Sorge bei Unesco um ZustandWird dem Wattenmeer der Weltnaturerbe-Status aberkannt?
Die Unesco rügt Deutschland, Dänemark und die Niederlande für den industriellen Druck auf das Ökosystem im Wattenmeer. Ein Warnschuss für die Anliegerstaaten.
Auf solche Geburtstagsgrüsse hätten Deutschland, Dänemark und die Niederlande sicher gern verzichtet. Pünktlich zum 15. Jahrestag des Weltnaturerbes Wattenmeer rügt die Unesco die drei Anliegerstaaten für den immer stärkeren industriellen Druck auf das weltweit bedeutende Ökosystem vor ihren Küsten.
In einer Resolution zeigt sich die UNO-Organisation für Wissenschaft und Kultur besorgt über Vorhaben zur Salz-, Öl- und Gasgewinnung, den Bau von Leitungen und Pipelines durch das Gebiet sowie die steigende Anzahl von Offshore-Windkraftanlagen entlang der Grenzen des Wattenmeers. Hinzu kämen Hafenausbauten und zunehmender Schiffsverkehr.
Die von 195 Mitgliedsstaaten getragene UNO-Organisation überprüft derzeit in Delhi, ob die als Welterbe ausgezeichneten Stätten ihren Status, von «universellem Wert für die Menschheit» zu sein, weiterhin verdienen. Am Ende eines solchen Prozesses kann die Aberkennung des Titels stehen. Der Status als Welterbe ist ein Ehrentitel für Gebiete, die kulturell oder ökologisch eine weltweit herausragende Stellung einnehmen.
Für die Energiewende
Die UNO-Wächter warnen vor den sich addierenden Negativeinflüssen der vielen einzelnen Projekte in allen drei Ländern. Zwar erkenne man die Notwendigkeit an, die Erzeugung erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Die zahlreichen neuen Anlagen nehme die UNO-Organisation dennoch mit «ernster Sorge» zur Kenntnis – im UNO-Jargon eine Chiffre für deutliche Kritik.
Die deutsche Bundesregierung sieht in den Offshore-Windparks dagegen eine wichtige Säule der Energiewende. Nach der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgelegten Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes soll bis 2045 eine installierte Leistung von 70 Gigawatt erreicht werden. Die Kabel zur Anbindung der Hochsee-Anlagen werden durch das Welterbe verlegt.
Das durch den Wechsel der Gezeiten geprägte Wattenmeer erstreckt sich auf 500 Kilometern Länge entlang der Küsten Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande. Es ist das grösste zusammenhängende Wattgebiet der Erde und Heimat von rund 10’000 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten. Seinen Weltnaturerbe-Titel verdankt das Wattenmeer vor allem seiner Bedeutung als eine der wichtigsten Drehscheiben des interkontinentalen Vogelzugs.
Zwischen zehn und zwölf Millionen Watvögel nutzen das Gebiet jedes Jahr als Raststelle auf ihrem Weg von den arktischen Brutgebieten in die afrikanischen Winterquartiere. Das Wattenmeer liegt für viele Vogelarten etwa auf der Hälfte ihres rund 10’000 Kilometer langen Zugwegs. Ohne diesen Rastplatz bräche das Vogelzugsystem zusammen.
Umweltverbände protestieren
Der Welterbe-Titel ist auch ein wichtiges Marketing-Instrument für den Tourismus und die regionale Wirtschaft. Entsprechend stolz sind die deutschen Wattenmeer-Anlieger Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg darauf, in einer Liga mit etwa der Serengeti in Tansania oder dem Great Barrier Reef vor Australien zu spielen.
Die Rüge ist bereits der zweite Warnschuss an die Anliegerstaaten. Schon an der vergangenen Jahresversammlung des Welterbe-Komitees in Riad äusserte die UNO-Organisation deutliche Kritik vor allem an der fossilen Energiegewinnung und den Kabeltrassen für den Ausbau der Offshore-Windenergie, die das Wattenmeer zerschneiden. Allerdings wurde das Wattenmeer nicht auf die Liste der bedrohten Welterbegebiete gesetzt – der Vorstufe zur Aberkennung des Titels.
Auch Umweltverbände hatten bei der UNO-Organisation deshalb Beschwerde eingereicht. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschlands NABU, forderte die Bundesregierung jetzt auf, ihre Energiepläne zu überdenken, um das Welterbe nicht zu gefährden. «Das Welterbe darf nicht zum Verlierer der Energiewende werden», warnte er. «Die Unesco ruft Stopp – Bund und Küstenländer müssen jetzt entschlossen gegensteuern.»
Auch der Direktor des gemeinsamen Wattenmeer-Sekretariats der Anrainerländer, Sascha Klöpper, teilte die Bedenken in einer Stellungnahme. Zwar seien Belastungen durch menschliche Aktivitäten im und um das Wattenmeer nicht neu. «Aber die notwendige Beschleunigung, um die Verpflichtungen für die Energiewende zu erreichen, die geopolitische Situation zusätzlich zu anderen menschlichen Nutzungen und die Auswirkungen des Klimawandels haben den Druck auf das Ökosystem deutlich erhöht.»
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