Ungarns AussenpolitikViktor Orbán schickt Soldaten nach Tschad, und alle fragen sich – warum?
Mit seiner Nähe zu Putin, Trump und Xi Jinping irritiert Ungarn den Westen. Nun hat der Ministerpräsident Truppen nach Afrika entsandt, und der Rest der Welt rätselt.
Was der US-Botschafter in Budapest, David Pressman, Viktor Orbán zum 25. Jahrestag des ungarischen Nato-Beitritts zu sagen hatte, war an undiplomatischer Deutlichkeit kaum zu toppen. Seine Rede, sagte der Menschenrechtsanwalt und Diplomat, handele von «einem Alliierten, der anders ist als alle anderen». Der die USA unter ihrem jetzigen Präsidenten als «feindlich» bezeichne. Der sich politisch zunehmend von Freunden und Partnern isoliere. Und der Dinge sage und tue, die das Vertrauen in Ungarn täglich mehr untergrüben.
Der Amerikaner sprach über die wachsende Nähe Orbáns zu Putins Russland und die verweigerte Unterstützung für die Ukraine. Ungarn, so Pressman mit wachsendem Furor, verbitte sich die Einmischung in innere Angelegenheiten, mische sich aber selbst überall auf der Welt ein – bis hin zu der Forderung, Präsident Joe Biden müsse gestürzt werden und Donald Trump müsse übernehmen, weil ein Wahlsieg Bidens «schlecht» wäre. Einen Tag später, am ungarischen Nationalfeiertag, konterte Orbán indirekt bei seinem Auftritt auf dem Heldenplatz. Er rief die Ungarn dazu auf, Brüssel «zu besetzen». Der Westen starte Kriege, zerstöre Welten, ziehe Grenzen neu und «fresse alles ab wie Heuschrecken».
Pressmans Brandrede dürfte in Brüssel auf grosses Interesse gestossen sein. Denn nicht nur in Washington rätselt man über die konfrontative Aussenpolitik einer Regierung, die sich zuletzt in alle Richtungen orientierte, nur nicht nach Westen.
Ungarn ohne Interessen in Sahelzone
Dazu gehören nicht nur die häufigen Besuche bei Nato-Feind Russland und die Treffen mit Nato-Gegner Trump. Da ist, unter anderem, auch eine zunehmend enge Kooperation mit China. Weil sich immer mehr chinesische Firmen in Ungarn mit Fabriken für E-Autos und Batterien ansiedeln, kommen auch mehr chinesische Arbeitskräfte nach Ungarn. Nach einer Visite des Ministers für öffentliche Sicherheit, Wang Xiaohong, kündigten Ungarn und China im Februar eine «verstärkte Sicherheitskooperation» an. Chinesische Polizisten dürfen nun auch in Ungarn patrouillieren. Offiziell, um Touristen zu unterstützen. Inoffiziell, sagt der Journalist Szabolcs Panyi, der bei dem Investigativmedium Direkt36 das Thema nationale Sicherheit betreut, um die eigenen Leute zu überwachen.
Und dann wäre da noch ein Thema, das bei Ungarns Partnern Fragen aufwirft: eine rätselhafte Aktion auf dem afrikanischen Kontinent. Sie hat bei weitem nicht die Tragweite, welche die Anbiederung an Moskau oder die Zusammenarbeit mit Peking hat. Aber auch diese Geschichte wirft ein Schlaglicht auf das System Orbán.
Im vergangenen Herbst beschloss das Parlament, dass die Regierung eine Militärmission mit etwa 200 Soldaten in den Tschad entsenden solle. Das kleine mitteleuropäische Land hat eine gut ausgebildete Armee, deren Spezialeinheiten an der Seite der USA in Afghanistan zeigten, was sie können. Aber Ungarn hat keine Expertise, keine Verbindungen, keine Interessen in der Sahelzone. Offenbar war die bilaterale Aktion auch nicht mit Nato und EU abgesprochen. Das ist nicht zwingend, aber unter den Partnern üblich.
In Tschad hat Russland keine Söldner
Tschad, viermal so gross wie Deutschland, ist eines der letzten Länder in der Sahelzone, in dem russische Söldner noch nicht aktiv sind und Russland noch nicht mitredet – anders als in Libyen, im Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik oder in Mali. Frankreich ist traditionell ein enger Verbündeter, wenngleich, wie überall in der Region, sehr unbeliebt. Aber immerhin: Noch sind die Franzosen da.
Das Land ist seit dem Krieg im Sudan als Umschlagplatz für Hilfsorganisationen und UNO wichtiger geworden als zuvor. Es gilt als vergleichsweise stabil, aber in einer von Militärputschen, Kriegen und Vertreibungen verheerten Region auch als zunehmend fragil. Übergangspräsident Mahamat Idriss Déby Itno, der nach der Ermordung seines Vaters von einer Militärjunta eingesetzt worden war, geht mithilfe des Militärs massiv gegen die Opposition vor. Er möchte sich am 6. Mai durch eine Wahl, die keine Wahl ist, dauerhaft als Präsident des Tschad installieren lassen.
Und so lautet die «Eine-Million-Dollar-Frage», wie es der Ungar György Suha formuliert: Was um Himmels willen sollen 200 ungarische Soldaten dort tun? Suha ist Ex-Diplomat, Lobbyist und Berater für mehrere afrikanische Länder, und sein Rätseln über das militärische Engagement im Tschad löst nicht nur bei ihm ein solches Schulterzucken aus, dass man es am Telefon zu hören meint. Suha sagt, er habe bei den Franzosen nachgefragt, ob es eventuell eine Sicherheitskooperation mit den Afrika-Neulingen gebe – aber in Paris habe man abgewinkt.
Selbst Experten verstehen es nicht
Egal, wen man fragt, sei es Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, oder Wolfram Lacher, Afrika-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, oder András Rácz, ungarischer Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – sie alle haben mehr Fragen als Antworten. Wobei die Expertise von Rácz in einer Hinsicht besonders hilfreich hätte sein können: In Budapest wird spekuliert, dass die ungarischen Soldaten im Tschad eventuell eine kleine Vorhut sein könnten für den Tag, an dem auch der Tschad in die russische Einflusssphäre fällt.
Unwahrscheinlich, sagt der Sicherheitsexperte, mit Russland habe das alles wenig zu tun. Noch seien die Franzosen mit einer starken Mission gut verankert im Tschad. Seine wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass Viktor Orbán Soldaten in eine hochgefährliche Gegend schickt, wo sie wenig ausrichten können, stimmt mit jener der deutschen Gesprächspartner Lacher und Laessing überein: Sie können sich vorstellen, dass die Spezialkräfte einen herausfordernden Einsatz brauchen, um im Training zu bleiben.
Die offizielle ungarische Erklärung, man wolle sich bei der Unterbindung illegaler Migration, der Terrorismusbekämpfung und im humanitären Bereich engagieren, stösst allseits auf Unverständnis, ja Misstrauen: Der Tschad sei kein Hotspot für Flüchtlinge, die nach Europa wollten, für Antiterroreinsätze seien die Soldaten zu wenige und zu schlecht ausgerüstet. Und warum schicke man Soldaten, wenn es um humanitäre Hilfe gehe? Auch im Auswärtigen Amt hat man wenig Informationen über Hintergründe und Gründe der ungarischen Militärmission. Man halte aber, heisst es in Berlin, ein «ziviles Engagement im Tschad für sinnvoller».
Orbáns Sohn ist jetzt Soldat
In Budapest war die Mission lange als «top secret» gehandelt worden. Bis das ungarische Investigativmedium Direkt36 und «Le Monde» der Sache nachgingen. Direkt36-Redaktor Panyi hat eine weitere Erklärung für die neue Afrika-Begeisterung in Budapest, und hinter vorgehaltener Hand wird seine Vermutung überall für plausibel gehalten: Die ganze Chose könnte auch ein Beschäftigungsprogramm für Orbáns Sohn Gáspár sein.
Der 32-Jährige hat eine wilde Vita, mittlerweile ist er Soldat. Seine Karriere begann Orbáns einziger Sohn neben vier Töchtern als Profifussballer. Nach einer Verletzung ging er nach Uganda, um dort für eine christliche Hilfsorganisation zu arbeiten. Dann gründete er seine eigene evangelikale Sekte, wirkte als Prediger und Wunderheiler. Jesus spreche durch ihn, sagte er. In einer weiteren Volte wechselte der Sohn des Ministerpräsidenten zum Militär und bekam ohne entsprechende Expertise und Erfahrung 2019 eines der wenigen, heiss begehrten und vom ungarischen Staat finanzierten Stipendien an der britischen Royal Military Academy Sandhurst. «Pure Patronage» nennt es ein Gesprächspartner.
Bei der Militärmission in Afrika hat Gáspár Orbán offenbar eine Schlüsselrolle – was aber nicht bekannt werden sollte. Erst nachdem Direkt36 und «Le Monde» seine Anwesenheit im Tschad per Gesichtserkennungstechnik auf zahlreichen Videos nachgewiesen hatten, räumte Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky ein, dass Orbán «wegen seiner Qualifikation sowie seiner Rechts- und Sprachkenntnisse in die Vorbereitung der Mission eingebunden» sei. Ein ungarischer Experte sieht das anders: Das ganze Projekt, sagt er, sei nicht Strategie, nicht Taktik, nicht Out of Africa. «Es ist ein Familienunternehmen nach dem Motto: Papa, gib mir ein Land zum Spielen.»
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