Kims Hexenapotheke Unsere brighte Zukunft
Plagen Sie auch Zukunftsängste? Etwa, wie das gehen soll, wenn Künstliche Intelligenzen Ihren Job machen? Ich mache hier mal Quiet Quitting vor und gebe Ihnen ein Zaubersprüchlein für weniger Arbeit und mehr life.
Irgendwie folgen wir alle immer den Regeln. Obwohl alle wissen: Das bringt mir gar nichts. Also brechen wir doch mal. Mein Auftrag hier ist, eine Kolumne zu schreiben. Also schreib ich sie mal nicht. Wieso? Weil ich so viel Arbeit habe. Und so müde bin. Auch schon mal gehabt? Dieses Gefühl davon, dass die Gegenwart viel zu schwer ist, die Zukunft eher eine Drohung, und von der Vergangenheit, dieser Saftpresse, da wollen wir lieber gar nicht sprechen. Jaja, die Müdigkeit, Nymphe des Zuvielnetflix, Bastardin der Erzählung, dass alles besser ginge mit mehr Selbstdisziplin. Wenn sogar der Schlaf müde macht. Weil die Hochbeete des Wohlstands so viel Jätung brauchen, so viel mehr Entunkrautung als so'n müder Waldboden.
Ja, vielleicht ist das unsere Zukunft: die Müdigkeit. Die Strassenmüdigkeit, die Zahlenmüdigkeit, die Müdigkeit des Wachsamseins. Also das wäre die Zukunft, wenn wir uns eben an die Regeln halten, die da sind: Mehr arbeiten und weniger Lohn.
Mirko, mein Informatikerfreund, fühlte sich letzthin dazu verpflichtet, mich auf eine Zukunft aufmerksam zu machen, der ich mich gerne verweigere: Diese Maschinen und so. Das kommt ja jetzt. Also es ist schon geschehen, es ist nur noch von vielen Leuten wie mir erfolgreich bestritten worden.
Jaja, die anderen Jobs werden wegrationalisiert, aber meiner, der ist ja ein bisschen zu sozial / kreativ / schwierig / besonders.
Der Mirko, der macht so Coding und so, und der sagte, dass er lange geglaubt habe, dass sein Job einer der letzten sei, der von Künstlichen Intelligenzen ersetzt werden könne. Das arrogante Karnickel. Nur, weil er mehr vom Wandel versteht, meint er, er sei davor gefeit. Wir denken doch alle: Jaja, die anderen Jobs werden wegrationalisiert, aber meiner, der ist ja ein bisschen zu sozial / kreativ / schwierig / besonders, das können die Maschinen nicht. Das ist wie mit dem Lotto. Irgendwie wissen wir, dass niemensch gewinnen kann, aber vielleicht ich schon, weil ich bin ja insgeheim ein bisschen besonderer als andere.
Auf jeden Fall meinte der Mirko, dass die Programme langsam saugut sind im Programmieren. Es wird viel weniger Informatiker*innen brauchen in Zukunft, weil die Maschinen werden die elegantesten und schlänksten Codes schreiben und nur noch einen Menschenfinger brauchen, der «auswählt» bzw. ja sagt bzw. die folgende Taste drückt: ENTER. ENTER. ENTER. So und da sind wir jetzt. Noch nicht ganz, aber eigentlich schon. Und ich denke natürlich: ABER DAS KREATIVE SCHREIBEN! Das ist doch ein wenig besonderer als andere Tätigkeiten. Weil es eben besondererer ist als anderes. Aber wahrscheinlich eventuell sicherlich vermutlich gibt es Maschinen, die –
Kommen wir zur eigentlichen Frage. Die ist nicht: Wird mein Job ersetzt werden? Sondern: Werden wir politische Lösungen finden, die Existenz nicht an Gelderwerb koppeln. Werden die Politiker*innen. Und Wirtschaftsmenschen. Werden die uns Geld anders zukommen lassen als durch Lohnarbeit? Denn die verschwindet. Ausser Care-Jobs, aber das will ja kein Normaler machen, ausser diese Flüchtlinge und Frauen und Queers. Wir werden also knapp 200 Jahre zurückkatapultiert. You remember: Frühindustrialisierung, Fabrikarbeit, Marx. Geld macht nur, wer die Produktionsmittel besitzt.
Allora. Weil ich sonst so sauschlechte Launa habe, stell ich mir jetzt vor, dass wir überall auf der Welt ein bedingungsloses Grundeinkommen kriegen. Und ich hexe uns allen den Leistungszwang aus den Zellen. Und dann ist unsere Zukunft nicht: Scheisse, was mach ich, wenn ich keinen Job mehr habe, ich werde ja ganz nutzlos. Sondern die Frage ist dann: Wie gestalte ich am lustvollsten und sinnvollsten meine Zeit. Ich beispielsweise hab gerade Bock, meine*r Mitbewohner*in die Nägel zu lackieren, weil ich das schon so lange versprochen hab (und nie Zeit).
Wenn alle ihre Arbeit recyclen würden? Tja. Was dann? Hätten wir weniger Arbeit, mehr Sozial, mehr Fun? Ich kanns empfehlen.
Jo, kommst du mal? Jooo? Ich hab endlich Zeit, dir die Nägel zu lackieren! Ja, weil ich schon in der Zukunft sitze und meine Kolumnen nur noch ein halbes Mal schreiben muss. Weil ich auch Quiet Quitting mache. Mit diesem Text zum Beispiel. Dachten Sie, ich hätte ChatGPT für mich arbeiten lassen? So'n alter Hut. Ne, ich habe den Text einfach schon mal publiziert. Im Literaturmagazin Bremen. Frech? Wenn alle ihre Arbeit recyclen würden? Tja. Was dann? Hätten wir weniger Arbeit, mehr Sozial, mehr Fun? Ich kanns empfehlen.
So, ich verabschiede mich an dieser Stelle. Jo, hättest du lieber «Hidden Jungle», «Metallic Mermaid» oder «Artdeco»?
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Und hier ein uralter, von langer Hand weitergereichter, hinter vielen Fabriktüren gewisperter, immer wieder brutal niedergeschlagener und heutzutage von uns selbst nicht geglaubter Hexenspruch:
(Statt «Text» können Sie einfach einfügen, woran Sie grad arbeiten: an einem Schuh, einer Power-Point-Präsentation, Ihrem Körper, einem Konzept oder sonstwas, womit Sie versuchen, «Ihr Leben zu verdienen».)
Antikapitalistischer Spell:
Dieser Text
[insert: woran Sie arbeiten]
ist genug.
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