Schweizer SlalomteamUnd plötzlich will Zenhäusern seine Zeit nicht mehr wissen
Die Schweizer Mannschaft galt als die beste der Welt, zuletzt lief es aber nicht mehr rund. Das erforderte ungewöhnliche Massnahmen.
Sie wurden als künftige Dauersieger angepriesen, als das weltbeste Slalomteam. Im Winter 2019/20 waren die Schweizer Männer erstmals überhaupt in der 66-jährigen Geschichte des Weltcups die erfolgreichsten in ihrer Disziplin – doch dann geriet die Maschinerie ins Stocken. Wurden Siege nicht wie erhofft zum Normalzustand, sondern zur grossen Ausnahme.
Im letzten Winter gab es noch drei Podestplätze, zwei von Daniel Yule, einen von Loïc Meillard, triumphiert hat keiner. Es sind Resultate, die nicht den Erwartungen entsprechen – auch nicht den internen. Diese sind gross, so gross wie noch nie bei einem Schweizer Slalomteam. Schliesslich gab es noch nie auch nur annähernd eine solche Dichte: Von den sieben Athleten in der ersten Mannschaft haben es mit Yule, Meillard, Ramon Zenhäusern, Sandro Simonet und Luca Aerni schon fünf auf ein Weltcuppodest geschafft. Sie alle sowie Marc Rochat und Tanguy Nef stehen für eine goldene Schweizer Slalom-Generation. Yule ist dabei der Leader.
«Plötzlich fuhr Yule nicht mehr aus Spass, sondern um Rennen zu gewinnen, es war schon fast zu viel an Erfolg für ihn.»
Es gab einen Winter, in dem der Walliser im Klassiker-Monat Januar ganz gross auftrumpfte, in Madonna di Campiglio, Adelboden und Kitzbühel gewann. 2020 war das. Wieso es nicht im gleichen Stil weiterging und kein Sieg mehr folgte, hat verschiedene Gründe, etwa Probleme mit dem Material im Folgewinter. Matteo Joris, der Cheftrainer des Slalomteams, kennt noch weitere: «Aus dem Nichts griff er gleich nach den Sternen. Es war nicht einfach für ihn. Plötzlich fuhr er nicht mehr aus Spass, sondern um Rennen zu gewinnen, es war schon fast zu viel an Erfolg für ihn.» Yule verkrampfte sich.
Er habe mit ihm einen Schritt zurück machen müssen, «Aufbauarbeit, am Boden bleiben», so sagt das der Italiener. Yule habe vergessen, dass er die Siege damals auch dank der Freude an seinem Tun geholt habe, «jetzt spüre ich, dass das wieder zurück ist», sagt Joris.
Und wieder loben sie alle Loïc Meillard
Entsprechend viel erhofft er sich von seinem Vorzeigeathleten. Wie auch von Loïc Meillard, der von seinen Teamkollegen im Training als klar Stärkster ausgemacht wurde – es hat schon fast Tradition. So war das, als sich der Neuenburger im Riesenslalomteam bewegte, so ist das jetzt, da er die Vorbereitung vornehmlich mit den Slalomfahrern bestritt. Zenhäusern nennt ihn «Zugpferd» und sagt: «Er hat viel Energie hineingebracht, stellte meist die Bestzeit auf.» Joris sagt: «Loïc war sehr schnell. Ich hoffe, er kann das auch im Rennen umsetzen.» Es gelang dem 26-jährigen Grosstalent nicht immer, zuoberst stand er bislang erst in einem Parallelrennen.
Wie es ist, auch im Slalom zu triumphieren, weiss Ramon Zenhäusern, dem dieses Kunststück zweimal glückte. Den letzten Podestplatz gab es im März 2021 in Kranjska Gora. Die Baisse in der vergangenen Saison, in der es Ausfälle gab, Rangierungen um Platz 20 und mit dem 4. Rang von Adelboden nur einen Ausreisser nach oben, ist erklärbar. Der Walliser erlitt bei einem Trainingssturz vor der Saison Prellungen und eine Verletzung des Labrums in der rechten Schulter. «Unterbewusst» habe ihn das gehemmt, sagt Zenhäusern. «Als Slalomfahrer bin ich eine Art Seiltänzer, alles muss in Balance sein. Das war nicht mehr so. Ich habe in Videos gesehen, wie ich mit der rechten Schulter in eine Schutzstellung gehe, die Balance geriet durcheinander.»
Zenhäusern setzt auf «mehr Technik statt Vollgas»
Obwohl der Zweite des Olympiaslaloms von Pyeongchang 2018 die Gründe kannte, habe er sich hinterfragt. «In meiner Karriere ging es immer aufwärts, nun war ich erstmals damit konfrontiert, dass es in die andere Richtung geht.» Er habe im Sommer daher umgestellt, «mehr auf Technik statt auf Vollgas» gesetzt, sagt er. Zenhäusern, der stets als Trainingsweltmeister galt, weil er bei den Übungsfahrten alle in den Schatten stellte, in den Rennen aber oft Mühe hatte, verzichtete auf die Zeitmessung. Stets fuhr er am Törchen vorbei, das die Stoppuhr auslöst. «Mit 20 hätte ich mich das nicht getraut, mit 30 aber habe ich die Erfahrung, um zu wissen, wo ich stehe», sagt Zenhäusern. Das soll möglichst bald wieder ganz vorn sein.
Überhaupt klingt ziemlich zuversichtlich, was vor dem Auftakt am Sonntag in Val-d’Isère aus dem Slalomteam zu hören ist. Luca Aerni, der sich seit seinem Wechsel 2020 zu Fischer-Ski nach und nach der Weltspitze näherte, hat vor allem an der Kondition gefeilt, «seine Rückenprobleme hat er nun im Griff», sagt Trainer Joris.
Und Nef, Rochat und Simonet, die Wilden mit enorm schnellem Schwung und hoher Ausfallquote? Sie sollen an Stabilität hinzugewonnen haben. Selbst dass Simonet von einem Kreuzbandriss im linken Knie zurückkehrt, gewinnt Joris Positives ab. «Vielleicht versucht er so für einmal nicht, 120 Prozent zu geben, und versteht, dass bei 100 Schluss ist. Sie müssen nicht immer all-in gehen. Zu einem guten Slalomfahrer gehört auch Konstanz.»
Training mit den wilden Norwegern
Jeder Athlet wird eng und individuell betreut, den sieben Fahrern stehen vier Trainer, zwei Physiotherapeuten und sechs Servicemänner zur Seite, «wir haben quasi Privatteams innerhalb der Mannschaft», sagt Joris. Mit allen möglichen Mitteln suchen er und seine Mitarbeiter nach den «Schlüsseln» für seine Fahrer, sagt der 41-Jährige. «Ich bin nun schon acht Jahre in diesem Team, und noch immer habe ich nicht alle gefunden.»
Wer Joris so zuhört, spürt, dass der Mann ein Team mit schier sagenhaftem Potenzial betreut – in dem aber jeder auf seine Art lernen musste, dass es ein weiter Weg ist zum konstanten Spitzenfahrer. Zumal das Niveau im Slalom immer noch mehr steigt, das Feld noch enger zusammenrückt. «Zwei Zehntel Rückstand, und du bist Zehnter», sagt Joris.
Gerade die jungen Norweger Lucas Braathen und Atle Lie McGrath haben jüngst die Spitze mit ihren spritzigen und furchtlosen Auftritten mächtig durchgewirbelt. Zusammen mit ihnen trainierten die Schweizer zwei Wochen in Schweden und Finnland. «Ich glaube, sie sind noch ein klein wenig vor uns», sagt Joris, «aber bringen wir die Puzzles zusammen, können meine Athleten ums Podest und um den Sieg kämpfen – und zwar jeder einzelne.» Es gehört zu den Ansprüchen in einem Team, das das weltbeste sein will.
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