Ungewöhnliche StudieIntensivstation-Patienten erhalten Weizenbier per Magensonde
Ziel der Bierstudie am Universitätsspital Basel ist es, dank Weizenbier zu verhindern, dass Patienten auf der Intensivstation in ein Delirium verfallen.
- Das Universitätsspital Basel erforscht Weizenbiergabe zur Vorbeugung von Delirien.
- Patienten auf der Intensivstation erhalten sechs Tage per Magensonde Weizenbier.
- Delirien können tödlich verlaufen und sind mit langfristigen kognitiven Beeinträchtigungen verbunden.
- Die Studie könnte Gesundheitskosten reduzieren und menschliches Leid lindern.
Desorientierung, Halluzinationen bis hin zu Wahnvorstellungen – ein Delir ist potenziell tödlich. Das Problem: Dieser akute Verwirrungszustand kommt auf einer Intensivstation häufig vor. «Bei uns sind rund vierzig Prozent der über 60-jährigen Patienten und Patientinnen davon betroffen», sagt Martin Siegemund, Co-Leiter Intensivstation des Universitätsspitals Basel.
Dort wird zurzeit eine ungewöhnliche Methode erforscht, mit der man ein Delir verhindern will. Während sechs Tagen erhalten Patienten auf der Intensivstation um 20 Uhr per Magensonde einen halben Liter Weizenbier.
Der Gedanke dahinter ist folgender: Laut dem Bundesamt für Statistik trinken 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung regelmässig in moderaten Mengen Alkohol und gewöhnen sich an diesen Konsum. «Ein Glas Wein am Tag ist nicht schlimm. Doch bei uns im Spital bekommen sie das nicht. Dieser Entzug könnte das Risiko für ein Delirium erhöhen», sagt Siegemund. Auf die Idee kam er, weil dieser Effekt bei Schlaftabletten bereits bekannt ist, und sein Vater, der nie mehr als ein Glas Wein trinke, bei Spitalaufenthalten immer ein bisschen verändert war.
«Ich arbeite seit 30 Jahren in der Intensivmedizin, und es hat sich nichts geändert. Wir können mittlerweile alle Organe ausser dem Hirn ersetzen, doch bei einem Delir sind wir hilflos», so der Professor. Im Prinzip könne man nichts tun, ausser die Patienten zu mobilisieren, mit ihnen zu sprechen, ihnen zu sagen, was für Zeit, was für ein Tag es sei und weshalb sie sich an diesem Ort befänden. Nur wenn sie sich selbst gefährden und beispielsweise die Katheter wegreissen, werden sie mit Schlafmitteln oder Neuroleptika ruhiggestellt. «Das Frustrierende ist jedoch, sobald wir das Medikament abstellen, ist das Delir genau wie vorher wieder da.» Je länger dieser Zustand daure, desto grösser sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient sterbe.
Menschliches Leid könnte kostengünstig gelindert werden
Ein Delir kann traumatisch sein. Häufig kommt beispielsweise die Angst vor, vom Pflegepersonal vergiftet zu werden. Zudem sind viele Betroffene noch nach einem Jahr kognitiv nicht mehr gleich leistungsfähig wie vorher. «Zeigt unsere Studie die erhofften Ergebnisse, würde dies eine deutliche Linderung von menschlichem Leid bedeuten», heisst es im Studienbeschrieb.
Auch die Gesundheitskosten könnten gesenkt werden. «Ein durchschnittlicher beatmeter Intensivpatient kostet rund 12’000 Franken am Tag. Wenn er wegen eines Delirs sieben Tage länger bleiben muss, kommt einiges zusammen.»
Geplant ist, dass bis 2027 rund 100 Patientinnen und Patienten die Studie durchlaufen. Bisher haben 17 Personen daran teilgenommen. Wobei «teilnehmen» nicht ganz stimmt. 75 Prozent der Menschen, die bei Siegemund auf der Intensivstation liegen, sind Notfallpatienten, die von ausserhalb kommen und ihr Einverständnis nicht mehr geben können: «Ein unabhängiger Arzt, der weder mit mir noch mit der Studie etwas zu tun hat, entscheidet dann, ob wir den Patienten einschliessen dürfen. Innerhalb von fünf Tagen müssen wir auch die Angehörigen fragen. Erholt sich der Patient, fragen wir auch ihn, ob wir seine Daten verwenden dürfen.»
Die mit Bier behandelten Patienten bemerken möglicherweise, dass sie etwas alkoholisiert sind: «Doch das ist bei den Beruhigungs- und Schmerzmitteln, die wir geben, genau so.»
Sport und intellektuelle Beschäftigung schützen vor Delir
Auf Weizenbier sei die Wahl aus mehreren Gründen gefallen: Mit Alkohol kann man besser einschlafen, der grosse Anteil Hopfen hat eine sedierende Wirkung, und die Bierhefe des Weizenbiers schützt die Magenbakterien, die durch Antibiotika angegriffen werden. Das Bier für die Studie wird durch die Basler Brauerei Unser Bier gesponsert.
Die Doppelblindstudie ist randomisiert und kontrolliert, damit die Erkenntnisse von wissenschaftlicher Relevanz sind. Das heisst, neben jenen Patienten, die Weizenbier verabreicht bekommen, erhält eine Kontrollgruppe Wasser – ebenfalls per Magensonde. Um Voreingenommenheit auszuschliessen, wissen weder die Patienten noch das Behandlungsteam, wer Wasser und wer Bier erhält. Auch die Forscher erfahren das erst, nachdem sie alle Daten ausgewertet haben. Für die Pharmabranche sei Forschung in diesem Bereich uninteressant, sagt Siegemund: «Deshalb müssen wir das tun.»
Es gibt übrigens auch Dinge, die jeder selbst machen kann, um im Ernstfall das Risiko eines Delirs zu verringern: Sich intellektuell zu beschäftigen, wirkt schützend. Und auch Sport hilft.
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