TV-Kritik «Tatort»«Uns gibt es nicht, wir sind unsichtbar»
Thorsten Falke feiert Jubiläum und ermittelt in Hannover in einem sehr gelungenen Film voller politischer Dringlichkeit: in der Schattenwelt der Sans-Papiers.
Die Leiche liegt für einmal nicht im Kofferraum, brisant aber ist der Fall trotzdem. Es ist auch kein PW, sondern ein Lastwagen, in dem der Tote entdeckt wird – neben den Reifen, im Palettenkasten. Der Tote ist ein Flüchtling, ein Unbekannter, seine Fingerkuppen sind abgeschliffen, wie die von vielen Glücks- und Schutzsuchenden, die nach Europa kommen. Keine Identität bedeutet in vielen europäischen Staaten auch: zunächst keine drohende Abschiebung. Oder könnten die verwischten Abdrücke noch andere Gründe haben?
Das sind Fragen für Thorsten Falke, zum 17. Mal schon ermittelt er für den «Tatort». 2023 ist das 10-Jahr-Jubiläum für den eigenwilligen Kommissar aus Hamburg-Billstedt, über den der ihn verkörpernde Schauspieler Wotan Wilke Möhring sagt: «Mit ihm würde ich jederzeit ein Bier trinken gehen.»
Ohne Papiere heisst auch: Ohne Platz in der Gesellschaft
Falke also wird als Bundesermittler nach Hannover gerufen – und steht vor einem Fall, der ihn prompt als sozialen Vermittler fordert. Zum toten Unbekannten hat er bald einmal eine Spur: Jon Makoni (Schauspieler Alois Moyo hat eine verblüffend ähnliche Biografie – und hatte einmal einen Gastauftritt beim «Bestatter») ist ein Sans-Papiers aus Zimbabwe, er sucht seinen verschwundenen Sohn und behauptet, den Toten zu kennen, sein Sohn sei mit ihm flüchtig bekannt gewesen.
Zusammen mit seiner Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) arbeitet sich Falke tiefer in die Schleuserszene vor – und damit auch in die afrikanische Community Hannovers. Es gibt dort Geflüchtete wie Jon, die seit Jahren in Europa leben, ohne Papiere, vergessen von der Gesellschaft. Sie arbeiten schwarz: Jon schleppt Kisten für einen Gemüsegrosshändler, seine Frau Hope (Sheri Hagen) putzt Büros.
Die politische Dringlichkeit im Film von Neelesha Barthel ist gross, weil er die Kehrseite des mitteleuropäischen Sozialstaats offenbart: Von den Sans-Papiers profitieren Unternehmen, die keine ordentlichen Löhne, keine Sozialabgaben entrichten wollen. Sie sammeln Leute wie Jon mitten in der Nacht mit Bussen ein und karren sie zu einer Arbeit, die sie auf dem legalen Markt ein Vielfaches kosten würde.
In diesen Kreisen treiben sich die Schleuser herum, sie spielen mit der unbefriedigenden Situation der Geflüchteten und versprechen ihnen im nächsten Land die nächste Chance. Der Preis ist hoch, und dass der verschwundene Sohn von Jon und Hope offenbar bereit war, ihn zu zahlen, lässt die Eltern verbittert zurück.
Als Hope von Ermittlerin Grosz gefragt wird, warum sie denn hierbleibe, wenn alles so schlecht sei, ist ihre Antwort: «Würden Sie an einen Ort zurück, an dem Sie keine Arbeit haben, Ihr Kind nicht ernähren können? Es ist nicht immer alles so einfach, wie ihr glaubt.»
Der Steuerberater, der keiner ist
Eine deutsche Ärztin kümmert sich in ihrer Praxis um die Papierlosen, sie hat zweifelsfrei ein gutes Herz – doch auch etwas zu verbergen. Der Mann, den sie gegenüber Grosz als ihren Steuerberater deklariert, ist in Wahrheit Inhaber einer Abbruchfirma.
Wenig ist so, wie es scheint, aber die erwähnte politische Dringlichkeit und die Verzweiflung des papierlosen Paars werden glaubhaft vermittelt, verkeilt zwischen Fronten der Angst, vor den Behörden, vor einem Verlust ihres Sohns. «Uns gibt es nicht», sagt Jon irgendwann, «wir sind unsichtbar.»
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