Ungarns StaatspräsidentEr ist Orbáns neuer Absegner vom Dienst
Der neue Staatspräsident von Ungarn heisst Tamás Sulyok. Ein Mann, der sich «nie für Politik interessiert» hat, wie er sagt – was aber wohl auch nicht nötig sein wird.
Im Palais Sándor, dem Amtssitz des ungarischen Staatspräsidenten, liegt seit Montag eine Parlamentsentscheidung von seltener internationaler Tragweite zur Unterschrift bereit: Ungarn stimmt damit, nach monatelangem Taktieren, einem Nato-Beitritt Schwedens zu. Die Unterschrift, die der neue Amtsinhaber Tamás Sulyok, 67, in den kommenden Tagen unter das Dokument setzen dürfte, wird an so unterschiedlichen Orten wie Stockholm, Brüssel und Washington heiss erwartet.
Allein deswegen durfte das Präsidentenamt nicht lang vakant bleiben. Dass es so weit gekommen war, zeugt von einer inneren Unruhe, wie sie das ungarische Regierungslager lange nicht gezeigt hat. Die bisherige Staatspräsidentin Katalin Novák, erst seit Mai 2022 im Amt, hatte voriges Jahr – offenbar auf Drängen von Regierungsmitgliedern – einen Mann begnadigt, der als stellvertretender Leiter eines Kinderheims an der Vertuschung eines Missbrauchsskandals mitgewirkt hatte. Nachdem das bekannt geworden war, zogen im Februar Tausende Menschen auf den zentralen Heldenplatz in Budapest, um unter dem Motto «Wir haben genug» gegen die Regierung zu demonstrieren. Novák trat zurück.
Premierminister Viktor Orbán, der durch die Affäre die Glaubwürdigkeit seiner nationalkonservativen Familienpolitik angekratzt sah, mühte sich auch Anfang dieser Woche noch, die Emotionen, die in seiner eigenen Anhängerschaft hochgekocht waren, zu dämpfen. In Ungarn genössen Kinder «absoluten, vollumfänglichen Schutz», erklärte er vor dem Parlament, für Täter dürfe es «keine Schlupflöcher» und «keine Gnade» geben. Nováks Rücktritt sei «richtig» gewesen. Für den designierten Nachfolger, den bisherigen Verfassungsgericht-Präsidenten Tamás Sulyok, warb Orbán mit den Worten, dieser verfüge über «enorme Erfahrung, ehrwürdiges Wissen und unumstrittene Autorität»: Das Gericht habe unter seiner Führung dem Land einen «klaren Weg gewiesen».
Orbáns Wunsch ist ihm Befehl
Es darf als wahrscheinlich gelten, dass Sulyok, den das Parlament mit seiner Fidesz-Mehrheit am Montagabend dann erwartungsgemäss zum Präsidenten wählte, Orbáns Wunsch nach Stabilität und Kontinuität nicht enttäuschen wird. Geboren wurde Sulyok 1956, im Jahr des von der Sowjetarmee niedergeschlagenen ungarischen Volksaufstands, als Sohn eines Anwalts und einer Lehrerin. Schon während seines Jurastudiums in Szeged soll er als eher stiller, uneitler Arbeiter gegolten haben. Sein Vater, ein systemtreuer, gläubiger Mann, habe ihn positives Denken gelehrt, sagte er selbst einmal. Nach Stationen als Rechtsberater, Gerichtsschreiber, österreichischer Honorarkonsul und Rechtsvertreter der Gemeinde Szeged wurde Sulyok 2014 ans Verfassungsgericht berufen, zwei Jahre später wurde er dessen Präsident.
Als Gegenspieler oder zumindest Korrektiv der Orbán-Regierung, die über die Jahre die Unabhängigkeit der Justiz immer weiter abgebaut hat, ist er seither nicht aufgefallen. Vielmehr segnete Sulyok zahlreiche umstrittene Massnahmen der Regierung ab, etwa die Schaffung von «Sonderwirtschaftszonen», wodurch von der Opposition regierte Kommunen entmachtet und Steuereinnahmen in die Kassen von Fidesz-kontrollierten Verwaltungsbezirken umgeleitet wurden. Als die Regierung vor der Wahl 2022 die E-Mail-Adressen von Bürgern, die sich zuvor für die Covid-Impfung registriert hatten, nutzte, um Fidesz-Wahlkampfbotschaften zu verbreiten, befand das Verfassungsgericht unter seinem Präsidenten Sulyok, es handle sich dabei nicht um illegale Wahlwerbung, schliesslich habe die Regierung die Pflicht, die Bürger zu informieren.
Über sich selbst sagt Tamás Sulyok, er habe sich «nie für Politik interessiert». Aber das ist ja auch nicht zwingend nötig, wenn es darum geht, als Präsident per Unterschrift das abzusegnen, was Parlament und Regierung so alles beschliessen.
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