Rekordsieger an Tour de FranceMark Cavendish knackt die grosse 34
Der Brite gewinnt seine 34. Tour-Etappe und egalisiert damit die Uralt-Marke von Merckx. Faszinierend ist aber weniger die geschichtliche Komponente, sondern die Wucht an positiven Emotionen.
Es war in den vergangenen Tour-Tagen wie ein Spiel zwischen den Interviewern und Mark Cavendish. Irgendwie schlängelten sie sich durch ihre Gespräche, ohne den Elefanten im Raum anzusprechen, wie es im Englischen so schön heisst. Die Metapher passt hier besonders gut, weil in diesem Fall Eddy Merckx gemeint war, das radsportliche Schwergewicht schlechthin.
Die Frage, ob Cavendish tatsächlich das noch vor zwei Wochen Unvorstellbare vollbringen und dessen Marke von 34 Tour-Etappensiegen egalisieren würde, stand mit jedem Sieg stärker im Raum. Doch Cavendish wollte partout nicht darüber sprechen: «Sagen Sie den Namen nicht, erwähnen Sie ihn nicht!»
Nummer 34 ist nicht irgendeiner, sondern ein Meisterstück
Es war, als ob er Angst hatte, damit seine Serie ins Stocken zu bringen. Die Zurückhaltung zahlte sich offensichtlich aus: Bei der allerersten sich bietenden Gelegenheit, am Freitagabend in Carcassonne, krallt sich der Brite Sieg Nummer 34. Nummer 34 ist nicht einer unter vielen. Sondern ein Meisterstück. Es ist kein klinisch perfekter Sieg, sondern einer, bei dem Cavendish all seine Rennfahrerinstinkte einsetzen muss, sich durchs Fahrerfeld durchschlängeln muss, x-mal die Position ändert und neu erkämpft, ehe er am Schluss doch ausschert und zum 34. Etappensieg sprintet.
34 Tour-Etappensiege also. Natürlich ist das nüchtern betrachtet nur eine Zahl, aber es ist eine Zahl, die zuvor nicht irgendeiner erreicht hatte. Sondern jener Fahrer, der im Radsport gemeinhin als der Allergrösste gilt.
Das bedeutet nicht, dass Cavendish nun auf einer Stufe mit Merckx stünde, bewahre. Merckx war in seiner Zeit der Alleskönner, der mehr oder weniger jedes Rennen, das er sich in den Kopf setzte, auch gewann. Auf seinem grossen Siegeszug kamen eben auch 34 Tour-Etappen dazu – wie nun bei Cavendish.
Natürlich sind die 34 Siege in Merckx’ Palmarès nicht mehr als eine Fussnote. Oben stehen andere Zahlen. Die je fünf Gesamtsiege bei Tour de France und Giro d’Italia – beides sind bis heute (geteilte) Rekordmarken. Ebenso die 19 Siege bei den fünf Radmonumenten – Cavendish kann in dieser Kategorie einen Sieg vorweisen, bei Mailand–Sanremo 2009. Die drei Weltmeister-Titel des heute 76-Jährigen sind ein weiterer geteilter Rekord – Cavendish gewann den Titel «nur» 2011.
Nur in diesem kleinen Feld der Tour-Etappensiege ist Cavendish auf Augenhöhe mit dem Belgier. Und doch ist diese Leistung so ausserordentlich, dass sie etwas mehr Einordnung braucht. Während Merckx seine 34 Siege innert 7 Jahren einheimste – der Spitzname Kannibale kommt nicht umsonst –, vergingen bei Cavendish 13 Jahre vom ersten bis zum (vorerst) letzten Tour-Etappensieg: die Zeitspanne einer langen Profikarriere.
Wie ausserordentlich das ist, zeigt auch der Vergleich mit anderen Seriensiegern. Einzig Jean Alavoine übertrifft hier Cavendish, der Franzose gewann einst 17 Etappen über 14 Jahre verteilt. Allerdings waren die Anforderungen und die Professionalität des Radsports in seiner Zeit (1909–23) wohl doch noch ein wenig anders als heute.
Am anderen Ende des Spektrums steht Marcel Kittel: Der Deutsche kam bei vier Tour-Teilnahmen auf 14 Siege. Wenn er mit dieser Kadenz weitergesiegt hätte, hätte er Cavendish bei weitem übertroffen. Nur: Kittel trat mit gerade mal 31 Jahren zurück, ausgebrannt vom Radsport und den enormen Anforderungen, die dieser an einen Siegesfahrer stellt.
Ein Ereignis wird die Art, wie Cavendish seine Erfolge zelebriert
Bleibt schliesslich die Comeback-Komponente: Nach fünf sieglosen Tour-Jahren an die Spitze zurückzukehren, ist vielleicht Cavendishs grösste Leistung (lesen Sie hier mehr über seine Kämpfe und Tiefs). Und das mit 36, wenn bei den meisten Profiathleten der Leistungszenit nur mehr eine schwache Erinnerung ist.
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Es ist aber nicht diese radgeschichtliche Komponente allein, die seine jüngsten Tour-Erfolge zu so einem Ereignis machen. Sondern die Art, wie er diese zu feiern und zelebrieren weiss.
Da steht einer, der sich nach Jahren im persönlichen Tief bewusst ist, dass es nicht selbstverständlich ist, diese Erfolge zu feiern. Und sich sehr bewusst ist, dass diese ohne seine Teamkollegen unmöglich wären. Weil sie ihn jeweils mit perfektem Timing abliefern, sodass er auf den 150 bis 200 Metern seine Beschleunigung zeigen kann, die in diesem Tour-Peloton unerreicht ist.
Bei Deceuninck-Quickstep hat Cavendish wieder jene Wohlfühlzone vorgefunden, in der er zu Höchstleistungen fähig ist. Es hat eine fast schon amouröse Komponente, wie sehr sich die Fahrer untereinander und vor allem mit Cavendish freuen. Und wie der diese Freude in aufrichtiger Dankbarkeit zurückgibt.
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Das ist toll anzuschauen, weil so viele positive Emotionen doch eher selten sind im Männer-Profisport, der sonst primär martialische Sieggesten produziert.
Dass es ausgerechnet die Fahrer der belgischen Equipe sind, die so verbrüdert auftreten, ist logisch und ironisch zugleich. Logisch, weil kein Team das gemeinsame Streben nach dem Sieg höher hängt. Und ironisch, weil sie sich seit ein paar Jahren «The Wolfpack» nennen. Ein Wolfsrudel hätte man bis jetzt nicht unbedingt als Beispiel für Herzlichkeit genannt.
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