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Meinung

Kolumne Philipp Loser
Unsere Einbürgerungspraxis ist beschämend

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Liridona wurde nicht eingebürgert, weil sie ihre allererste Steuerrechnung einen Monat zu spät bezahlt hatte. Der Rechnungsbetrag: 63 Franken.

Anja wurde nicht eingebürgert, weil sie nicht wusste, was Capuns sind. Nach der Spezialität aus Graubünden hatte die Einbürgerungsbehörde in ihrem Wohnort im Kanton Schwyz gefragt (warum auch nicht).

Ayse wurde nicht eingebürgert, weil sie kurz nach ihrem 18. Geburtstag zwei Monate Sozialhilfe bezogen hatte. Sie hat die 2000 Franken längstens zurückbezahlt, durfte sich danach aber für mindestens fünf Jahre nicht einbürgern lassen.

Diese Beispiele stammen alle von der Website einbürgerungsgeschichten.ch, auf der dokumentiert wird, wie Menschen versuchen, den Schweizer Pass zu erhalten. Es sind in der Mehrheit missglückte Versuche. Ohnmächtige und oft traurige Erzählungen von nicht nachvollziehbaren Regeln, undurchschaubaren Verfahren, abstrusen Fragen, demütigenden Auftritten vor Gemeindeversammlungen, selbstherrlichen und schlichtweg gemeinen Behörden.

Es sind Geschichten, die man so und in Variationen immer wieder hört. Im Kern beschreiben sie stets das gleiche Problem: Willkür trifft auf Verwaltungsakt. Auf einen Akt, der eigentlich immer gleich ablaufen sollte. Verlässlich, korrekt, langweilig.

Und hier beginnen die Schwierigkeiten im Schweizer Einbürgerungssystem: Es gibt eben keinen einheitlichen Prozess. Er unterscheidet sich von Kanton zu Kanton, oft auch mit Variationen zwischen den Gemeinden. Die Bedingungen, wenn man in Härkingen, Basel, Siggenthal oder Winterthur eingebürgert wird, sind völlig unterschiedlich. Das Resultat ist dann immer das gleiche (falls man es schafft): Die Ausländerin und der Ausländer werden zur Schweizerin und zum Schweizer. Nicht zum Härkinger, zur Baslerin, zum Siggenthaler oder zur Winterthurerin.

Obwohl die ungleiche Behandlung offensichtlich ist, tun die Kantone nur sehr wenig, um etwas daran zu ändern. Im Gegenteil. Der Politologe Claude Longchamp hat es einmal so beschrieben: «Wir können das 20. Jahrhundert als lang anhaltenden Trend zur Exklusion ganzer Bevölkerungsgruppen begreifen. Gemeint ist damit der bewusste Ausschluss von Personen aus der Gesellschaft. Das hatte eine Folge: Die Möglichkeit, politisch mitbestimmen zu können, wurde erschwert, und zwar für eine steigende Zahl von Menschen.»

Heute lebt fast eine halbe Million Menschen in der Schweiz, die hier geboren sind, aber das Bürgerrecht nicht besitzen und damit politisch ausgeschlossen sind.

Die Exklusion geht in vielen Kantonen auch im 21. Jahrhundert weiter. So hat kürzlich der Aargau die Deutsch-Anforderungen für eine Einbürgerung erhöht. So wie vorher schon die Kantone Thurgau, Schwyz und Nidwalden. Gleichzeitig haben Vorstösse im Bundeshaus (wie jene vor eineinhalb Wochen), mit der die Anforderungen an eine Einbürgerung minimal vereinfacht und harmonisiert werden sollen, nie eine reale Chance.

Und leider, die Erfahrung zeigt es, wird es auch die kürzlich lancierte Vierviertel-Initiative, die eine national einheitliche Einbürgerungspraxis verlangt und sie an eine konkrete Aufenthaltsdauer in der Schweiz knüpft, sehr schwer haben.

Es ist zum Verzweifeln: Zahlreiche Studien und die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass eine Einbürgerung massgeblich dazu beiträgt, Menschen zu integrieren. In der Schweiz geht man seit über hundert Jahren den anderen Weg: Die Einbürgerung ist bei uns der Abschluss einer «erfolgreichen Integration».

Und weil diese «erfolgreiche Integration» so unterschiedlich interpretiert wird, so willkürlich gemessen und beurteilt, haben wir nicht nur eines der härtesten Einbürgerungsverfahren der Welt, wie es manche Konservative in einem verstörenden Stolz sagen.

Sondern auch eines der unfairsten.

Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger».