ist kein Transhumanist, sondern ein visionärer Geschäftsmann. Er ist das perfekte Beispiel, welche ungesunden Auswirkungen Personenkult haben kann.» Sein Projekt «Neuralink» (siehe Box) sorgte für Kritik: Hat die Menschheit mit all den drohenden Katastrophen nicht Wichtigeres zu tun?

Der reichste Mensch der Welt und seine Fantasien: Elon Musk neben einem der Roboter seines Projekts «Neuralink».

Mit solchen Fragen beschäftigt sich Nikola Biller-Andorno. Sie leitet das Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich. Bioethik ist für sie «das vernünftige Abwägen und Gestalten der vielen Spielräume», die sich mit den technologischen Möglichkeiten auftun.

«Vielleicht müssen auch wir uns fit machen für eine Veränderung des Ökosystems.»

Nikola Biller-Andorno, Bioethikerin

Welche Chancen, welche Gefahren sieht sie im Transhumanismus? «Er vermittelt die Erkenntnis, dass auch wir nicht perfekt sind und dass wir uns fit machen müssen für eine Veränderung unseres Ökosystems.» Auf der anderen Seite bringe Fortschritt immer auch ethisch-moralische Fragen mit sich, etwa, was es bedeute, wenn der Transhumanist von einer Verbesserung des Menschen spricht. «Es gibt darüber keinen Konsens.»

In der Medizin geht der technische Fortschritt längst über Stents, Prothesen und Herzschrittmacher hinaus. Optimierungen solcher Art erinnern an eine andere transhumanistische Ur-Idee: die Annäherung ans ewige Leben. Für Bioethikerin Biller-Andorno ist das sogenannte Anti-Aging ein Paradebeispiel für die Ambivalenz solcher Visionen. «Die einen träumen davon, andere fragen sich, was da auf die Gesellschaft zukommen könnte.»

Der Macher Void sieht sich mit seinen Experimenten einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesundheit leisten. «Eine Individualisierung des Gesundheitssystems würde Ressourcen sparen, letztlich Leben retten.» Der Gedanke: Wenn Leute dank technischen Hilfsmitteln im Körper besser Bescheid wissen, was in ihnen vorgeht, so nehmen sie die Erstdiagnose beim Arzt vorweg. Void liefert seinem Endokrinologen schon heute die Protokolle seiner Apple Watch, wegen Schilddrüsenproblemen hat er ein erhöhtes Krebsrisiko. Den Techsektor sieht er künftig nur noch in die Medizin investieren. «Was soll man denn sonst noch machen? Gesundheit ist ein ewiges Bedürfnis.»

Für die Body-Hacker mit ihren bescheidenen Mitteln bleibt die Frage: Was ist echter Fortschritt, was ist schmerzhafte Spielerei?

Das nächste Ziel: Eine Batterie unter der Haut

Steve Void jedenfalls hat ein nächstes Ziel: eine Batterie unter seiner Haut zu betreiben. Die Chips, von denen er über ein Dutzend in seinem Körper hat, funktionieren alle mit NFC-Technologie – sie bekommen den Strom nur im Moment des Kontakts mit dem Lesegerät. «Auf diesem Niveau ist alles ausgereizt», sagt Void. Heisst: Alles, was jetzt noch kommt, braucht eigenen Strom.

Vor ein paar Jahren hat sich Void eine Apple Watch zurechtgeschnitten, in Silikon gepackt und sich unter die Haut geschoben. Die Technik funktionierte, nur das Laden gestaltete sich schwierig – «wireless wollte das durch die Haut hindurch nicht so recht klappen». Auch ein Battery Pack war schon mal an der Reihe. Nach ein paar Tagen stiess es der Körper ab, Void musste es notfallmässig rausschneiden. Anschliessend hat er die Wunde selbst genäht, drei Stiche, «zum Glück mit meiner rechten Hand». Erledigt.