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Rekorde im September
Diese Faktoren sorgen für das extrem warme Herbstwetter 2023

Ein Surfer bei der Untertorbruecke. Goldener Herbst, am 9. Oktober 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp/Tamedia AG
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Was für ein Herbstbeginn: Beinahe jeder Tag war ungewöhnlich warm. Rekorde sind die Norm, scheint es. Nicht nur in der Schweiz. Auf allen Kontinenten. Und das nicht nur dieses Jahr. Hitzerekorde, welche die bisherigen geradezu pulverisierten, gab es in Kanada, China, Chile, in der Antarktis und in England. Auch in den Ozeanen vom Nordatlantik bis zum Mittelmeer gab es Hotspots, wo die Temperaturen Rekordwerte erreichten. Klimaforscher der ETH Zürich warnten vor zwei Jahren in einer Studie, dass solche Rekordwerte aufgrund der raschen Erwärmung in vielen Regionen zur Normalität würden.

Doch in diesem Jahr gibt es ein neues Phänomen. «Man dürfte eigentlich erwarten, dass sich regionale Schwankungen auf globaler Skala herausmitteln und die globale Temperatur nur langsam ansteigt», sagt Erich Fischer, Klimawissenschaftler an der ETH Zürich. Der Grund: Die globale Energiebilanz ist nahezu ausgeglichen.

«Dieses Ausmass ist überraschend.»

Erich Fischer, Klimaforscher ETH Zürich

Doch die Entwicklung der letzten Monate, namentlich im September, widerspricht scheinbar den physikalischen Annahmen. Die globale Erwärmungsspitze im vergangenen Monat passt nicht ins Muster. «Dieses Ausmass ist überraschend», sagt Erich Fischer. Der September war global etwa 1,75 Grad wärmer als der September-Durchschnitt für die Zeit von 1850 bis 1900, die in der Klimaforschung als Referenz für das vorindustrielle Zeitalter verwendet wird. Das berichtete vor wenigen Tagen der europäische Klimawandeldienst Copernicus. Es war im vergangenen Monat 0,5 Grad wärmer als im September 2020, der bisher als wärmster September seit Beginn der Aufzeichnungen 1940 galt. Das mag nach wenig aussehen. «Es ist jedoch ein grosser Sprung», sagt Fischer.

Normalerweise erwärmt sich die Erde kontinuierlich und in den letzten vier Jahrzehnten praktisch linear aufgrund der menschgemachten Treibhausgas­emissionen. Der Trend wird allerdings durch Klimaphänomene wie El Niño und La Niña oder Temperatur­schwankungen im Nordatlantik immer wieder kaschiert. El Niño prägte zum Beispiel das Jahr 2015/2016 durch eine kurzfristige Erwärmung, La Niña führte im Jahr 2020/2021 zu einer kurzfristigen Abkühlung. Solche natürlichen Schwankungen tarnen den eigentlichen Erwärmungstrend. Sie waren besonders ausgeprägt zwischen 1998 und 2012, als die globale Temperatur praktisch stabil blieb. Fachleute nennen solche vermeintlichen «Erwärmungspausen» Hiatus.

«Es ist gut möglich, dass, wie beim Hiatus, eine ganze Reihe von Faktoren unglücklich zusammenspielen», sagt Erich Fischer. Noch rätseln die Klimaforscher, wie der Planet eine so extreme Wärmeanomalie ausbilden konnte. Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen könnten:

Verzögerter El Niño

Das Klimaphänomen tritt episodisch, im Durchschnitt alle drei bis fünf Jahre auf. Es verändert die atmosphärische und ozeanische Zirkulation im Pazifik und erhöht die globale Temperatur. Allerdings baut sich El Niño zurzeit erst richtig auf und wird sich laut Prognosen um die Jahreswende maximal entfalten. Zudem zeigen frühere Studien, dass sich die Folgen des Klimaphänomens durchschnittlich erst etwa drei Monate später zeigen. Das heisst: El Niño beeinflusst vor allem die globale Temperatur im Folgejahr. Das Klimaphänomen wird daher höchstens einen kleinen Einfluss auf die derzeitige extreme Erwärmung haben.

Ausbruch des Vulkans Tonga-Hunga Ha’apai

Gewaltige Vulkanausbrüche hatten schon immer einen Einfluss auf das Weltklima. Die Eruption des philippinischen Vulkans Pinatubo 1991 hat zum Beispiel die Erdoberfläche während zweier Jahre deutlich abgekühlt. Nun kursieren Spekulationen, die extreme Erwärmung dieses Sommers sei die Folge des Ausbruchs von Tonga-Hunga Ha’apai im Südpazifik. Der Vulkan schleuderte im Januar 2022 gewaltige Mengen an vulkanischen Gasen bis zur zweiten Etage der Atmosphäre, zur Stratosphäre zwischen 18 und 50 Kilometer Höhe.

Im Unterschied zum Pinatubo enthielt der Auswurf aber sehr wenig Schwefeldioxid. Diese Substanz in der Atmosphäre hat einen abkühlenden Effekt auf die Erdoberfläche, weil ein Teil der Sonnenstrahlen an den Molekülen gestreut wird und nicht bis zur Erde gelangt. Dafür erreicht eine enorme Menge an Wasserdampf durch einen Vulkanausbruch die Stratosphäre. Wasserdampf ist im untersten Stockwerk der Atmosphäre, der Troposphäre, ein wichtiger Treiber der irdischen «Wettermaschine» und grundsätzlich ein starkes Treibhausgas. Allerdings ist der Wassergehalt in der Wetterschicht der Atmosphäre im Gleichgewicht und deshalb konstant. Vereinfacht gesagt: Wasser verdunstet, gelangt in die Atmosphäre und wird wieder ausgeregnet.

Anders in der Stratosphäre: Sie ist extrem trocken. Wasser kondensiert in der Höhenluft nur langsam, und zusätzliches Wasser – zum Beispiel durch einen Vulkanausbruch – bleibt für Jahre in der Stratosphäre. Klimaforschende wie zum Beispiel Martin Jucker von der australischen University of New South Wales in Sydney verfolgen die These, dass der Wasserdampf in der Stratosphäre als Treibhausgas wirkt und Wärme in die untere Troposphäre abgibt – und in den nächsten Jahren die Erdoberfläche zusätzlich deutlich aufwärmt. Allerdings gehen die Forschenden in ihren Modellstudien nicht auf die globale Erwärmung ein, sondern auf regionale Anomalien.

Bis jetzt gibt es jedoch keine Studie, die diesen Effekt im Zusammenhang der aktuellen globalen Wärmeanomalie stützt. Im Gegenteil: Es gibt verschiedene Untersuchungen, die dem untermeerischen Vulkanausbruch nur einen geringen Erwärmungseffekt zuordnen, manche Modellrechnungen zeigen sogar eine Abkühlung.

Weniger Schwefel im Schiffsdiesel

Ein weiterer Faktor, der als möglicher Grund für die Erwärmung genannt wird, ist der Rückgang des Schwefelanteils im Schiffsdiesel aufgrund neuer internationaler Bestimmungen der International Maritime Organization seit 2020. Die Senkung der Schwefelemissionen kann zur Folge haben, dass mehr Sonneneinstrahlung auf die Erde gelangt und die Erdoberfläche zusätzlich erwärmt. «Diese These überzeugt mich nicht, weil die Wärmeanomalie erst dieses Jahr plötzlich so ausgeprägt ist», sagt ETH-Klimaforscher Erich Fischer. Da brauche es erst eine publizierte Studie, Spekulationen seien wenig sinnvoll.

«Wir haben es mit einem perfekten Sturm zu tun.»

Nicolas Gruber, Umweltphysiker ETH Zürich

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Wissenschaft die Ursache dieser bisher unerklärlichen, global starken Wärmeanomalie findet. Klar ist: Der globale Erwärmungstrend wird sich aufgrund der steigenden Treibhausgas­emissionen fortsetzen. Die Frage bleibt aber: Ist dieser September der Anfang einer beschleunigten Erwärmung, eines Musters mit physikalischen Abhängigkeiten, oder einfach Zufall? «Meiner Einschätzung nach ist es zu einem grossen Teil tatsächlich Zufall», schreibt ETH-Umweltphysiker Nicolas Gruber in einem Blog der ETH Zürich. «Wir haben es mit einem perfekten Sturm zu tun», sagt er. Verschiedene Faktoren würden dabei zusammenkommen, die sich gegenseitig verstärkten. Solche Umstände lassen sich in den gängigen Klimamodellen noch nicht vollständig abbilden.

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