Kampf um die Macht in UngarnOb Viktor Orban mit diesem Herausforderer fertig wird, ist fraglich
Dem allmächtigen Regierungschef ist mit Peter Magyar erstmals ein ernsthafter Konkurrent erwachsen – obschon dieser viele Charakterschwächen hat.
Viktor Orban ist der am längsten herrschende Regierungschef sowohl in Ungarn als auch in der EU. Im Alleingang dominierte er jahrzehntelang die Innenpolitik Ungarns. Auch dank der geänderten Wahlgesetze schaffte er es, sich mit einem Wähleranteil von 52 Prozent eine Zweidrittelmehrheit im Parlament zu sichern. Die parlamentarische und die ausserparlamentarische Opposition wurden auseinanderdividiert. Die unabhängige Presse verschwand.
Obwohl die Wirklichkeit nur einigen Experten klar ist, spürt die Bevölkerung das ökonomische und soziale Problem trotz der ständigen Siegesmeldungen der Regierungspartei und der Massenmedien. Das Land steht auf vielen Gebieten an letzter oder vorletzter Stelle innerhalb der EU. Die Bevölkerung glaubt den Politikern und der Presse nicht, Politikverdrossenheit macht sich breit. Über die Hälfte der Bürger ist mit der Politik der Regierung unzufrieden und wünscht sich eine Änderung, die bislang nicht in Sicht war. Es gab keine Opposition, der man Vertrauen schenken wollte oder konnte.
Mit dem Erscheinen eines Mannes, Peter Magyar, hat sich dies geändert. Der bislang unbedeutende Trittbrettfahrer Orbans, der Ex-Gemahl der wegen eines Skandals zurückgetretenen Justizministerin, der durch sie zu gut bezahlten Posten kam, fiel mit ihr in Ungnade. Deswegen begann er einen Kampf gegen das Establishment, zu dem er noch in jüngster Vergangenheit selber gehört hatte. Der Kampf schien zunächst hoffnungslos und wurde anscheinend durch Rache motiviert, doch die politikverdrossenen Bürger sahen dies anders: Hauptsache, jemand verspricht eine Änderung. In lange nicht gesehenen Scharen kamen sie zu Magyars Demonstrationen, in wenigen Wochen wurde er zu einer echten Herausforderung für Orban.
Ein Aufstieg wie aus dem Nichts
Magyar übernahm im Frühjahr eine Minipartei mit dem Namen des zweitgrössten ungarischen Flusses, Tisza, und erzielte bei den Wahlen zum Europaparlament einen Wähleranteil von 28 Prozent. Damit war er der Zweitplatzierte. Im Spätsommer war seine kaum Mitglieder zählende Partei schon auf Augenhöhe mit der Regierungspartei, kurz darauf übernahm er in Umfragen sogar die Führung. Dies trotz ernsthafter und sichtbarer Charakterschwächen, narzisstischer Züge und öffentlich gemachter Skandale.
Zunächst beachtete ihn Orban nicht und nahm weder seinen Namen noch die seiner Bewegung in den Mund. Später versuchte die Regierungspartei, Magyar wie bereits andere Oppositionspolitiker mit Schmutzkampagnen zu neutralisieren. Bislang ohne Erfolg: Magyar scheint ein Teflon-Politiker zu sein. Alle Anschuldigungen prallen von ihm ab, weil dies der Bevölkerung egal ist. Sie sehen in ihm die Chance auf Änderung. Eine Art ungarischer Trump, der weder verlässliche Mitstreiter oder ein nachvollziehbares Programm noch die notwendige Parteibasis, Fachleute und Vertrauenspersonen hat. Der Spezialisten per Castings sucht, Anwärter auf Abgeordnetenposten gemäss den höchsten Geboten benennt und angebotene Hilfe vom österreichischen Bundeskanzler wie vom französischen Staatspräsidenten ablehnte. Er hat die etablierten Oppositionsparteien innert einiger Monate an den Rand der Bedeutungslosigkeit gebracht. Eine Leistung, die Orban nicht gelungen war.
Bis zu den Wahlen 2026 ist es noch ein weiter Weg. Würde man heute wählen, könnte Magyar mit seinen populistischen Versprechen Orban absetzen, doch nicht sein Programm, sondern die Unzufriedenheit der Wahlbürger wäre der Grund dafür. Ob Orban in der verbliebenen Zeit in der Lage ist, die kritische Haltung der Bevölkerung angesichts der immer sichtbarer werdenden ökonomischen und sozialen Probleme zu ändern oder den Teflon-Status Magyars aufzuweichen, ist fraglich.
Janos I. Szirtes ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher. Er lebt in Budapest.
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