Kolumne: Kims HexenapothekeIch möchte ein Sagen haben
Wieso sind die einen so gekränkt und die anderen so freudig, wenn ein Körper wie meiner in ihrer Welt auftaucht? Ich glaube, weil ich Neuigkeiten mit mir trage.
Ich bin Kim, ich sitze in einer Winterthurer Bar und werde erkannt. Seit ich hier sitze, was ungefähr 10 Minuten ist, wurde ich schon zweimal angesprochen. Ich bin auf einmal sichtbar. Körper wie meiner gehen plötzlich auf am Horizont des Existierenden, und «wir» dürfen eine Stimme haben, dürfen sogar eine Kolumne schreiben. Das fühlt sich neumodisch an, crazy, einundzwanzigstjahrhundertig, Science-Fiction-Stoff. Vor allem für mich selbst. Wieso eigentlich?
Mein Leben lang wurde mir das Gefühl gegeben, ich käme nicht von hier. Und das stimmt ja auch. Ich komme nicht von der Erde, sondern von Gethen, einem Planeten weit, weit weg, aus einer anderen Geschichte. Unsere Gethener Körper haben kein fixiertes Geschlecht, wir formen unsere Geschlechtlichkeit so, wie sie uns jeweils gerade die momentan grösste Lust fabriziert. Ich komme nicht vom Jetzt, sondern aus der Zukunft. Einer von vielen Zukünften. Und ich tue hier mein Bestes, an dieser Gegenwart mitzuschreiben, damit ich dann werde geboren worden sein im Jahre domina 2666.
Ich komme also nicht vom Hier und Jetzt, aber ich bin jetzt hier.
(Ich kann diesen Satz nicht ohne Stolz schreiben, ohne meine inneren (und im Inneren PERFEKT lackierten) Finger zu schnipsen: ICH BIN JETZT HIER BÄMM BITCHES BRUDIS MENSCHJS SMACK THAT. Und ist das nicht eigentlich traurig – drauf stolz zu sein, dass es eine*n gibt? Das heisst ja, dass es eine Leistung ist, dass das Anwesendsein keine Selbstverständlichkeit ist? Ich bin einfach da, aber das ist nicht einfach. Und darum habe ich einen Existenzstolz. Und den lass ich mir nicht nehmen.)
Körper wie meiner werden als Fremdkörper gelesen, als Stolpersteine, als TRÈS CHARMANT oder als Provokation.
Uns Extraterrestrischen, Extravaganten, uns ausser-Erd-Tanten wird immer vorgeworfen, dass wir Geschlecht tun, spielen, theäterlen. Dass wir nicht einfach SIND wie die echten Menschmenschlichen. Denn das menschliche Sein ist an EIN fixes Geschlecht geknüpft. Kein Mensch kommt über die Schwelle der Existenz, «auf die Welt», entkriecht seiner Fleischfabrik, ohne als MANNODERFRAU gebrandmarkt zu werden.
Attention attention: This is eine Entbrandmarkung! Verzärtelung. Dies ist eine Annäherung. Weil ich eben wortwörtlich «auf die Welt kam», von weither in diese schlammigen Verstrickungen geschleudert wurde, weil ich eben in das Dasein kam ohne einen Körper, der mich meinte.
Und darum möchte ich jetzt diese Erdwerdung probieren. Ich möchte mich zum Schreiben dieser Kolumne jeweils mit oder ohne Begleitung in den öffentlichen Raum begeben, was stets ein kleines Wagnis ist, denn Körper wie meiner werden als Fremdkörper gelesen, als Stolpersteine, als TRÈS CHARMANT oder als Provokation. Ich möchte weder provozieren noch inspirieren, ich möchte da sein. Ich möchte am öffentlichen Leben, aus dem wir immer wieder vertrieben wurden und werden, teilnehmen. Ich möchte es weder dominieren noch andere verdrängen. Ich möchte einfach ein Sagen haben, eines unter vielen. Und eine Freude.
Ein solcher Körper in einer solchen Gesellschaft zu sein, braucht viel Selbstwertschätzung.
Wie revolutionär «andere» Körper sind, die eine Freude für sich beanspruchen, sehen wir gerade an den Reaktionen auf Sam Smiths Video «I’m Not Here To Make Friends». Früher hat Sam sich gehungert und gegrädet, heute zeigt sich dey als das Geschwister vom Planet Gethen, das Sam ist: dick und queer und having a fucking blast mit deir Körper. Was die komplette gethenische Revolte ist. Weil dick zu sein, oder queer, geht bisher einher mit der Erwartung, unglücklich zu sein. Warum sollten wir aber ein Körper sein, wenn er nicht eine maximale, gewaltfreie Lustfabrik sein darf? Dem Video wird vorgeworfen, (neben den queerphoben Beleidigungen) es sei übersexualisierend – obwohl Sam nicht halb so viel Haut zeigt wie die Popstars Miley Cyrus oder Nicki Minaj.
Ich bin Kim, ich sitze in einem Winterthurer Café, und ich wurde schon wieder erkannt – und gleich beleidigt, auf eine Weise, die ich hier nicht wiedergeben muss. Wieso sind die einen so gekränkt und die anderen so freudig, wenn ein Körper wie meiner in ihrer Welt auftaucht? Ich glaube, weil ich Neuigkeiten mit mir trage. Weil ich ein Aphrodisiakum anbiete, ein Amoursüppchen, mit dem ich mich selbst schon vergiftet habe. Weil ich musste. Ein solcher Körper in einer solchen Gesellschaft zu sein, braucht viel Selbstwertschätzung.
Und das möchte ich Ihnen hier auch anbieten: Mit mir und durch meine nicht gehörigen Facettenaugen und Lusttentakel sich liebevoll und staunend dieser Gegenwart annähern. Weil, seien wir ehrlich: Irgendwie sind wir doch alle ein bisschen drüber, trop, locas, ballaballa mit unserem Stress, unserer Disziplin, unserem stetigen Kampf gegen uns, gegen unsere Körper und unsere nicht menschlichen Geschwister. Darum schreibe ich hier an einer Hexenapotheke in der Hoffnung, sie bringe Ihnen eine Anverliebung an das Unpassende, Poppelige; an das Werden, das Mehrbeinige, Schleimige, Unreine, an das Irdische, das wir alle sind. Denn wie die Philosophin Rosi Braidotti sagt: «Wir sitzen alle im selben Boot, aber wir sind nicht alle Menschen, und wir sind nicht ein und dasselbe.»
Und das ist mein erster Hexenspruch:
Arznei des Frohlockens
Kribbel Krabbel gradheitskrank
Dies hier ist ein Liebestrank
Dies zu feelen macht dich drunk
Bezirzt umwürzt vom Irdenfunk
Feierst du die Erde, ihren Schwank
Spürst du JEDEN! BODY! – wirst zum Pleasurepunk!
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