Kommentar zu Parlamentswahlen in FrankreichDie Franzosen wählen Dagegen-Parteien
Ein unerwarteter Schlag für Emmanuel Macron. Freuen darf sich Marine Le Pens Rassemblement National.
Frankreichs Präsident wird für seine zweite Amtszeit halbiert, die Wählerinnen und Wähler nehmen ihm das wichtigste Werkzeug seiner Macht – das Parlament und die absolute Regierungsmehrheit. Das ist ein Schlag für Emmanuel Macron, ein unerwarteter zudem. Die Parlamentswahl wurde zum Strafwerkzeug für den ungeliebten Mann an der Spitze. Nun beginnt er die zweite Periode gefesselt an eine schwankende Mehrheit, die jedes Mal neu beschafft werden will. Das konservative Lager wird sich die Duldung teuer bezahlen lassen.
20 Jahre lang war das französische System von seiner grössten Dysfunktionalität verschont geblieben – der «Cohabitation». Auch diesmal gibt es technisch betrachtet dieses gespaltene Mehrheitssystem nicht. Prinzipiell liesse sich das Land auch mit einem Präsidenten und einem Premier aus opponierenden Lagern regieren. Dreimal hat das mehr schlecht als recht funktioniert.
Nun muss das bürgerliche Lager zusammenstehen, um den Extremismus im Parlament abzuwehren.
Aber 2022 ist nicht 2002, der Extremismus hat in den letzten 20 Jahren vom Land Besitz ergriffen, die Rechtsextremen werden von nicht weniger radikalen Kräften von Links gespiegelt: gegen Europa, gegen die Partnerschaft mit Deutschland, gegen die Nato. Die Franzosen wählen Dagegen-Parteien, sie haben keine Idee mehr, wofür sie eigentlich eintreten wollen. Nun muss das bürgerliche Lager notgedrungen zusammenstehen, um den Extremismus im Parlament abzuwehren.
Macron wird diese Kräfte mit der Autorität seines Amtes ein wenig bändigen können. Die Verfassung gibt ihm auch hinreichend Spielraum für aussenpolitische Entscheidungen. Aber das ist ein lausiger Ausblick. Frankreich braucht ein Deradikalisierungsprogramm im Inneren, kein Putsch-Parlament und keinen Ersatzkönig im Élysée.
Die geduldeten Macronisten werden mit ihrem Versuch einer bürgerlichen Koalition – in Frankreich alles andere als üblich – die Radikalität in der Wählerschaft lediglich fördern. Die Linke mag also an diesem Sonntag ein bisschen triumphieren, freuen darf sich aber Marine Le Pen.
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