Die anderen Figuren der TourUnd zum Abschluss verhindert der Alleskönner die Unsterblichkeit
Gesamtsieger Pogacar dominiert die Tour de France – und ist drei Wochen das grosse Thema. Doch auch diese Figuren schreiben Geschichten.
Wout van Aert: Mehr als ein Spielverderber
Es soll die Schlusspointe einer – bezüglich Etappensiege – sehr aufregenden Tour de France sein. Mark Cavendish gilt als designierter Sieger, der auf den Champs-Élysées sein Märchencomeback mit dem 35. Tour-Etappensieg abschliessen und alleiniger Rekordsieger werden kann.
Nur: Die Pyrenäen haben beim Briten offensichtlich Spuren hinterlassen. Cavendish schlängelt sich nicht mehr so elegant durch die Fahrerreihen wie bei seinen vier Siegen, zuletzt bleibt er hinter Wout van Aert stecken, derweil der Belgier drei Finger für seinen dritten Etappensieg in die Luft streckt.
Es ist der längst nicht mehr nötige, aber ultimative Beweis für seine Vielseitigkeit: Nach dem Solo auf der Ventoux-Bergetappe und dem dominierten Zeitfahren am Vortag lässt er zum Abschluss auch alle Sprinter hinter sich – auf der prestigeträchtigsten aller Zielgeraden. Das schafft sonst keiner.
Jonas Vingegaard: Mehr als ein Helfer
Gerade mal drei Jahre ist es her, da arbeitete der Däne vormittags in der lokalen Fischfabrik, karrte Eis heran, legte die frisch ausgenommenen Fische darauf. Nun wird Jonas Vingegaard in Paris für die Siegerehrung aufgerufen und aufs Podium gebeten.
Es ist ein bemerkenswerter Aufstieg, den der 24-Jährige hinter sich hat. Dass er das Potenzial dazu hat, war seinen Chefs bei Jumbo-Visma sehr wohl bewusst. Sie erwarteten aber nicht, dass er dieses schon in diesem Jahr zeigen würde. Schliesslich sollte er «nur» einer der Begleiter von Primoz Roglic in den Bergen sein. Weil der aber früh ausschied, wird Vingegaard als derjenige in die Geschichte eingehen, dem es als Einziger gelang, Gesamtsieger Pogacar zumindest einmal in drei Wochen in die Bredouille zu bringen. Am Mont Ventoux distanzierte er den Slowenen hinauf zum Gipfel um 38 Sekunden – ehe der Titelverteidiger den Rückstand in der Abfahrt wieder gutmachte.
Vingegaard wird weitere Chancen erhalten, um Pogacar herauszufordern. Er wird sich aber wohl noch einen Moment gedulden müssen. «Er ist unser Mann für die Zukunft. Die Gegenwart gehört Roglic», bekräftigte einer der Sportlichen Leiter in der Schlusswoche.
Julian Alaphilippe: Mehr Maskottchen als Weltklasse
Die Formel unter Radprofis ist einfach: Gewinne eine Tour-Etappe – und deine Saison ist ein Erfolg.
Doch gilt sie auch für den Weltmeister? Julian Alaphilippe lässt uns gespalten zurück. Am ersten Tag, als so viele Fahrer wie schon lange nicht mehr davon träumten, das erste Maillot jaune des Rennens zu übernehmen, fuhr er allen davon – obwohl alle genau das erwarteten. Das kann nur Alaphilippe.
Danach kam beim 29-Jährigen aber nicht mehr viel. Das Regenbogentrikot war gefühlt zwar an mehr Tagen in Fluchtgruppen unterwegs als nicht. Aber das zeigt schon: Er verzettelte sich und verpuffte zu viele Kräfte, als dass er noch einmal einen Sieg hätte herausfahren können. So wirkte er mehr wie ein Tour-Maskottchen als wie der Weltklassemann, der er ist.
Ob ihn die verpassten Chancen in einigen Jahren noch fuchsen werden? Eher nicht. Einst wird er sich wohl aus einem anderen Grund an den Sommer 2021 erinnern: als das Jahr, in dem er kurz vor der Tour erstmals Vater wurde.
Marc Hirschi / Team DSM: Mehr als nur ein Teamwechsel
Es war vor einem Jahr die Traumpaarung: Marc Hirschi war der wohl spektakulärste Fahrer der Tour – folgerichtig wurde er für seine Angriffslust als kämpferischster Fahrer ausgezeichnet. Derweil war sein Team Sunweb die unterhaltsamste Equipe, fast täglich in der Offensive, mit drei Etappensiegen auch höchst erfolgreich.
Ende Jahr trennten sich die Wege von Hirschi und dem Team DSM, wie es seit dieser Saison heisst, unter eigenartigen Umständen. Die Trennung brachte fürs Erste nur Verlierer, wie es scheint. Hirschi erlebt ein Seuchenjahr, an der Tour stürzte er am ersten Tag schwer und war danach nie mehr als ein anonymer Helfer an Pogacars Seite. DSM fand nie zu seinem Offensivspektakel des Vorjahrs, reist ohne zählbares Resultat ab.
Romain Bardet / Thibaut Pinot: Mehr als nur Zuschauer
Die französischen Fans feierten die Nachricht fast wie einen Sieg: Thibaut Pinot kündigte am Samstag an, im September bei einem kleinen Rennen sein Comeback zu geben. Der 31-Jährige hätte eigentlich im Mai den Giro bestreiten sollen, musste aber wegen anhaltender Rückenbeschwerden Forfait erklären.
Pinot bleibt die grösste französische Hoffnung auf den Tour-Sieg, entsprechend wird jede seiner Regungen gespannt verfolgt. In geringerem Mass gilt dies auch für Romain Bardet. Der fehlte ebenfalls an der Tour – erstmals seit 2013. Beide trainierten während des Rennens täglich intensiv und teilten die Einheiten auf den sozialen Medien. Es waren kleine Nadelstiche für die einheimischen Fans: Erinnerungen daran, was mit den beiden hätte sein können.
Chris Froome: Mehr als ein Mitfahrer
Wir wissen nicht, ob sich Tour-Debütant Stefan Bissegger und der vierfache Sieger des Rennens näherkamen in den vergangenen drei Wochen. Chancen dazu hatten sie aber mehrere. Auf Bergetappen erreichten Froome und der Thurgauer mehrfach gemeinsam das Ziel, jeweils um Rang 100 herum, viele Minuten nach den jeweiligen Tagessiegern. Was für Bissegger normal war, ist im Fall von Froome weiterhin gewöhnungsbedürftig. Aber wohl logisch – der Brite muss froh sein, nach seinem schweren Sturz 2019 überhaupt sein Renncomeback geschafft zu haben.
Am meisten Aufmerksamkeit erhielt sein Einsatz nach der 17. Etappe. In der Abfahrt vom Col du Portet sah Froome, wie ein Hobbyfahrer sich in einer Kurve verschätzte und über die Leitplanke flog – und den Abhang dahinter hinunter. Zusammen mit zwei weiteren Profis half er dem Verunglückten wieder auf die Beine und betreute diesen, bis die Ambulanz kam.
Matej Mohoric: Mehr als eine Geste
Fünf Etappen gewannen die Slowenen an dieser Tour – dreimal siegte Pogacar, zweimal Matej Mohoric. Der 26-Jährige hat sich zum Spezialisten für lange Soloattacken gemausert. Lassen ihm die Gegner zehn Meter Distanz, ist er weg. So gewann er auch die 19. Etappe – und hielt im Ziel den Finger auf den Mund, machte dann den pantomimischen Reissverschluss über seinen geschlossenen Lippen.
Die Geste sorgte für Aufruhr. Denn sie hat an der Tour eine Geschichte. 2004 hatte Lance Armstrong sie in die Kamera gezeigt und damit deutlich durchblicken lassen, dass über Doping nicht gesprochen wird. Bei Mohoric konnte man das ebenso deuten: Bei seinem Team Bahrain-Victorious hatte die Polizei zwei Tage zuvor das Hotel durchsucht.
Nur: Mohoric war 2004 4-jährig, ob er sich dem Gewicht der Geste bewusst war? Diese entstand wohl eher aus dem Moment heraus, am Ende eines sehr intensiven Tages. So erklärte er seine Gefühle auch später: «Ich dachte an den Abend zwei Tage zuvor, als ich mich wie ein Verbrecher gefühlt hatte. Dass die Polizei das tut, ist gut, es zeigt, dass das Peloton immer noch kontrolliert wird. Und natürlich fanden sie nichts, weil wir nichts zu verstecken haben. Zugleich war es ein ziemlich unangenehmes Gefühl, wenn du in deinem Zimmer stehst, während Polizisten deine Sachen durchgehen, deine privaten Fotos durchsehen und Nachrichten auf deinem Handy durchlesen.»
Wir behalten Mohorics künftige Siegergesten im Auge.
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